07.09.2021
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Herbert Leuninger (li.) und Jürgen Micksch haben 1986 die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL mit ins Leben gerufen. Foto: PRO ASYL

Seit 35 Jahren engagiert sich PRO ASYL für die Flüchtlings- und Menschenrechte. Gegründet wurde die Organisation in einer Zeit, als Ausgrenzung und Diskriminierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden die öffentliche Debatte dominierten. Die Idee dazu hatte Dr. Jürgen Micksch, der Gründer und heutige Ehrenvorsitzende von PRO ASYL.

Im Herbst 1985 kamen immer mehr Asyl­su­chen­de nach Deutsch­land. Die Stim­mung in der Bevöl­ke­rung war ihnen gegen­über durch­weg ableh­nend. In zahl­rei­chen klei­ne­ren Orten ver­sam­mel­ten sich Bür­ger und ver­such­ten zu ver­hin­dern, dass die Asyl­su­chen­den in ihrem Ort auf­ge­nom­men wer­den. Und was empö­rend war: Es gab kaum eine Stim­me, die sich für die­se Flücht­lin­ge ein­setz­te. Damals sprach ich dar­über mit mei­nem katho­li­schen Kol­le­gen Rechts­an­walt Her­bert Becher vom Kom­mis­sa­ri­at der Deut­schen Bischö­fe, der vie­le Erfah­run­gen im Flücht­lings­be­reich hatte.

Ich woll­te mich dafür ein­set­zen, dass sich wenigs­tens die Sozi­al­ver­bän­de zusam­men­schlie­ßen und für Flücht­lin­ge ein­tre­ten. Doch er sag­te mir, dass ich das las­sen soll­te, da die­se Ver­bän­de zer­strit­ten sei­en und dabei nichts zu errei­chen sei.

Das hat mich nicht zufrie­den­ge­stellt. Zum 30. Novem­ber 1985 lud ich zu einer Tagung der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing nach Hof in Bay­ern ein, wo wir über die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen spre­chen woll­ten. Teil­ge­nom­men hat neben Lan­des­bi­schof Dr. Johan­nes Han­sel­mann der Hohe Flücht­lings­kom­mis­sar der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR) in Deutsch­land, René van Rooy­en. Mein Gedan­ke war es, mit Hil­fe des UN-Kom­mis­sars die deut­schen Ver­bän­de zu einer Koope­ra­ti­on zu gewin­nen. Am Abend nach der Ver­an­stal­tung saß ich mit René van Rooy­en zusam­men und frag­te ihn, ob er sich vor­stel­len könn­te, einen deut­schen Flücht­lings­rat zu unter­stüt­zen, wie es ihn ähn­lich in Hol­land gab. Er befür­wor­te­te dies und wir bespra­chen das wei­te­re Vorgehen.

In den fol­gen­den Mona­ten traf ich mich zu wei­te­ren Gesprä­chen mit René van Rooy­en, mei­nem katho­li­schen Kol­le­gen Pfar­rer Her­bert Leu­nin­ger vom Bis­tum Lim­burg, Gün­ter Burk­hardt vom Öku­me­ni­schen Vor­be­rei­tungs­aus­schuss zur Woche der aus­län­di­schen Mit­bür­ger und ande­ren. Gemein­sam spra­chen wir über das Vor­ge­hen und schließ­lich lud ich einen klei­nen Kreis von ver­ant­wort­li­chen Per­sön­lich­kei­ten vor allem aus den Sozi­al­ver­bän­den zu einer Tagung am 30. Juni 1986 in die Evan­ge­li­sche Aka­de­mie Tutz­ing ein. Dafür hat­te ich ein »Kon­zept zur Bil­dung eines Flücht­lings­ra­tes« vor­be­rei­tet, das ich bei der Sit­zung vor­le­gen woll­te. René van Rooy­en sprach dort ein­füh­rend und bald danach gab es so hef­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen, dass wir die vor­ge­se­he­ne Bil­dung eines Flücht­lings­ra­tes zuerst ein­mal zurück­stell­ten. In Abspra­che mit dem UNHCR in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land lud ich dann aus­ge­wähl­te Per­so­nen zur »kon­sti­tu­ie­ren­den Sit­zung des Flücht­lings­ra­tes« für den 8. Sep­tem­ber 1986 in das Domi­ni­ka­ner­klos­ter nach Frank­furt am Main ein.

Dar­auf schrieb mir Dr. Kon­rad Pölzl vom Deut­schen Cari­tas­ver­band in einem aus­führ­li­chen Brief, dass ihm das Vor­ge­hen »über­stürzt« zu sein schien und dass er nicht teil­neh­men wer­de. Ähn­lich äußer­te sich das Dia­ko­ni­sche Werk der EKD. Die Kri­tik erreich­te auch den Ver­tre­ter des UNHCR, der in einem Schrei­ben an mich zwar eini­ge kri­ti­sier­te Punk­te auf­griff, sich aber dafür aus­sprach, nicht »vom Datum des 8. Sep­tem­ber abzurücken«.

Die Gründung

Nach den kri­ti­schen Dis­kus­sio­nen vor der Sit­zung war mir klar, dass wir nicht von einem »Flücht­lings­rat« spre­chen soll­ten – aber einen geeig­ne­ten Namen konn­te ich nicht fin­den. Am Abend vor der Zusam­men­kunft saßen wir in einem klei­nen Kreis zusam­men und spra­chen über mög­li­che Namen. Da sag­te Robin Schnei­der von der Gesell­schaft für bedroh­te Völ­ker, es müss­te ein Name wie Pro Flücht­lin­ge oder PRO ASYL sein. Das hat mich sofort über­zeugt. Für die­se Idee zahl­te ich ihm zehn Pfen­ni­ge – so wie ich es aus mei­ner Thea­ter­zeit kann­te. Seit­dem bin ich Besit­zer des Namens PRO ASYL. Abends besuch­te ich Pfar­rer Her­bert Leu­nin­ger in Schwal­bach, wo er wegen der Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen in Zel­ten in den Hun­ger­streik getre­ten war. Er konn­te an der kon­sti­tu­ie­ren­den Sit­zung nicht teil­neh­men, gab mir aber sei­ne Zustim­mung zu den vor­ge­se­he­nen Beschlüs­sen. Die Sit­zung begann dann in guter Atmosphäre.

Der Name PRO ASYL fand brei­te Zustim­mung. Wir nah­men eine Pres­se­mit­tei­lung ein­stim­mig an, die ich am nächs­ten Tag selbst zur Frank­fur­ter Rund­schau, zur Deut­schen Pres­se­agen­tur (dpa) und zum Evan­ge­li­schen Pres­se­dienst (epd) brach­te und in der es heißt: »Als Ant­wort auf die jüngs­te Asyl­dis­kus­si­on, wel­che die Auf­nah­me poli­ti­scher Flücht­lin­ge in der Bun­des­re­pu­blik infra­ge stellt, haben sich am 8. Sep­tem­ber in Frank­furt 15 ver­ant­wort­li­che Mit­ar­bei­ter aus Wohl­fahrts­ver­bän­den, Kir­chen und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen zu der bun­des­wei­ten Arbeits­ge­mein­schaft für Flücht­lin­ge ‚ PRO ASYL ́ zusam­men­ge­fun­den. … Der Ver­tre­ter des UNHCR in der Bun­des­re­pu­blik, René von Rooy­en, begrüß­te in Frank­furt die Initia­ti­ve als einen Schritt zur Ver­sach­li­chung der Asyl­dis­kus­si­on. … Vor­be­rei­tet wer­den von PRO ASYL zur­zeit Initia­ti­ven für den Tag des Flücht­lings am 3. Okto­ber 1986 …«

»Für die­se Idee zahl­te ich ihm zehn Pfen­ni­ge – so wie ich es aus mei­ner Thea­ter­zeit kann­te. Seit­dem bin ich Besit­zer des Namens PRO ASYL.«

Jür­gen Micksch zur Namensfindung

Die Pres­se­mit­tei­lung fand eine beacht­li­che Ver­brei­tung. Unver­ges­sen ist mir die Aus­sa­ge einer Pfar­re­rin, die mir sag­te, dass sie nach der Lek­tü­re der weni­gen Zei­len zur Grün­dung von PRO ASYL bit­ter­lich geweint habe. Sie hat sich nicht vor­stel­len kön­nen, dass sich Men­schen in Deutsch­land für Flücht­lin­ge zusam­men­schlie­ßen. Bereits am nächs­ten Mor­gen um 7 Uhr gab ich die ers­ten Inter-
views. Ich war nur noch mit PRO ASYL befasst, was ich zeit­lich ange­sichts mei­ner Auf­ga­ben in der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing nicht leis­ten konn­te. Wir hat­ten ver­ein­bart, dass PRO ASYL drei Spre­cher hat: Wolf­gang Grenz von amnes­ty inter­na­tio­nal aus Bonn, Her­bert Leu­nin­ger vom Bis­tum Lim­burg aus Hofheim/Taunus und der erfah­re­ne Recht­an­walt Vic­tor Pfaff aus Frank­furt. Nach den vie­len Anfra­gen beschloss ich, kei­ne Inter­views mehr zu PRO ASYL zu geben. Bereits im Vor­feld hat­te ich gesagt, dass ich aus Zeit­grün­den nur den Vor­sitz der Arbeits­ge­mein­schaft PRO ASYL über­neh­men könne.

Die Anfra­gen von Medi­en an Vic­tor Pfaff nah­men aller­dings so zu, dass er nach 14 Tagen erklär­te, dass er sei­ne Spre­cher­funk­ti­on nicht wei­ter wahr­neh­men kön­ne. Kurz dar­auf infor­mier­te mich auch Wolf­gang Grenz, dass er aus Arbeits­über­las­tung die Spre­cher­funk­ti­on abge­ben müs­se. So blieb Her­bert Leu­nin­ger, der von Bischof Franz Kamph­aus teil­wei­se frei­ge­stellt wur­de und die Auf­ga­ben acht Jah­re lang über­nahm. Er arbei­te­te eng mit Gün­ter Burk­hardt zusam­men, der von Anfang an bis heu­te als Geschäfts­füh­rer PRO ASYL auf­ge­baut hat.

Kritik

Die Kri­tik an PRO ASYL ging aller­dings wei­ter. Bereits weni­ge Tage nach der Grün­dung beschloss die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Wohl­fahrt­ver­bän­de, ihren Mit­ar­bei­ten­den eine Mit­wir­kung bei PRO ASYL zu ver­bie­ten. Tri­um­phie­rend infor­mier­te mich dar­über der zustän­di­ge Refe­rent des Bun­des­vor­stan­des der SPD und sag­te, dass ich nun PRO ASYL »ein­pa­cken« kön­ne. Die Mit­wir­ken­den vom Deut­schen Roten Kreuz oder der Arbei­ter­wohl­fahrt kamen trotz­dem zu den Sit­zun­gen und muss­ten dafür einen Urlaubs­tag neh­men. Im Lau­fe der Jah­re wirk­ten dann immer mehr Mit­ar­bei­ten­de der Wohl­fahrts­or­ga­ni­sa­tio­nen bei PRO ASYL mit. Erst nach über 30 Jah­ren hat die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Wohl­fahrts­ver­bän­de auf Grund eines Schrei­bens von mir die­ses Ver­bot aufgehoben.

Auch der Rat der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (EKD) ließ mich zwei­mal dar­um bit­ten, die Arbeit für PRO ASYL zu been­den. Im Rah­men der Aka­de­mie­ar­beit setz­te ich das ehren­amt­li­che Enga­ge­ment fort. Umso mehr hat es mich gefreut, dass zum 20jährigen Jubi­lä­um von PRO ASYL der Vor­sit­zen­de des Rates der EKD, Bischof Wolf­gang Huber, an uns geschrie­ben hat: »Wenn es PRO ASYL nicht gäbe, müss­te es erfun­den wer­den. Aber zum Glück gibt es PRO ASYL seit zwan­zig Jahren.«

»»Wenn es PRO ASYL nicht gäbe, müss­te es erfun­den wer­den. Aber zum Glück gibt es PRO ASYL seit zwan­zig Jahren.««

Bischof Wolf­gang Huber, EKD Rats­vor­sit­zen­der 2006

Förderverein und Stiftung

In der Arbeits­ge­mein­schaft PRO ASYL wur­de bald deut­lich, dass die anfal­len­den Arbei­ten nicht nur ehren­amt­lich wahr­ge­nom­men wer­den konn­ten. Daher grün­de­ten wir am 2. Dezem­ber 1987 in
Frank­furt den »För­der­ver­ein PRO ASYL – Arbeits­ge­mein­schaft für Flücht­lin­ge«, der in das Ver­eins­re­gis­ter von Frank­furt am Main ein­ge­tra­gen wur­de. Durch kos­ten­lo­se Anzei­gen z.B. im SPIEGEL gelang es uns, immer mehr för­dern­de Men­schen zu gewin­nen. Wir konn­ten Per­so­nal einstellen.

Da uns spä­ter z.B. Woh­nun­gen mit Miet­ein­nah­men aus Nach­läs­sen zur Ver­fü­gung gestellt wur­den, war die Struk­tur eines Ver­eins über­for­dert. Im Jahr 2002 grün­de­ten wir die Stif­tung PRO ASYL, die ins­be­son­de­re Pro­jek­te im Aus­land wie in Grie­chen­land för­der­te. 26 Jah­re habe ich den Vor­sitz der Arbeits­ge­mein­schaft PRO ASYL wahr­ge­nom­men, spä­ter auch den Vor­sitz des För­der­ver­eins und schließ­lich den der Stif­tung. Im Jahr 2012 habe ich die­se ehren­amt­li­chen Funk­tio­nen an Andre­as Lipsch über­ge­ben, der auch mein Nach­fol­ger als Inter­kul­tu­rel­ler Beauf­trag­ter der Evan­ge­li­schen Kir­che in Hes­sen und Nas­sau (EKHN) gewe­sen ist. Die För­der­ge­mein­schaft von PRO ASYL mach­te mich beim Aus­schei­den zum Ehren­vor­sit­zen­den, was mich sehr gefreut hat. Die Arbeit wur­de in mei­nem Sinn wei­ter­ge­führt. Inzwi­schen hat der För­der­ver­ein über 25.000 Mit­glie­der und eine sta­bi­le finan­zi­el­le Struktur.

Jür­gen Micksch

Der Text stammt aus dem Werk »Wan­del durch Kon­tak­te« (Janu­ar 2021)


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