15.01.2016
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Am 18.01.1996 starben bei einem Brand in einer Lübecker Flüchtlingsunterkunft zehn Menschen. Die Täter wurden bis heute nicht gefunden. Foto: picture alliance / dpa

Bei einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft starben vor 20 Jahren zehn Menschen. Das damalige Totalversagen der Sicherheitsbehörden lässt Erinnerungen aufkommen.

Am 18. Janu­ar 1996 spiel­ten sich in Lübeck in den Mor­gen­stun­den grau­en­haf­te Sze­nen ab. Zehn Men­schen ster­ben in einer bren­nen­den Flücht­lings­un­ter­kunft, 38 wer­den zum Teil schwer ver­letzt. Die Men­schen ver­bren­nen oder ster­ben beim Sprung aus dem Fens­ter. Wenig spä­ter wer­den drei jun­ge deut­sche Män­ner aus Gre­ves­müh­len, die sich in der Nähe auf­hiel­ten, fest­ge­nom­men. Alle drei haben zumin­dest zeit­wei­se der rech­ten Sze­ne ange­hört. Eben­falls ein deut­li­cher Ermitt­lungs­an­satz: Alle drei hat­ten durch Feu­er ver­seng­te Haa­re und Augen­brau­en. Gre­ves­müh­len ist für die rech­te Sze­ne kein unbe­schrie­be­nes Blatt, dort gibt es akti­ve Struk­tu­ren wie Wehr­sport­grup­pen und Able­ger der Hammerskins.

1996 ist ein Jahr der Radi­ka­li­sie­rung der rech­ten Sze­ne, auch die spä­ter zum soge­nann­ten »Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grund« (NSU) zäh­len­den Neo­na­zis Böhn­hardt, Mund­los und Zsch­ä­pe begin­nen in die­ser Zeit, mit Bom­ben­at­trap­pen zu hantieren.

Ermit­telt wird gegen die Opfer

Doch was dann geschieht, erin­nert an die Struk­tur des Staats­ver­sa­gens in Sachen NSU – zum Teil bis in die Details. Die kru­den Erklä­run­gen der Tat­ver­däch­ti­gun­gen wer­den hin­ge­nom­men, ver­meint­li­che Ali­bis tau­chen auf: Frei­las­sung. Statt­des­sen wird nun­mehr ein im Haus woh­nen­der Liba­ne­se, der beim Brand selbst Ver­let­zun­gen erlit­ten hat, ver­däch­tigt. Er soll die Tat angeb­lich auf dem Weg ins Kran­ken­haus einem Sani­tä­ter gestan­den haben.

Und nun geschieht, was sich in Deutsch­land auch spä­ter wie­der­holt: Straf­ver­fol­ger und auch Jour­na­lis­ten rich­ten ihren Blick auf das Umfeld der Flücht­lin­ge. Plötz­lich geht es um angeb­li­che Auto­schie­be­rei­en, Kin­der­por­no­gra­fie, Dro­gen­han­del. Auch eine ande­re Ver­si­on passt in die Logik der Ermitt­lungs­be­hör­den: Es hät­te zwi­schen den Flücht­lin­gen auf­grund ihrer ver­schie­de­nen »eth­ni­schen« Hin­ter­grün­de Aus­ein­an­der­set­zun­gen gege­ben. Nur an einen, gera­de Anfang der 90er Jah­re nahe­lie­gen­den, rech­ten Anschlag wird nicht wei­ter gedacht. Mit­te 1997 wird der inzwi­schen ange­klag­te Liba­ne­se frei­ge­spro­chen. Die deut­schen Tat­ver­däch­ti­gen sind – viel Zeit ist ver­gan­gen – längst aus dem Schnei­der. Obwohl sich einer der deut­schen Tat­ver­däch­ti­gen wäh­rend einer Haft­stra­fe aus ande­ren Grün­den im Gefäng­nis mit dem Brand­an­schlag gegen­über Mit­häft­lin­gen brüs­tet, wer­den kei­ne neu­en Ermitt­lun­gen aufgenommen.

Ket­te von Ver­säum­nis­sen bei den Sicherheitsbehörden

Die Ermitt­lun­gen sind eine Ket­te von Ver­säum­nis­sen. Es kommt der Ver­dacht auf, eine Ver­bin­dungs­per­son der Poli­zei sei in den Fall mit­tel­bar ver­wi­ckelt. Bereits am 14. März 2013 hat Wolf-Die­ter Vogel in der ZEIT eine struk­tu­rel­le Ähn­lich­keit zwi­schen den Vor­fäl­len in Lübeck und dem Umgang mit den Taten des NSU fest­ge­stellt. Rai­ner Link hat am 6. Febru­ar 2015 im Deutsch­land­funk den Fall dar­ge­stellt: »Zehn tote Asyl­be­wer­ber, kei­ne Spur von den Tätern.« Im Wiki­pe­dia-Arti­kel zum Lübe­cker Brand­an­schlag fin­den sich wei­te­re Hin­wei­se auf Zusam­men­hän­ge und Folgen.

Als der dama­li­ge Lübe­cker Bür­ger­meis­ter Micha­el Bou­teil­ler den über­le­ben­den Bewoh­nern des Hau­ses Per­so­nal­do­ku­men­te aus­stel­len ließ, mit denen sie ihre toten Ange­hö­ri­gen zur Bei­set­zung in die Hei­mat­län­der beglei­ten und dann zurück­keh­ren konn­ten, hielt der dama­li­ge Innen­mi­nis­ter Schles­wig-Hol­steins, Ekke­hard Wien­holtz, es für nötig, Bou­teil­ler zum Rück­tritt auf­zu­for­dern, weil er damit sei­ne Befug­nis­se über­schrit­ten habe. Indes: Eine par­la­men­ta­ri­sche Auf­ar­bei­tung der dama­li­gen Ermitt­lun­gen und poli­ti­schen Vor­gän­ge hat es nicht gege­ben. Dabei könn­te der Fall Lübeck, soll­ten rech­te Täter betei­ligt gewe­sen sein, einer der schwers­ten ras­sis­ti­schen Anschlä­ge der bun­des­deut­schen Geschich­te sein – neben dem Okto­ber­festat­ten­tat in Mün­chen 1980 und der NSU-Mordserie.

Brand­an­schlag von Lübeck ist eine Mah­nung für die Gegenwart

Lübeck war in den Neun­zi­ger Jah­ren eines der Haupt­ak­ti­ons­fel­der des gewalt­tä­ti­gen Rechts­extre­mis­mus. Brand­an­schlä­ge auf die Syn­ago­ge, ein Brief­bom­ben­at­ten­tat auf den Bür­ger­meis­ter, Haken­kreuz­schmie­re­rei­en auf dem jüdi­schen Fried­hof, an Kir­chen und Wohn­häu­sern von Geist­li­chen und an der Brand­rui­ne selbst. Die Ver­viel­fa­chung der gewalt­tä­ti­gen Angrif­fe auf Flücht­lin­ge und ihre Unter­künf­te im Jah­re 2015 mahnt: Die Ver­gan­gen­heit ist nie­mals wirk­lich ver­gan­gen. Der fort­be­stehen­den Bereit­schaft der extre­men Rech­ten, zu mor­den, kann man sich sicher sein. Den Unwil­len eines Teils der Sicher­heits­be­hör­den, ernst­haft zu ermit­teln, muss man wei­ter­hin in Rech­nung stellen.

2015: Dra­ma­ti­scher Anstieg von Gewalt gegen Flücht­lin­ge (13.01.16)