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30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz, 30 Jahre Diskriminierung von Amts wegen
Am 1. November 1993 trat das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Kraft. Zum traurigen Jubiläum kritisiert ein Bündnis von 154 Organisationen die aktuell besonders heftige Debatte über immer weitere Einschränkungen bei Sozialleistungen für Geflüchtete und fordert die Eingliederung von Geflüchteten in das reguläre Sozialhilfesystem!
30 Jahre lang Diskriminierung, Entmündigung und Kürzungen am Existenzminimum Geflüchteter – das ist die Bilanz, die PRO ASYL und Wohlfahrtsverbände, medizinische Organisationen, Menschenrechtsorganisationen und Antidiskriminierungsvereine ziehen. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Debatte wird zunehmend von sachfremden und menschenfeindlichen Forderungen dominiert. Die Diskussionen über Sozialleistungen sind dafür ein gutes Beispiel. Die im Raum stehenden Forderungen reichen von einer generellen Umstellung von Geld- auf Sachleistungen über diskriminierende Bezahlkarten und eine Kürzung des Existenzminimums bis hin zur Forderung, dass kranken Menschen eine medizinische Grundversorgung vorenthalten werden soll.
Die für alle geltende Menschenwürde scheint in der öffentlichen Debatte kaum noch etwas zu zählen. Jeder Mensch hat Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Dabei ist schon die jetzige Ausgestaltung des Asylbewerberleistungsgesetzes verfassungsrechtlich unhaltbar – und noch weitere diskriminierende Leistungskürzungen sind es erst recht.
Sachleistungen sind diskriminierend, teuer und verfassungsrechtlich mindestens fragwürdig. Das gilt auch für die von einigen Bundesländern und Politiker*innen geforderte und zum Teil schon geplante Bezahlkarte, die die Verfügungsmöglichkeit über Bargeld einschränken soll.
Damals wie heute: Geflüchtete als Sündenböcke
Bereits vor 30 Jahren wurden Geflüchtete zum Sündenbock für strukturelle Fehler in der Politik gemacht. Denn die gesellschaftliche Stimmung war 1992/1993, als das Asylbewerberleistungsgesetz im Zuge der Beschneidung des Grundrechts auf Asyl beschlossen wurde, ähnlich wie heute: Auch damals wurden gestiegene Asylantragszahlen zum Anlass genommen für eine explosive flüchtlingsfeindliche Stimmungsmache. Das Asylbewerberleistungsgesetz war von Anfang an dazu gedacht, über Leistungseinschränkungen und schlechte soziale Bedingungen Menschen von der Flucht nach Deutschland abzuhalten. Dieser Grundgedanke wird auch in den neuen Vorschlägen von Finanzminister Lindner und Justizminister Buschmann zu Leistungskürzungen deutlich.
Doch das funktioniert nicht. Deshalb heißt es in unserem Appell: »Kein Mensch, der aus einem Krieg oder vor politischer Verfolgung flieht, gibt die Flucht auf, weil er oder sie in Deutschland demnächst mit noch mehr Sachleistungen leben muss. Wenn in diesem Jahr 2023 das Bundesamt in über 70 Prozent aller Asylanträge, die bis September inhaltlich entschieden wurden, einen Schutzstatus feststellt, wird nur allzu deutlich, dass die Menschen nicht wegen der Sozialleistungen kommen, sondern hier Schutz suchen.«
Das Ziel muss daher sein, auch ihnen ein Leben zu ermöglichen, dass der Würde des Menschen entspricht. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so und hat Kürzungen des sozialen Existenzminimums „aus migrationspolitischen Gründen“, also aus Gründen der Abschreckung, in einem wegweisenden Urteil bereits 2012 als unzulässig erklärt, wie auch mehrfach verschiedene Regelungen als verfassungswidrig beurteilt wurden.
Bundesregierung setzt Versprechen nicht um
Nicht umsonst hat auch die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2021 zumindest angekündigt, das Asylbewerberleistungsgesetz »im Lichte des Bundesverfassungsgerichts« zu überarbeiten. Dies ist bislang nicht geschehen. Die einfachste und menschenwürdigste Lösung wäre dabei eine Abschaffung des diskriminierenden AsylbLG und die Eingliederung der Betroffenen ins reguläre Sozialhilfesystem.