Hintergrund
Zurück in die Zukunft: Syrienabschiebungen sind im Gespräch, während dort weiter Bomben fallen

Mitten im Sommerloch hat CDU-Politiker Haseloff eine Debatte angestoßen, die weitere Kreise gezogen hat als es die Absurdität des Vorschlags vermuten ließ: Syrische Flüchtlinge sollen bald in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Angesichts der katastrophalen Zustände im Land und der Gefahren für Rückkehrer ist das eine absolut abwegige Idee.
Ja, es gibt seit langem Binnenflüchtlinge, die innerhalb Syriens an ihre Wohnorte zurückkehren. Es gibt auch Flüchtlinge, die aus dem Ausland zurückkehren, zum Beispiel aus Deutschland wegen des Frusts über den gescheiterten Familiennachzug oder aus dem Libanon, wo der soziale und politische Druck zur Rückkehr wächst. Die »freiwillige« Rückkehr ist bislang allerdings ein Experiment auf eigenes Risiko, das bisweilen böse endet.
Neben Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff, propagiert vor allem der russische Präsident und Assad-Verbündete Putin die Heimkehr von Syrerinnen und Syrern. Im Vorfeld eines Treffens mit Bundeskanzlerin Merkel am 18. August in Meseberg forderte er die Europäische Union auf, sich finanziell am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen, sodass Geflüchtete so schnell wie möglich zurückkehren können – unter Assad. Im Hinblick auf früherer außenpolitische Beziehungen mit Syrien wäre es für die deutsche Führung gar nicht so abwegig, dieser Forderung nachzukommen: Vor gar nicht allzu langer Zeit haben viele deutsche Politiker den Assad-Clan um Vater und Sohn hofiert, Menschenrechtsverletzungen ignoriert und Geflüchtete in die Folterknäste des Regimes abgeschoben, mit dem sie ein Rückübernahmeabkommen abschlossen, als seien die Assads demokratische Partner. Nun ist es durchaus denkbar, dass Assad als realpolitisches Übel aus der Asche seines Landes wieder zu einem »Freund Deutschlands« aufsteigt.
Die politische Debatte in Deutschland greift vor
Allen voran springt selbstverständlich die AfD auf diesen Zug auf, lobt Putins Vorschlag als »vernünftig«. AfD-Politiker Hampel fordert, das Ziel deutscher Asylpolitik müsse es sein, »eine Situation zu schaffen, die die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat ermöglicht.« Wie die Asylpolitik in Deutschland einen Einfluss auf die Lage in Syrien haben soll, erklärt Hampel nicht, doch die passende Forderung hat die AfD schon in petto: Als Sofortmaßnahme soll der Nachzug von Familienangehörigen aus Syrien ausgesetzt werden. Und mit Assad müsse man verhandeln, ob es gefällt oder nicht. Die Bundesregierung bezeichnet eine Debatte über die von Putin geforderten Wiederaufbauhilfen zwar als verfrüht, der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wadephul betont aber, dass Deutschland prinzipiell zum Wiederaufbau beitragen sollte. Nur so »werden Flüchtlinge zurückkehren beziehungsweise nicht weiter hierher wandern wollen.« FDP-Fraktionsvize Lambsdorff wünscht sich dabei definitiv »eine Zukunft für Syrien ohne den Assad-Clan.« Anders CDU-Politiker Hardt: Er könnte sich eine Rolle des Regimes im Rahmen des Genfer Friedensprozesses zumindest übergangsweise vorstellen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Schmid verlangte die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und die Einbeziehung der syrischen Opposition bei Verhandlungen über eine Friedensordnung. Soweit so gut.
Ein baldiger Frieden ist überhaupt nicht in Sicht – schon gar keiner, der ein Ende der Diktatur von Assad zur Folge hätte.
Aber all diese Äußerungen verschleiern einen essentiellen Punkt: Ein baldiger Frieden ist überhaupt nicht in Sicht – schon gar keiner, der ein Ende der Diktatur von Assad zur Folge hätte. Beobachter im Iran spekulieren sogar, dass die Option »Assad bleibt, Iran geht« ein internationaler Kompromiss sein könnte, da die USA und Israel Russland drängen, den iranischen Einfluss in Syrien zu begrenzen. Bisher gehört der Iran gemeinsam mit Russland und der schiitischen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon zu den wichtigsten Unterstützern von Staatschef Assad. Sogar für den Iran selbst, scheint »Assad bleibt, Iran geht« eine mögliche Lösung zu sein: Dem Handelsblatt zufolge sagte ein iranischer Regierungssprecher: »Sobald wir das Gefühl haben, dass Syrien sich einer Stabilität nähert, können auch wir definitiv unsere militärischen Beratungen reduzieren – oder ganz abziehen« und folgt damit einem Aufruf Russlands, mit Beginn des politischen Prozesses in Syrien (und dem Sieg Assads) sollten sich alle ausländischen Truppen aus Syrien zurückziehen.
Rückkehrer in Gefahr
Russlands Sondergesandter für Syrien, Alexander Lavrentiev, beteuert, die rückkehrenden Flüchtlinge hätten in ihrer Heimat unter Assad nichts zu befürchten, doch Zweifel an diesen Beteuerungen sind groß. Statt um Reintegration und Versöhnung geht es dem syrischen Staatschef wahrscheinlich doch eher um Abrechnung mit seinen Gegnern.
Um sich auszumalen, was Rückkehrern blüht, falls Assad bleibt, braucht man dann auch nicht viel Fantasie. Der Diktator meint, durch acht Jahre Krieg sei eine »gesündere und homogenere Gesellschaft« entstanden. Sein Luftwaffengeheimdienstchef schießt nach: Für General Jamil Hassan ist ein Syrien mit »10 Millionen vertrauenswürdigen Leuten, die der Führung gehorchen« besser als ein Land mit »30 Millionen Vandalen«. Der Foltergeneral, in dessen Verliesen Tausende zu Tode gequält wurden, soll kürzlich gesagt haben, dass das Regime syrische Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr »wie Schafe« behandeln wird: »Wir werden die schlechten aussortieren und die guten nutzen«. Man muss nicht beim Schlachter arbeiten, um zu wissen, was mit aussortierten Schafen passiert. Rund 1,5 Millionen Personen sollen auf einer Fahndungsliste der Geheimdienste stehen, viele weitere wissen nicht, ob sie auch ohne Nennung darauf nicht trotzdem gesucht werden.
Männer bis ins mittlere Alter werden zwangsrekrutiert, Ärzte, Weißhelme und Aktivisten verhaftet und gefoltert.
Auch die Erfahrungen mit angeblichen Versöhnungsabkommen sprechen für sich. Solche wurden in allen Gebieten, die das Regime in den vergangenen Jahren zurückerobert oder durch jahrelange Belagerung zur Aufgabe gezwungen hat, geschlossen. Doch sobald die Aufständischen ihre Waffen niedergelegt hatten, galten die Versprechen des Regimes nichts mehr. Männer bis ins mittlere Alter werden zwangsrekrutiert, medizinisches Personal, Weißhelme und Aktivisten verhaftet und gefoltert. Etwa der Arzt Mutaz Htaitani, der in Ost-Ghouta praktizierte, während das Regime das Gebiet belagerte. Als im März russische und syrische Truppen den Zivilisten freies Geleit versprachen, nahm Htaitani das Angebot an. Trotzdem wurde er festgenommen. Anfang August informierte das Regime seine Familie über den Tod Htaitanis. Der Willkür des Assad-Regimes ausgesetzt sind auch die ersten Rückkehrer aus Jordanien, Libanon, Türkei und Europa. Sie berichten von Drohungen, Verhören und Schikanen. Von Aufarbeitung keine Spur – Rückkehrer müssen sich stattdessen mit dem Staat »versöhnen«. Das heißt, sie müssen unterschreiben, an der Rebellion gegen die Regierung beteiligt gewesen zu sein, womit das Regime dann über Jahre ein Druckmittel gegen die Betroffenen in der Hand hat. Die Dokumente dienen als Grundlage für hunderte von Festnahmen – vor allem in den ehemaligen Rebellenenklaven Ost-Ghouta und Daraa. Manchmal genügt sogar ein Telefonat mit Verwandten in Idlib oder der Türkei, um im Gefängnis zu landen. Im Juli nahmen Geheimdienstmitarbeiter mehrere Frauen fest, die mit vertriebenen Familienangehörigen telefoniert hatten. Ursprünglich sollte das russische Militär die Einhaltung der »Versöhnungsabkommen« kontrollieren. Bewohner der Vororte von Damaskus berichten dagegen, dass sich die russischen Militärpolizisten weitgehend aus dem Gebiet zurückgezogen hätten. Dementsprechend könnten die syrischen Geheimdienste und Sicherheitsapparate nun ungehindert Einwohner terrorisieren.

Kriegerische Auseinandersetzungen gehen weiter
Wo die Zweifel an Assads Versöhnungswillen und russischen Beteuerungen herrühren, ist also klar. Und selbst wenn man den Versprechungen Glauben schenken würde – so herrschen in Syrien noch immer Bürgerkriegsverhältnisse. Das Jahr 2018 begann mit einem Luftangriff auf ein Krankenhaus in Idlib. Nach UN-Angaben flohen Tausende aus der Region. Hilfsorganisationen warfen dem Assad-Regime vor, gezielt Krankenhäuser in der Provinz anzugreifen.
Assads Verbündeter Russland ging währenddessen intensiv gegen Aufständische in Ost-Ghouta vor. Von Februar bis April eskalierte der Kampf um Ost-Ghouta, Chemiewaffen wie Chlorgas sollen vom syrischen Regime eingesetzt worden sein und selbst kurze Feuerpausen, um die Menschen mit Hilfsgütern zu versorgen und Verwundete abzutransportieren, wurden von Assad lange Zeit abgelehnt. Nach der Eroberung durch die Regierung flüchteten tausende Zivilisten, vor allem in die noch überwiegend von Rebellen beherrschte Region Idlib.
Das Eingreifen der Türkei im Norden Syriens verschärfte die Konflikte weiter.
Vor einigen Monaten hatte auch das Eingreifen der Türkei im Norden Syriens die Konflikte weiter verschärft. Die Türkei sieht die kurdischen Einheiten unter der Führung der Gruppe YPG an ihrer Grenze als syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Im Januar 2018 beschossen die türkische Artillerie und pro-türkische Milizen daher Dörfer um die von Kurden kontrollierte Stadt Afrin im Nordwesten Syriens. Dort lebten auch schätzungsweise rund 10.000 Jesiden, die somit direkte Ziele der türkischen Militäroffensive wurden. Es folgten schwere Angriffe auf die Stadt selbst, bis sie im März von der Türkei eingenommen wurde. Der türkische Staatspräsident will die grenzüberschreitenden Einsätze des türkischen Militärs in Syrien und im Irak jetzt ausweiten. Er werde »die Quelle der Bedrohung« für sein Land trockenlegen, sagte er kürzlich beim Parteitag seiner islamisch-konservativen AKP in Ankara.
Was das nun unter anderem für die umkämpfte Region Idlib bedeutet ist unklar. Assad will sie erobern – Russland, Iran und die Türkei wollen das Vorhaben aus ihrem jeweiligen politischen Interesse heraus nicht unterstützen. «Idlib ist nun das nächste Ziel», sagte der syrische Diktator Ende Juli. Mitte August verstärkte die syrische Armee ihre Militäroperation gegen die Al-Nusra-Front nördlich von Hama, einem strategisch wichtigen Punkt, da das Gebiet an die Region Idlib grenzt.
Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe in der Region Idlib.
Eine schweizerische Zeitung berichtet unter Berufung auf die regierungsnahe syrische Zeitung Al-Watan, dass Assad das größte Truppenaufgebot seit 2011 in die Region im Norden geschickt hat. Dort leben aktuell zwei bis drei Millionen Menschen, viele sind syrische Binnenflüchtlinge oder Aufständische, die Assad dorthin gedrängt bzw. sogar in eigenen Bussen dorthin verfrachtet hat. Möglicherweise um ihnen jetzt den letzten, tödlichen Schlag zu versetzen. In die Schusslinie geraten werden wohl vor allem Zivilisten. Mit der Offensive auf die letzte große Hochburg der Aufständischen, bei der auch wieder Chemiewaffen zum Einsatz kommen könnten, würde Assad erneut eine große Fluchtwelle auslösen. Die Vereinten Nationen befürchten, dass der Einmarsch in Idlib über zwei Millionen Menschen zur Flucht in Richtung türkische Grenze zwingen könnte, was wiederum der türkische Präsident Erdogan zu verhindern sucht.

Hilfsorganisationen warnen vor einer Offensive der syrischen Armee in Idlib, welche zu einer humanitären Katastrophe führen würde. Care International sieht ein Ausmaß an zivilem Leid voraus, wie es in sieben Jahren Krieg noch nie da gewesen sei. Die Krankenhäuser in Idlib seien bereits überlastet und könnten die erwartenden Verletzten bei einer großen Militäroffensive nicht mehr versorgen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einem Anstieg akuter Unterernährung und dem Ausbruch von Krankheiten in Idlib. Die Verhinderung von Impfungen könne dazu führen, dass sich Krankheiten wie Polio ausbreiteten. »Die Gesundheitssituation im Nordwesten Syriens ist bereits schlecht und wird sich voraussichtlich verschlechtern«, sagte WHO-Regionaldirektor Thieren. »Wenn die WHO keine zusätzlichen Mittel erhält, haben mehr als zwei Millionen Menschen, die zwischen die Fronten geraten sind, keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung, einschließlich lebensrettender Maßnahmen.«
Todesfälle wegen Wassermangel
Abgesehen von der katastrophalen Prognose für Idlib sind Wohnviertel, Dörfer und Städte in ganz Syrien oft völlig zerstört und geplündert. Es gibt weder Wasser noch Strom, weder Schulen noch Krankenhäuser. »Vorab bereit gestellte Materialien für Notunterkünfte und einfachste Haushaltsgegenstände sind nun aufgebraucht. Damit sind die Vertriebenen hohen Temperaturen und Wüstenwinden schutzlos ausgesetzt. Es gibt bereits Berichte von Todesfällen wegen Wassermangels oder verschmutztem Wasser«, berichtet der Chef der UN-Nothilfe Lowcock.
Das Kinderhilfswerk UNICEF oder »Save the Children« weisen schon länger auf die Folgen dieses Krieges hin, speziell für Kinder, die während ihrer wichtigsten Entwicklungsphase nichts anderes erleben als Krieg und Gewalt. Mädchen und Jungen seien so traumatisiert, dass sie psychologische Hilfe bräuchten, um ihr Leben trotz der verheerenden Bilder im Kopf in den Griff zu bekommen. Aber wo noch nicht einmal Wasser und Lebensmittel reichen, scheint diese Form der Unterstützung weit entfernt.
Zu den Verbrechen gegen Kinder gehören neben Rekrutierung und Ermordung auch Vergewaltigungen, Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen, Verschleppungen und Hilfsverweigerung.
UNICEF-Berichten zufolge war das vergangene Jahr das tödlichste für Kinder in Syrien: Mindestens 900 Mädchen und Jungen starben im Jahr 2017, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Das laufende Jahr wird diese Zahlen aber noch übertreffen: In den ersten beiden Monaten 2018 wurden bereits über 1.000 Kinder getötet oder verletzt. Zu den Verbrechen gegen Kinder gehören neben Rekrutierung und Ermordung auch Vergewaltigungen, Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen, Verschleppungen und die Weigerung, Kindern Hilfe zukommen zu lassen. Virginia Gamba, UN-Sonderbeauftragte für Kinder in Konflikten, berichtet: »Die meisten Tötungen und Verstümmlungen gehen auf die syrische Armee und pro-Regierungs-Truppen zurück.«
Diese Gräuel passieren, während man in Deutschland schon über Wiederaufbauhilfen und die Pros und Kontras von Verhandlungen mit Assad debattiert. Russland, noch bis vor kurzem als Alliierter und Luftwaffe des syrischen Regimes von der deutschen Regierung kritisiert, soll jetzt offenbar Garant des Rückkehrprozesses werden. Bei vielen Flüchtlingen dürfte dies nach ihren Erfahrungen eher Ängste hervorrufen als beseitigen. Vielen von ihnen ist die lange Blutspur des Assad-Regimes, die lange vor dem Bürgerkrieg begann, noch lebhaft in Erinnerung.
Die Lage im Moment ist mehr als fatal und macht es für die meisten syrischen Flüchtlinge unmöglich, in das zerstörte Land zurückzukehren.
Zwar sind nicht alle vor dem Diktator geflohen. Die Situation in Syrien war und ist komplex, Syrerinnen und Syrer hatten die unterschiedlichsten Gründe aus dem Land zu fliehen – vor dem Assad-Regime, vor gezielter Verfolgung als Oppositionelle, vor Flächenbombardements und Kampfhandlungen, vor bewaffneten Milizen, vor dem »Islamischen Staat«, wieder andere vor der allgemeinen Unsicherheit, vor der katastrophalen Versorgungssituation. So unterschiedlich, wie die Fluchtgründe waren, so unterschiedlich werden ihre Möglichkeiten für eine Rückkehr sein. Aber egal wie: Die Lage im Moment ist mehr als fatal und macht es für die meisten syrischen Flüchtlinge unmöglich, in das zerstörte Land zurückzukehren.
(Tina Zapf)