In der aktuellen Unterbringungshektik werden vielerorts private Betreiber eingeschaltet, vom Großanbieter bis zum kleinen Hotelbesitzer. Qualifiziertes Personal wird kaum eingesetzt. Für die Betroffenen hat das katastrophale Konsequenzen. Ein Beispiel.

Frau Men­sah, wie haben Sie Ihre Zeit in der Sam­mel­un­ter­kunft erlebt?

Die Situa­ti­on war die Höl­le. Ich war ein­ein­halb, zwei Jah­re dort, dann bin ich aus­ge­zo­gen. Ich muss­te von dort weg!

Wie wur­de die Unter­kunft geführt?

Zustän­dig für alles war eine Frau, die Heim­lei­te­rin, und dann gab es noch ihre Vor­ge­setz­te, eine Sozi­al­ar­bei­te­rin. Mein Sohn war sie­ben Mona­te alt, als ich erneut schwan­ger wur­de. Doch nach der Geburt mei­ner Toch­ter hat­te die Heim­lei­te­rin kein grö­ße­res Zim­mer für mich. Für eine wei­ße Frau hat­te sie direkt eines. Wir schwar­zen Bewoh­ne­rin­nen wur­den dis­kri­mi­niert! Ich war im 5.Stock unter­ge­bracht. Von dort aus fuhr ich mit dem Auf­zug her­un­ter bis in den 1.Stock. Ab hier war der Auf­zug für die Bewoh­ne­rin­nen gesperrt. Sogar wäh­rend der Schwan­ger­schaft muss­te ich den Kin­der­wa­gen mit dem Baby dar­in die Trep­pe hin­un­ter und wie­der hin­auf­tra­gen. Dazu noch mei­nen gesam­ten Einkauf.

In wel­chen Situa­tio­nen haben Sie sich dis­kri­mi­niert gefühlt?

Wenn die Heim­lei­te­rin ver­är­gert war, hat sie alles an uns aus­ge­las­sen. Wenn ich mit dem Waschen dran war, kam es vor, dass sie den Wasch­raum ver­schloss, weil ich schwarz bin, und den Schlüs­sel einer wei­ßen Bewoh­ne­rin gab. Ihre Lieb­lin­ge konn­ten dann waschen. Sie tat so, als unter­ste­he ihr alles. Wir hat­ten kein Recht zu gar nichts.

Haben Sie jemals ver­sucht, sich zu beschweren?

Die Sozi­al­ar­bei­te­rin kam jeden Diens­tag, die bei­den saßen dann zusam­men im Büro. Man kam nicht an der Heim­lei­te­rin vor­bei. Und wenn doch, hieß es von der Sozi­al­ar­bei­te­rin: Was die Heim­lei­tung sagt, wird gemacht. Wir wur­den wie Skla­ven behan­delt, nie­mand hat uns gehol­fen. Die Heim­lei­te­rin akzep­tier­te kein Eng­lisch, obwohl sie es ver­stand. Eine Ster­ben­de hat­te nur auf Deutsch bei ihr Gehör gefunden.

Gab es eine Situa­ti­on, in der Sie krank waren und ihre Hil­fe brauchten?

Ja! Die Schwan­ger­schaft ver­lief pro­ble­ma­tisch. Der Arzt hat­te mir beschei­nigt, dass zu viel Gehen mir Schmer­zen berei­te­te. Ich über­gab der Heim­lei­te­rin den Brief und hoff­te, sie wür­de den Auf­zug für mich auf­sper­ren. Aber sie half mir nicht. Ihr Büro hat­te Glas­fens­ter. Sie schau­te zu, wie ich die Trep­pe hoch­stieg. Gut waren nur die Wach­schutz­leu­te. Nach vier Uhr, wenn die Heim­lei­te­rin gegan­gen war, sperr­ten sie mir den Auf­zug auf. In ihrer Gegen­wart trau­ten sie sich das nicht.

Hat­ten Sie eben­falls Angst?

Wäh­rend der Schwan­ger­schaft war ich oft beim Vater mei­nes Soh­nes. Ich brauch­te Hil­fe, und wenn er zu Besuch kam, wur­de dies notiert und über­wacht. Auch wenn die Heim­lei­te­rin her­aus­fand, dass jemand abwe­send war, hat sie sich den Namen auf­ge­schrie­ben und damit gedroht, ihn ans Job­cen­ter zu schi­cken, damit man kein Geld mehr bekam. Wir hat­ten Angst, wir waren auf das Geld ange­wie­sen. Sie hat alles über­wacht. Aus dem Büro beob­ach­te­te sie, wer mit dir kam, wann du kamst, wann du gingst. Sie kon­trol­lier­te mich.

Wie ging die­se Kon­trol­le vonstatten?

Schon vor der Ent­bin­dung klopf­ten die Wach­leu­te jeden Tag an mei­ne Zim­mer­tür, mor­gens, mit­tags, abends. Nach der Ent­bin­dung mei­ner Toch­ter, als die­se schlief, klopf­ten sie auch. Sie wuss­ten nicht, war­um. Die Heim­lei­te­rin habe ihnen auf­ge­schrie­ben, es zu tun. Die Frau gab zu, dass es um eine Abwe­sen­heits­kon­trol­le ging. Als ich sag­te, sie habe kein Recht dazu, schubs­te sie mich aus ihrem Büro: Raus, raus, raus! An die­sem Tag habe ich inner­lich geweint. Ich hat­te nicht ein­mal das Recht, zu fra­gen. Die­ses Klop­fen hat mich so ver­rückt gemacht!

Wie selbst­be­stimmt konn­ten Sie in die­ser Unter­kunft leben?

In kei­nem Moment habe ich mich frei gefühlt. Wenn Besuch da war, kam die Heim­lei­te­rin hoch zu mir, auch ihr Hund kam mit ins Zim­mer. Wenn die Küche nicht geputzt war, nahm sie schon mal das Essen vom Herd, das wir gera­de koch­ten, und warf es in den Müll. Oder sie schloss die Küche ab. Wenn wir Päck­chen beka­men, schien ihr das ver­däch­tig. Sie woll­te, dass wir häss­lich aus­se­hen, weil wir Flücht­lin­ge sind. Sie war so stolz, wir soll­ten bet­teln. Spen­den wur­den nicht ver­teilt, son­dern in einem Abstell­raum gesta­pelt. Das Bett­zeug für die Kin­der gab sie nach deren Aus­zug in den Müll.

Gab es in die­ser Situa­ti­on Soli­da­ri­tät oder eher Stress zwi­schen den Bewohnerinnen?

Wir koch­ten gemein­sam, spra­chen über unse­re Pro­ble­me, lach­ten, gin­gen schla­fen, und am nächs­ten Tag war alles noch genau­so. Es gab kei­nen Aus­weg. In ihrem Büro hat­te die Heim­lei­te­rin eine Tra­ge, dar­in schlief ihr Hund. Die­se Tra­ge bot sie den Frau­en für ihre Babys an. Wenn sie schlech­ter Lau­ne war, ging man ihr bes­ser aus dem Weg. Sie konn­te ja tun, was sie woll­te. Ich ver­ste­he nicht, war­um eine ein­zi­ge Per­son über mehr als hun­dert Men­schen herr­schen darf. Ich lei­de immer noch unter alldem.

Sie sind von dort geflo­hen, sobald es Ihnen mög­lich war. Wie ist Ihre Lebens­si­tua­ti­on jetzt?

Nach­dem ich dort schnell weg muss­te, bin ich beim Vater mei­ner Kin­der unter­ge­schlüpft. Wir leben zu sechst in zwei Zim­mern. Wenn sei­ne Freun­din kommt, gehe ich solan­ge raus. Was ist das für ein Leben?

Die­ses Inter­view wur­de Anfang 2015 geführt und bereits im Heft zum Tag des Flücht­lings 2015 ver­öf­fent­licht. Durch das gene­rell gewach­se­ne Enga­ge­ment für Flücht­lin­ge im Umfeld der Unter­kunft haben inzwi­schen mehr Bewoh­ne­rin­nen Kon­tak­te nach außen und wer­den bes­ser unter­stützt. Die Heim­lei­tung ist aller­dings wei­ter­hin im Dienst und es herr­schen gro­ße Miss­stän­de in der Unter­kunft. Der Name von Frau Men­sah wur­de geändert.

UPDATE: Ab Dezem­ber 2015 erhält die Unter­kunft nun eine neue Leitung.

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