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Damals wie heute gehen wir für die Rechte von Geflüchteten auf die Straße. Foto: Proteste gegen den Asylkompromiss, 14.11.1992 (c) IMAGO / Dieter Bauer

Vor 30 Jahren haben in Deutschland Zehntausende gegen den sog. »Asylkompromiss« demonstriert, um die Änderung des Grundgesetzes zu verhindern. Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag trotz der großen Proteste, das Asylrecht im Grundgesetz massiv einzuschränken. Günter Burkhardt, Gründungsmitglied von PRO ASYL, berichtet im Interview von der Zeit.

Im Mai 1993 wur­de mit dem soge­nann­ten »Asyl­kom­pro­miss« das Grund­ge­setz geän­dert, das Recht auf Asyl aus­ge­höhlt. In wel­chem poli­ti­schen Kli­ma ist das ent­stan­den? Wie war die Atmo­sphä­re zu der Zeit?

Es gab über Jah­re hin­weg auf poli­ti­scher Ebe­ne eine Het­ze gegen Asyl­su­chen­de, gegen Flücht­lin­ge. Gekop­pelt mit einem Hass auf der Stra­ße, der sich bis zu Brand­an­schlä­gen mit Toten stei­ger­te. Es gab aber auch eine Zivil­ge­sell­schaft, die gegen Gewalt und Ras­sis­mus auf­stand und sich orga­ni­sier­te. Hun­dert­tau­sen­de waren auf der Stra­ße, um das Recht auf Asyl zu verteidigen.

Du hast die Demos ange­spro­chen, von denen es ja ein­drück­li­che Bil­der gibt. Wie wur­den die damals orga­ni­siert? Wer hat teil­ge­nom­men, wie sind sie abgelaufen?

Wir waren auf meh­re­ren Ebe­nen aktiv. Es gab die Demons­tra­tio­nen, die in Bonn orga­ni­siert wur­den von einem Bünd­nis­sys­tem aus der Frie­dens­be­we­gung, von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, von PRO ASYL. Her­bert Leu­nin­ger, unser Spre­cher, rief dort am 26.5.1993 »Wir sind der Ver­fas­sungs­schutz« und das sym­bo­li­siert: Wir sind die­je­ni­gen, die die­se Ver­fas­sung, die­ses Grund­ge­setz, die Wür­de des Men­schen, das Recht auf Asyl als Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ver­tei­di­gen. Es geht exis­ten­zi­ell um unse­re frei­heit­li­che Demo­kra­tie und die Leh­ren aus der Nazi­zeit. Damals war die Erin­ne­rung noch sehr wach, dass bei­spiels­wei­se auch Poli­ti­ker aus der SPD – wie etwa Wil­ly Brandt – nur dank ihrer Flucht über­lebt hatten.

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Wel­che Ebe­nen der Ein­fluss­nah­me gab es noch?

Wir haben mehr als 100.000 Unter­schrif­ten gegen die Ent­ker­nung des Asyl­rechts gesam­melt, auch vie­le Pro­mi­nen­te haben unse­ren Auf­ruf damals unter­stützt. Unse­re Spre­cher waren als Sach­ver­stän­di­ge im Bun­des­tag gela­den. Wir haben mit gro­ßen Anzei­gen gear­bei­tet, die zen­tra­le Bot­schaft war »Kein Schritt in eine ande­re Repu­blik« und es gab ver­schie­de­ne Moti­ve wie zum Bei­spiel: »Wol­len Sie in einem Land leben, in dem Grenz­be­am­te über Leben und Tod ent­schei­den?«. Denn durch die Ände­rung des Grund­ge­set­zes bestand die Gefahr, dass nie­mand, der über einen Dritt­staat auf dem Land­weg ein­reist, das Grund­recht auf Asyl in Anspruch neh­men kann. Zum Glück griff dann jedoch ersatz­wei­se das EU-Recht – so ist das ja auch heu­te noch.

Wie lief das in den Mona­ten vor der Grund­ge­setz­än­de­rung poli­tisch ab? Gera­de in der SPD wur­de dar­um ja lan­ge gerungen.

Es gab inner­halb der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei hef­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen, weil ein gro­ßer Teil die­ser Par­tei für Grund­rech­te, für die Rech­te von Ver­folg­ten ein­stand. Es gab aber auch die Uni­on als Trei­ber, die gegen die angeb­li­che »Sin­gu­la­ri­tät« des deut­schen Asyl­rechts, so wur­de es damals genannt, Kam­pa­gnen star­te­te. Man woll­te dafür angeb­lich ein euro­päi­sches Asyl­recht instal­lie­ren, was ja bis heu­te nicht funk­tio­niert – es sei denn man spricht über Repres­si­on und Ent­rech­tung. Wir haben damals als deut­sche Bür­ger­rechts­be­we­gung mas­siv vor der Auf­ga­be eines Grund­rechts gewarnt, wel­ches ange­sichts der Flucht von Hun­dert­tau­sen­den Men­schen aus Nazi­deutsch­land eine his­to­ri­sche Bedeu­tung hat.

Der Schwenk zum euro­päi­schen Asyl­sys­tem ist ein gutes Stich­wort. Die Grund­ge­setz­än­de­rung konn­te nicht ver­hin­dert wer­den. Wie ging es denn danach weiter?

Auch hier gab es ver­schie­de­ne Ebe­nen. Zum einen haben wir die Recht­mä­ßig­keit die­ser Grund­ge­setz­än­de­rung bezwei­felt und in der Kon­se­quenz dann Schutz­su­chen­de auf ihrem Weg vor Gericht unter­stützt, Anwäl­te gesucht, Pro­zes­se geführt. Bis hin zum Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Das betraf vor allem auch das Flug­ha­fen­ver­fah­ren, wo inner­halb kür­zes­ter Zeit Men­schen abge­fer­tigt und abge­scho­ben wur­den, ohne Rechtsbeistand.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat uns dann zum Flug­ha­fen­ver­fah­ren recht gege­ben, weil das Grund­recht auf ein recht­li­ches Gehör ver­letzt wur­de. Aber das Innen­mi­nis­te­ri­um woll­te die Vor­ga­ben nicht umsetzen.

Dann haben wir eine Initia­ti­ve gestar­tet und gesagt: Wenn das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um sich wei­gert, dann über­neh­men eben wir die Rechts­be­ra­tung als »Unser Weih­nachts­ge­schenk für Kan­ther« – so hieß der dama­li­ge Innen­mi­nis­ter. Durch unse­re Öffent­lich­keits­ar­beit haben wir die Mit­tel ein­ge­wor­ben, um die­se Rechts­be­ra­tung am Flug­ha­fen zu finan­zie­ren – solan­ge bis das Innen­mi­nis­te­ri­um nach­ge­ge­ben hat. Seit die­sem Zeit­punkt gibt es zumin­dest eine admi­nis­tra­tiv abge­si­cher­te Rechts­be­ra­tung in die­sen soge­nann­ten Flug­ha­fen­ver­fah­ren. Das ist natür­lich nur ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein, weil fai­re Asyl­ver­fah­ren in sol­chen Eil­ver­fah­ren unter haft­ähn­li­chen Bedin­gun­gen nicht  mach­bar sind.

Und die zwei­te Ebene?

Als zwei­te Fol­ge hat sich PRO ASYL als Orga­ni­sa­ti­on umori­en­tiert. Die Aus­ein­an­der­set­zung um das deut­sche Grund­recht hat­ten wir ver­lo­ren. Seit­dem kon­zen­trie­ren wir uns auf die ver­bind­li­chen Nor­men der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und auf das Euro­pa­recht. Das steht über dem deut­schen Recht und garan­tiert Schutz­su­chen­den auch heu­te noch ihre unver­äu­ßer­li­chen Rech­te. Wir haben uns also zuneh­mend mit die­ser euro­päi­schen Dimen­si­on befasst und arbei­ten ja auch seit vie­len Jah­ren mit Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen in ganz Euro­pa zusammen.

Genau jetzt ste­hen wir jedoch wie­der vor einer Aus­ein­an­der­set­zung von einer ganz ande­ren his­to­ri­schen Dimen­si­on, näm­lich auf euro­päi­scher Ebene.

»Heu­te erle­ben wir, dass die­se Bun­des­re­gie­rung an den Gren­zen der Euro­päi­schen Uni­on Haft­la­ger will, mit dem Ziel, Asyl­an­trä­ge als unzu­läs­sig abzustempeln.«

Wie sind die Situa­tio­nen vergleichbar?

Damals wur­de argu­men­tiert: »Wir wol­len die Sin­gu­la­ri­tät des deut­schen Asyl­rechts besei­ti­gen und ein euro­päi­sches Rechts­sys­tem schaf­fen«. Heu­te erle­ben wir, dass die­se Bun­des­re­gie­rung an den Gren­zen der Euro­päi­schen Uni­on Haft­la­ger will, mit dem Ziel, Asyl­an­trä­ge als unzu­läs­sig abzu­stem­peln. Es ist ele­men­tar, dass eine inhalt­li­che Prü­fung des Asyl­ge­suchs in der Euro­päi­schen Uni­on statt­fin­det und die Geflüch­te­ten nicht ein­fach in soge­nann­te »siche­re Dritt­staa­ten« zurück­zu­schi­cken – dazu noch eine völ­lig irre­füh­ren­de Begriff­lich­keit. Denn in einem »siche­ren Dritt­staat«, da soll­ten ja eigent­lich die Bestim­mun­gen der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und die Flücht­lings­rech­te umfas­send gelten.

Da geht es letzt­lich dar­um, wie man aus einem fak­ti­schen Unrecht, das ohne­hin schon an den Gren­zen pas­siert, ein neu­es Recht macht und damit vie­les lega­li­siert, was im Moment ein­deu­tig rechts­wid­rig ist. Und dage­gen pro­tes­tie­ren wir! Zunächst geht es um das indi­vi­du­el­le Recht auf Asyl, aber gleich­zei­tig geht es um noch viel mehr: Den Erhalt einer frei­heit­li­chen Demo­kra­tie und die uni­ver­sel­le Gül­tig­keit der Men­schen­rech­te! Dazu gehört zum Bei­spiel, dass es mög­lich sein muss, Behör­den­han­deln gericht­lich zu über­prü­fen. Dazu gehört ein effek­ti­ver Rechts­schutz. Es kann und darf nicht sein, dass – wie es geplant ist und auch schon prak­ti­ziert wird – schutz­su­chen­de Men­schen  über Mona­te de fac­to inhaf­tiert wer­den, das ist gesetz­lich legi­ti­mier­te Behör­den­will­kür. Wir erwar­ten, dass die­se Bun­des­re­gie­rung an Euro­pas Gren­zen die Men­schen­rech­te ver­tei­digt und nicht einreißt.

Das Inter­view führ­te am 17. Mai 2023 Max Klöck­ner (PRO ASYL)