31.10.2023
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Artikel 1 des Grundgesetzes als Schriftzug am Landgericht Frankfurt am Main. Foto: PRO ASYL

Am 1. November 1993 trat das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Kraft. Zum traurigen Jubiläum kritisiert ein Bündnis von 154 Organisationen die aktuell besonders heftige Debatte über immer weitere Einschränkungen bei Sozialleistungen für Geflüchtete und fordert die Eingliederung von Geflüchteten in das reguläre Sozialhilfesystem!

30 Jah­re lang Dis­kri­mi­nie­rung, Ent­mün­di­gung und Kür­zun­gen am Exis­tenz­mi­ni­mum Geflüch­te­ter – das ist die Bilanz, die PRO ASYL und Wohl­fahrts­ver­bän­de, medi­zi­ni­sche Orga­ni­sa­tio­nen, Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ver­ei­ne zie­hen. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegen­teil: Die Debat­te wird zuneh­mend von sach­frem­den und men­schen­feind­li­chen For­de­run­gen domi­niert. Die Dis­kus­sio­nen über Sozi­al­leis­tun­gen sind dafür ein gutes Bei­spiel. Die im Raum ste­hen­den For­de­run­gen rei­chen von einer gene­rel­len Umstel­lung von Geld- auf Sach­leis­tun­gen über dis­kri­mi­nie­ren­de Bezahl­kar­ten und eine Kür­zung des Exis­tenz­mi­ni­mums bis hin zur For­de­rung, dass kran­ken Men­schen eine medi­zi­ni­sche Grund­ver­sor­gung vor­ent­hal­ten wer­den soll.

Die für alle gel­ten­de Men­schen­wür­de scheint in der öffent­li­chen Debat­te kaum noch etwas zu zäh­len. Jeder Mensch hat Anspruch auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum. Dabei ist schon die jet­zi­ge Aus­ge­stal­tung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes ver­fas­sungs­recht­lich unhalt­bar – und noch wei­te­re dis­kri­mi­nie­ren­de Leis­tungs­kür­zun­gen sind es erst recht.

Sach­leis­tun­gen sind dis­kri­mi­nie­rend, teu­er und ver­fas­sungs­recht­lich min­des­tens frag­wür­dig. Das gilt auch für die von eini­gen Bun­des­län­dern und Politiker*innen gefor­der­te und zum Teil schon geplan­te Bezahl­kar­te, die die Ver­fü­gungs­mög­lich­keit über Bar­geld ein­schrän­ken soll.

Damals wie heute: Geflüchtete als Sündenböcke

Bereits vor 30 Jah­ren wur­den Geflüch­te­te zum Sün­den­bock für struk­tu­rel­le Feh­ler in der Poli­tik gemacht. Denn die gesell­schaft­li­che Stim­mung war 1992/1993, als das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz im Zuge der Beschnei­dung des Grund­rechts auf Asyl beschlos­sen wur­de, ähn­lich wie heu­te: Auch damals wur­den gestie­ge­ne Asyl­an­trags­zah­len zum Anlass genom­men für eine explo­si­ve flücht­lings­feind­li­che Stim­mungs­ma­che. Das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz war von Anfang an dazu gedacht, über Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen und schlech­te sozia­le Bedin­gun­gen Men­schen von der Flucht nach Deutsch­land abzu­hal­ten. Die­ser Grund­ge­dan­ke wird auch in den neu­en Vor­schlä­gen von Finanz­mi­nis­ter Lind­ner und Jus­tiz­mi­nis­ter Busch­mann zu Leis­tungs­kür­zun­gen deutlich.

Doch das funk­tio­niert nicht. Des­halb heißt es in unse­rem Appell: »Kein Mensch, der aus einem Krieg oder vor poli­ti­scher Ver­fol­gung flieht, gibt die Flucht auf, weil er oder sie in Deutsch­land dem­nächst mit noch mehr Sach­leis­tun­gen leben muss. Wenn in die­sem Jahr 2023 das Bun­des­amt in über 70 Pro­zent aller Asyl­an­trä­ge, die bis Sep­tem­ber inhalt­lich ent­schie­den wur­den, einen Schutz­sta­tus fest­stellt, wird nur all­zu deut­lich, dass die Men­schen nicht wegen der Sozi­al­leis­tun­gen kom­men, son­dern hier Schutz suchen.«

Das Ziel muss daher sein, auch ihnen ein Leben zu ermög­li­chen, dass der Wür­de des Men­schen ent­spricht. Das sieht auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt so und hat Kür­zun­gen des sozia­len Exis­tenz­mi­ni­mums „aus migra­ti­ons­po­li­ti­schen Grün­den“, also aus Grün­den der Abschre­ckung, in einem weg­wei­sen­den Urteil bereits 2012 als unzu­läs­sig erklärt, wie auch mehr­fach ver­schie­de­ne Rege­lun­gen als ver­fas­sungs­wid­rig beur­teilt wurden.

Bundesregierung setzt Versprechen nicht um

Nicht umsonst hat auch die Bun­des­re­gie­rung in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag 2021 zumin­dest ange­kün­digt, das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz »im Lich­te des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts« zu über­ar­bei­ten. Dies ist bis­lang nicht gesche­hen. Die ein­fachs­te und men­schen­wür­digs­te Lösung wäre dabei eine Abschaf­fung des dis­kri­mi­nie­ren­den Asyl­bLG und die Ein­glie­de­rung der Betrof­fe­nen ins regu­lä­re Sozialhilfesystem.