Hintergrund
Wenn Menschenrechte nicht mehr zählen: Europas Kooperationen mit Despoten
Flüchtlinge möglichst weit von Europa fernhalten - das ist das Ziel der Europäischen Union. Dabei sind scheinbar alle Helfer recht: Ob Diktator, gesuchter Kriegsverbrecher oder Despot - wer bei der »Flüchtlingsabwehr« hilft, der bekommt Unterstützung von der EU.
Der schmutzige Deal mit der Türkei ist nicht das Ende der Fahnenstange: Die Europäische Union will auch mit anderen Ländern sogenannte »Migrationspartnerschaften« eingehen. Ganz oben auf der Liste stehen dabei afrikanische Staaten.
Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden von Unrechtsregimes
Im Juni hatte die EU-Kommission ein Strategiepapier veröffentlicht. Darin ist vorgesehen, dass Länder, die Migration im Sinne der EU bekämpfen, dafür mit Hilfsgeldern und politischen und wirtschaftlichen Vorteilen belohnt werden – wer hingegen nicht mitmacht, der muss damit rechnen, dass Gelder gestrichen und Abkommen ausgesetzt werden. Auf der Liste der EU-Kommission tauchen unter anderem Libyen, Somalia, Äthiopien und Nigeria auf.
Nach dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn« zielt Europas Politik auf ein Unsichtbarmachen von Flüchtlingen und der tatsächlichen Ursachen von Flucht.
Doch damit nicht genug: Auch das Projekt »Better Migration Management« ist in Planung. In den Bereichen »Migration, Mobilität und Rückübernahme« will man mit dem Sudan, Somalia, Südsudan oder Eritrea kooperieren – so soll es zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden geben und man möchte Abschiebungen in diese Staaten ermöglichen.
Verfolgerstaaten als Komplizen Europas
Im Klartext: Europa möchte mit genau den Regierungen zusammenarbeiten, vor denen viele Menschen derzeit fliehen. Asyl in Europa soll für Flüchtlinge unerreichbar werden. Dabei sollen nicht nur Schutzsuchende ihren Verfolgern ausgeliefert werden, man will den Machthabern sogar dabei helfen, die eigene Bevölkerung an der Flucht zu hindern.
Die vielbeschworenen europäischen Werte gelten offenbar doch nicht so universell: Wenn es darum geht, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, drückt man in Brüssel auch mal beide Augen zu. Hauptsache, die Menschen bleiben, wo sie sind, und kommen nicht auf die Idee, auch in den Genuss dieser humanitären Werte kommen zu wollen.
In der Folge Informationen zu einigen Staaten, mit denen die EU eine Zusammenarbeit plant. Die genauen Pläne finden sich in diesen – teils geheimen – EU-Dokumenten: Strategiepapier der EU-Kommission, »Action Fiche« Better Migration Management, vertrauliche Unterlagen, über die das Magazin Monitor berichtet, Statewatch Non-Papers zu Sudan, Somalia und Äthiopien.
Mit dem Sudan will die EU unter anderem beim »Grenzmanagement« kooperieren. So soll in die Ausbildung von Grenzpolizisten und die Infrastruktur investiert werden. Scheinbar kein Problem ist dabei, dass der Präsident des Landes, Omar al-Baschir, vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermords gesucht wird und der Sudan sich auf der Liste der »terrorunterstützenden Staaten« des US-Außenministeriums befindet.
Aus dem Land fliehen immer wieder Menschen, die EU spricht von rund 10.000 sudanesischen Flüchtlingen im Jahr 2015. Im europaweiten Schnitt werden 55 Prozent der Asylanträge anerkannt. Eine mögliche Folge der geplanten EU-Kooperation ist, dass bereits kürzlich über 400 Eritreer im Sudan festgehalten und in ihr Herkunftsland abgeschoben wurden. Dort drohen schwere Menschenrechtsverletzungen.
Libyen ist seit dem Sturz des Diktators Gaddafi ein klassischer »failed state« in dem verschiedene bewaffnete Gruppierungen um die Macht kämpfen. Die neue »Einheitsregierung« hat große Probleme, die Kontrolle im Land zu gewinnen. Teile des Landes werden vom IS kontrolliert. Aufgrund der geographischen Lage kommt Libyen aber eine zentrale Rolle zu, ein Großteil der Flüchtlingsboote startet von hier.
Die EU plant daher, das Land nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals zum nächsten Türsteher Europas zu machen, wie es auch unter Gaddafi lange Zeit der Fall war. Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten berichten massenhaft über Inhaftierungen und schwere Misshandlungen, die ihnen in Libyen widerfahren sind. Auch Amnesty International hat einen Bericht dazu veröffentlicht.
Auch mit Eritrea soll zusammengearbeitet werden, dort wird z.B. der »Aufbau von Justizkapazitäten« genannt. Und das in einem Land, in dem der Diktator Isayas Afewerki seine Bevölkerung zu Militärdienst zwingt, der nicht selten auch mal zehn Jahre lang dauert. Auch gibt es Fälle von politischen Gegnern und Journalisten, die seit mehr als 15 Jahren ohne Urteil und Kontakt zur Außenwelt inhaftiert sind. Eritrea belegt im Pressefreiheits-Ranking der Reporter ohne Grenzen den letzten Platz weltweit. Das Land ist eines der Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen in Deutschland. Nahezu alle von ihnen erhalten hier Schutz.
Seit Jahrzehnten fliehen Menschen aus dem umkämpften »failed state«. Hunderttausende von ihnen leben in Kenia, im größten Flüchtlingslager der Welt, Dadaab. Dem droht jetzt die Schließung durch die kenianische Regierung – während sich Europa aus der Verantwortung für den internationalen Flüchtlingsschutz zieht, werden andere Staaten animiert, dem Beispiel zu folgen.
In Somalia selbst sind Frieden, Sicherheit und Menschenrechte in weiter Ferne, Teile des Landes werden von der islamistischen Al-Shabaab-Miliz beherrscht. Die bereinigte Schutzquote für somalische Schutzsuchende betrug in Deutschland 2015 81,5 Prozent.
Der Südsudan feierte erst kürzlich den fünften Jahrestag seiner Unabhängigkeit – und versank zugleich in neuen Unruhen. Hintergrund ist der Machtkamp zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Stellvertreter Riek Machar. Erst im Juli flohen daher mehrere Zehntausend Menschen vor den erneuten Kämpfen im Land. 90 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder, so das UNHCR.
Das Europäische Parlament hat in seiner Resolution vom 21. Januar 2016 die äthiopische Regierung aufgrund schwerwiegender und verbreiteter Menschenrechtsverletzungen vehement kritisiert. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) und die EU-Kommission plädieren nichtsdestotrotz auch für die Verhandlung eines Rückübernahme-Abkommens mit Äthiopien und weitere umfangreiche Kooperationen.
Auch Nigeria steht auf der Liste der »priority countries« für die sogenannte »Migrationspartnerschaft«. Die Möglichkeiten auf Schutz in Europa sollen so offenbar für Nigerianer*innen weiter begrenzt werden, obwohl es allein 2015 zu tausenden Toten und Millionen Vertriebenen Zivilisten kam. Vor allem der Konflikt mit den Islamisten von Boko Haram, die den Nordosten des Landes unter Kontrolle haben, zwingt viele Menschen zur Flucht.
Max Klöckner