15.05.2014
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Bild: flickr/daniMU

Mohammed Issa ist einer der wenigen, die aus dem tunesischen Flüchtlingslager Choucha aufgenommen wurden. Seine jahrelange Flucht endet hier. Nicht aber die seiner Familienangehörigen.

Im Jahr 2012 nimmt die Bun­des­re­gie­rung per „Resett­le­ment“ neben 105 Irak­flücht­lin­gen aus der Tür­kei 201 Schutz­be­dürf­ti­ge aus dem tune­si­schen Grenz­la­ger Chou­cha auf. Einer von ihnen ist Moha­med Issa aus Darfur.

Issa ver­lässt sei­ne Hei­mat Al Mali­ha in Nord­ost-Dar­fur im Jahr 1988, um in Liby­en Geo­lo­gie zu stu­die­ren. Nach­dem Stu­di­um fin­det er zeit­wei­se Anstel­lun­gen in Liby­en, lebt und arbei­tet dort wie vie­le sub­sa­ha­ri­sche Afri­ka­ner vor­über­ge­hend, kehrt aber regel­mä­ßig in sei­ne Hei­mat zurück. Infol­ge eines gewalt­tä­ti­gen Über­griffs auf sein Dorf wäh­rend eines Hei­mat­auf­ent­halts 2004 ist Issa gezwun­gen, Dar­fur zu ver­las­sen, nach Liby­en zu flie­hen und dort zu bleiben.

Sechs Jahre lang von Partnerin getrennt 

Auf­grund der erschwer­ten Grenz­über­que­rung seit die­ser Zeit und der erhöh­ten Gefah­ren bei einer Flucht durch die Wüs­te blei­ben sei­ne Ange­hö­ri­gen in Dar­fur zurück. Die­se Tren­nung soll­te nicht von kur­zer Dau­er blei­ben. Erst 2010 gelingt es Moha­med Issa, sei­ne Frau nach Liby­en zu holen, wo sie hei­ra­ten. Zusam­men leben sie mit all den Schwie­rig­kei­ten, denen sie als Afri­ka­ner aus dem Sub­sa­ha­ra­raum in Liby­en aus­ge­setzt sind, in Tripoli.

Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen gehö­ren zu ihrem All­tag. Issa bemüht sich um die Aner­ken­nung als Flücht­ling durch den UNHCR in Liby­en, aber ver­geb­lich. Er berich­tet von der struk­tu­rel­len Unzu­gäng­lich­keit zur Flücht­lings­an­er­ken­nung des UNHCR, der Miss­ach­tung und Ver­hin­de­rung des Aner­ken­nungs­ver­fah­rens durch liby­sche Auto­ri­tä­ten und Sicher­heits­per­so­nal, die den Zugang zum UNHCR kontrollieren.

Libyen: Situation für Migrantinnen und Migranten verschärft sich

Mit Beginn der Unru­hen, den Stra­ßen­schlach­ten und der schritt­wei­sen Erobe­rung von Gebie­ten durch die Rebel­len ver­schärft sich die Situa­ti­on 2011. Issa und sei­ne Frau wer­den durch Gebiets­kon­flik­te getrennt. Sie hal­ten sich in von unter­schied­li­chen Kon­flikt­par­tei­en besetz­ten Stadt­tei­len auf und kön­nen sich nicht mehr sehen. Der Sturz des Gad­da­fi-Regimes, der dadurch aus­ge­lös­te Bür­ger­krieg und letzt­lich die NATO-Inter­ven­ti­on zwin­gen die Men­schen zu fliehen.

Die weni­gen, denen das mög­lich ist, keh­ren in ihre Hei­mat­län­der zurück, so auch die Frau von Issa. Ande­re ris­kie­ren ihr Leben, indem sie auf Boo­te in Rich­tung Euro­pa stei­gen, wie­der ande­re flie­hen Rich­tung Tune­si­en. So auch Issa. Im März 2011 erreicht er die libysch-tune­si­sche Gren­ze und wird in einem der Flüchtlingslager,wie sie nun in die­ser Wüs­ten­re­gi­on zwi­schen Liby­en und Tune­si­en ent­ste­hen, auf­ge­nom­men. Im Camp erhält er von UNHCR den Schutz­sta­tus eines aner­kann­ten Flücht­lings gemäß der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on. Noch wei­te­re 16 Mona­te müs­sen Issa und ande­re in dem schutz­lo­sen Wüs­ten­camp aus­har­ren, bis Deutsch­land von dort 201 aner­kann­te Flücht­lin­ge auf­nimmt, dar­un­ter beson­ders Schutz­be­dürf­ti­ge sowie beson­ders gut Ausgebildete.

Von Choucha nach Berlin

So lässt sich die Auf­nah­me von Moha­med Issa, einem stu­dier­ten Geo­lo­gen, auch erklä­ren. Die Chou­cha-Flücht­lin­ge wer­den auf ver­schie­de­ne Bun­des­län­der ver­teilt und zunächst in so genann­ten Gemein­schafts­un­ter­künf­ten unter­ge­bracht. Moha­med Issa kommt in die Auf­nah­me­ein­rich­tung Mari­en­fel­de in Ber­lin. Er ist glücklich,dass sei­ne jah­re­lan­ge Flucht ein Ende hat, dass er end­lich in Sicher­heit ist. Die Her­aus­for­de­run­gen, die die­ses neue Leben mit sich bringt, sind ande­re. Deutsch­ler­nen, eine Arbeit und eine Woh­nung fin­den; und das alles in Ber­lin, wo Arbeits- und Woh­nungs­markt äußerst ange­spannt sind.

Außer­dem blei­ben die sor­gen­vol­len Gedan­ken an die zurück­ge­las­se­nen Ange­hö­ri­gen. In Dar­fur, wo Mut­ter, Frau und Kind von Issa leben, wer­den die eth­ni­schen Kon­flik­te bis heu­te fort­ge­setzt. Durch die anhal­ten­de Gewalt haben Tau­sen­de ihr Leben und ihre Hei­mat ver­lo­ren. Issa möch­te sei­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zu sich nach Deutsch­land holen, doch die Auf­nah­me­an­ord­nung des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums sieht dies nicht vor.

Schlechterstellung gegenüber anerkannten Flüchtlingen

Issa hat eine auf drei Jah­re befris­te­te Auf­ent­halts­er­laub­nis (§ 23 Abs. 2 Auf­ent­halts­ge­setz) erhal­ten, die ihm die Aus­übung einer Erwerbs­tä­tig­keit erlaubt. Die­ser Auf­ent­halts­ti­tel berech­tigt nicht zum so genann­ten »erleich­ter­ten« Fami­li­en­nach­zug, wie er aner­kann­ten Flücht­lin­gen gemäß der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on in Deutsch­land zuge­stan­den wird. Der durch die Auf­nah­me­an­ord­nung des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums erteil­te Titel stellt ihn hin­sicht­lich des Fami­li­en­nach­zugs schlech­ter, weil die­ser an Bedin­gun­gen geknüpft wird: Issa muss den Lebens­un­ter­halt für sich und sei­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen bestrei­ten können,sowie über aus­rei­chen­den Wohn­raum verfügen.

Außer­dem muss sei­ne Frau vor­der Ein­rei­se Deutsch­kennt­nis­se auf A1-Niveau des euro­päi­schen Refe­renz­rah­mens nach­wei­sen. Für sei­ne Mut­ter gilt, dass nach dem Gesetz eine »außer­ge­wöhn­li­che Här­te« fest­ge­stellt wer­den muss, damit der Fami­li­en­nach­zug über­haupt erlaubt wird. Das sind Hür­den, die Issa unüber­wind­bar erschei­nen. Um den Nach­zug sei­ner Lie­ben zu errei­chen, wer­den viel­leicht noch Jah­re ver­ge­hen, fürch­tet er. Jah­re, in denen sei­ne Frau der unsi­che­ren Lage in Dar­fur aus­ge­setzt sein wird und ums Über­le­ben kämp­fen muss.

Hürden für Familiennachzug zu hoch

Moha­med Issa setzt alles dar­an, eine Arbeit und eine Woh­nung zu fin­den. Dar­über hin­aus bleibt aber die unmög­lich zu erfül­len­de For­de­rung nach einem Sprach­nach­weis. Sei­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen leben 850 km von der Haupt­stadt Khar­to­um ent­fernt. Sei­ne Mut­ter und sei­ne Frau waren noch nie in der Haupt­stadt. Die Sicher­heits­la­ge zwi­schen Al Mali­ha, Nord­ost-Dar­fur und Khar­to­um lässt eine Rei­se dort­hin nicht zu. Außer­dem könn­ten sie die Gel­der für den Lebens­un­ter­halt und die Kurs­ge­büh­ren am Goe­the-Insti­tut in Khar­to­um nicht aufbringen.

Acht­zehn Mona­te nach der Auf­nah­me in Deutsch­land lebt Issa nach wie vor in der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung. Er hat eine Teil­zeit­stel­le in einem Restau­rant gefun­den. Am Wochen­en­de nimmt er an sei­nem Inte­gra­ti­ons­kurs teil. Das Geld wür­de nicht aus­rei­chen, um den Lebens­un­ter­halt der Ange­hö­ri­gen zu bestrei­ten, und so die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu errei­chen. Es reicht gera­de mal, um die im Sudan zurück­ge­blie­be­nen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen in ihrer Not zu unter­stüt­zen. Die Hoff­nung, bald gemein­sam in Deutsch­land zu leben, ist unter­des­sen ziem­lich ver­blasst. Die Hür­den schei­nen – gemes­sen an der Rea­li­tät – unüber­wind­bar. Der Schutz von Ehe und Fami­lie, wie er im deut­schen Grund­ge­setz fest­ge­schrie­ben ist, bleibt für Moha­med Issa ein nahe­zu uner­reich­ba­res Gut.

Nachbesserungsbedarf beim Resettlement in Deutschland 

»Save me – eine Stadt sagt Ja.« Unter die­sem Mot­to wer­ben seit 2008 Initia­ti­ven in ganz Deutsch­land dafür, drin­gend schutz­be­dürf­ti­ge Flücht­lin­ge über das so genann­te »Resett­le­ment« dau­er­haft in Deutsch­land aufzunehmen.

Der Druck der Zivil­ge­sell­schaft hat­te Erfolg: Nach einem vor­sich­ti­gen Ein­stieg mit der jähr­li­chen Auf­nah­me von 300 Per­so­nen in den Jah­ren 2012–2014 haben Bund und Län­der im Dezem­ber 2013 beschlos­sen, das Pro­gramm unbe­fris­tet fort­zu­füh­ren und aus­zu­wei­ten. Aller­dings hat das Pro­gramm gra­vie­ren­de Män­gel: Zum einen ist die Zahl der Auf-zuneh­men­den noch äußerst gering – wie groß die Aus­wei­tung aus­fal­len wird, ist offen.

Zum ande­ren ist die Rechts­la­ge der auf­ge­nom­me­nen Men­schen man­gel­haft: Es fehlt die Sicher­heit eines Flücht­lings­pas­ses, eine unbe­fris­te­te Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung, die freie Wohn­ort­wahl und vor allem die Mög­lich­keit, ver­lo­re­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge zügig nach­zu­ho­len. Wie unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen aus einem huma­ni­tä­ren Auf­nah­me­akt die Ver­län­ge­rung einer Lei­dens­ge­schich­te wird, zeigt die Geschich­te von Moha­med Issa.

Lin­da Ebbers


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