25.11.2020
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Foto: PRO ASYL / Wiebke Judith

Laut einem EuGH-Urteil müssten syrische Kriegsdienstverweigerer in der Regel Flüchtlingsstatus bekommen. Für Personen, denen dies verweigert wurde, stellt sich nun die Frage nach einem Folgeantrag. PRO ASYL hält Folgeanträge für sinnvoll und gibt hier rechtliche Hinweise zu dem Thema. Anträge sollten bis zum 19. Februar 2021 gestellt werden.

UPDATE Febru­ar 2021: Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge hat im Ent­schei­der­brief 12/2020 (S. 4) ange­kün­digt, alle Asyl­fol­ge­an­trä­ge, die sich auf das vor­ge­nann­te Urteil des EuGH in der Sache EZ stüt­zen, als unzu­läs­sig abzu­leh­nen. Asyl­fol­ge­an­trag­stel­ler müs­sen ergo damit rech­nen, ihr Begeh­ren in einem ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren wei­ter­ver­fol­gen zu müssen.

Mit sei­nem Urteil in EZ gegen Deutsch­land vom 19. Novem­ber 2020 hat der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) klar­ge­stellt, dass syri­sche Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer im Regel­fall Flücht­lings­sta­tus bekom­men müss­ten. Dies ist in Deutsch­land seit 2016 aber nicht der Fall, vie­le haben statt­des­sen sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten. Damit stellt sich die Fra­ge, ob syri­sche Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, deren Asyl­ver­fah­ren bereits rechts­kräf­tig abge­schlos­sen ist, über einen Fol­ge­an­trag noch einen Flücht­lings­sta­tus bekom­men kön­nen. Dafür muss geprüft wer­den, ob 1) ein Fol­ge­an­trag für die Kon­stel­la­ti­on in Fra­ge kommt und ob 2) es für die indi­vi­du­el­le Per­son Chan­cen auf eine ande­re Ent­schei­dung gibt. Zu bei­den Punk­ten gibt PRO ASYL hier recht­li­che Hin­wei­se. Betrof­fe­ne soll­ten sich anwalt­lich zu ihrer Situa­ti­on bera­ten las­sen. Ein Fol­ge­an­trag müss­te inner­halb von drei Mona­ten ab Kennt­nis des Urteils gestellt wer­den (Frist sicher­heits­hal­ber bis zum 19. Febru­ar 2021 ein­hal­ten, vgl. § 51 Abs. 3 Ver­wal­tungs­ver­fah­rens­ge­setz).

PRO ASYL hält, wie unten dar­ge­legt, in Fol­ge des EuGH-Urteils Fol­ge­an­trä­ge von syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern für sinnvoll. 

PRO ASYL for­dert zudem, dass das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) sei­ne Ent­schei­dungs­pra­xis nun sofort revi­die­ren und der Recht­spre­chung des EuGHs anpas­sen muss. Die fal­schen Flücht­lings­ab­leh­nun­gen tau­sen­der Syrer und die damit ein­her­ge­hen­de Ver­wei­ge­rung bzw. Ver­schlep­pung des Fami­li­en­nach­zugs sind ein Skan­dal. Hier muss poli­tisch reagiert wer­den, u.a. mit der Anglei­chung des Rechts auf Fami­li­en­nach­zug für sub­si­di­är Geschützte.

Die fal­schen Flücht­lings­ab­leh­nun­gen tau­sen­der Syrer und die damit ein­her­ge­hen­de Ver­wei­ge­rung bzw. Ver­schlep­pung des Fami­li­en­nach­zugs sind ein Skandal.

1. Folgeanträge nach dem EuGH-Urteil EZ gegen Deutschland

Ein Fol­ge­an­trag (§ 71 Asyl­ge­setz) kann nach einem abge­schlos­se­nen Asyl­ver­fah­ren gestellt wer­den, wenn »sich die dem Ver­wal­tungs­akt zugrun­de lie­gen­de Sach- oder Rechts­la­ge nach­träg­lich zuguns­ten des Betrof­fe­nen geän­dert hat« (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Ver­wal­tungs­ver­fah­rens­ge­setz). Damit stellt sich die Fra­ge, ob eine EuGH-Ent­schei­dung eine geän­der­te Rechts­la­ge im Sin­ne die­ser Rege­lung ist. Die­se Fra­ge war bis­lang umstritten.

Es wird in der Kom­men­tar­li­te­ra­tur ver­tre­ten, dass nur eine Geset­zes­än­de­rung sowie Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts mit Bin­dungs­wir­kung nach § 31 BVerfGG (z.B. unver­ein­ba­re oder nich­ti­ge Geset­ze) eine geän­der­te Rechts­la­ge dar­stellt, nicht aber ander­wei­ti­ge Recht­spre­chung – auch nicht jene des EuGH (Bergmann/Dienelt, Aus­län­der­recht, 13. Auf­la­ge 2020, Rn. 25). Auch das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt erkennt bis­lang in einer Ände­rung (höchst­rich­ter­li­cher) Recht­spre­chung kei­ne Ände­rung der Rechts­la­ge (Urt. v. 30.08.1988, 9 C 47.87; Beschl. v. 01.07.2013, 8 B 7.13).

Doch wie die Gegen­auf­fas­sung über­zeu­gend argu­men­tiert, sind es gera­de im Asyl­recht häu­fig erst die obers­ten Gerich­te, die das Recht ent­wi­ckeln (»Rich­ter­recht«) und dies soll­te im Rah­men des § 51 VwVfG ent­spre­chend als geän­der­te Rechts­la­ge aner­kannt  wer­den. Dies muss gera­de auch für Ent­schei­dun­gen des EuGH gel­ten, auf­grund derer sich Ent­schei­dun­gen des BAMF als uni­ons­rechts­wid­rig erwei­sen (Mül­ler in Hof­mann, Aus­län­der­recht, 2. Auf­la­ge 2016, Rn. 30).

PRO ASYL hält ange­sichts die­ser Ent­wick­lung besag­te EuGH-Recht­spre­chung für eine rele­van­te Ände­rung der Rechts­la­ge und damit für einen legi­ti­men Grund für einen Folgeantrag.

Die­se Auf­fas­sung wur­de nun durch den EuGH gestärkt. In der Ent­schei­dung zu den unga­ri­schen Tran­sit­zo­nen von die­sem Jahr hat der EuGH das unga­ri­sche Kon­zept des »siche­ren Tran­sit­staats« als neu­en Unzu­läs­sig­keits­grund als uni­ons­rechts­wid­rig ver­ur­teilt. Die­se Ent­schei­dung gel­te auch als neue Erkennt­nis, die einen Fol­ge­an­trag begrün­de. Die­ser müs­se unmit­tel­bar nach Kennt­nis des Urteils erfol­gen. Eine Ver­pflich­tung der Asyl­be­hör­de, die Ver­fah­ren von sich aus neu auf­zu­rol­len, gebe es nicht (Rn. 187 ff; sie­he hier­zu auch Con­stan­tin Hrusch­ka beim Ver­fas­sungs­blog).

PRO ASYL hält ange­sichts die­ser Ent­wick­lung in Fäl­len, in wel­chen die Ableh­nung eines Asyl­an­trags laut einer Ent­schei­dung des EuGH uni­ons­rechts­wid­rig war, besag­te EuGH-Recht­spre­chung für eine rele­van­te Ände­rung der Rechts­la­ge i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und damit für einen legi­ti­men Grund für einen Fol­ge­an­trag. Dies muss nun auch vom BAMF so umge­setzt wer­den bzw. wenn dies nicht getan wird, von den Verwaltungsgerichten.

2. Relevantes für den Einzelfall

Der EuGH hat in EZ gegen Deutsch­land zu bestimm­ten Aus­le­gungs­fra­gen Stel­lung genom­men. Ent­spre­chend ist ein Fol­ge­an­trag nur in Kon­stel­la­tio­nen sinn­voll, die auch die­se Fra­gen betref­fen und sich auf die Ver­fol­gungs­hand­lung »Straf­ver­fol­gung oder Bestra­fung wegen Ver­wei­ge­rung des Mili­tär­diens­tes in einem Kon­flikt, wenn der Mili­tär­dienst Ver­bre­chen oder Hand­lun­gen umfas­sen wür­de, die unter die Aus­schluss­klau­seln des § 3 Absatz 2 fal­len (Kriegs­ver­bre­chen)« (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 Asyl­ge­setz) bezie­hen.

  • Ableh­nung, weil der Wehr­dienst nicht for­mal ver­wei­gert wor­den sei: Der EuGH hat klar gemacht, dass wenn es – wie in Syri­en – kei­ne Mög­lich­keit zur for­ma­len Ver­wei­ge­rung des Wehr­diens­tes gibt, dies auch von dem Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer nicht ver­langt wer­den kann (Rn. 29). Zudem kann, wenn die Ver­wei­ge­rung rechts­wid­rig und mit Stra­fe behaf­tet ist, von ihm ver­nünf­ti­ger­wei­se nicht erwar­tet wer­den, dies der Mili­tär­ver­wal­tung bekannt zu geben (Rn. 30).
  • Ableh­nung, weil nicht belegt wer­den könn­te, dass der Antrag­stel­ler an Kriegs­ver­bre­chen betei­ligt sein wür­de: »Im Kon­text des all­ge­mei­nen syri­schen Bür­ger­kriegs, der zum Zeit­punkt der Ent­schei­dung über den Antrag des Betrof­fe­nen herrsch­te, d. h. im April 2017, und ins­be­son­de­re in Anbe­tracht der – nach Ansicht des vor­le­gen­den Gerichts aus­führ­lich doku­men­tier­ten – wie­der­hol­ten und sys­te­ma­ti­schen Bege­hung von Kriegs­ver­bre­chen durch die syri­sche Armee ein­schließ­lich Ein­hei­ten, die aus Wehr­pflich­ti­gen bestehen, erscheint die Wahr­schein­lich­keit, dass ein Wehr­pflich­ti­ger unab­hän­gig von sei­nem Ein­satz­ge­biet dazu ver­an­lasst wird, unmit­tel­bar oder mit­tel­bar an der Bege­hung der betref­fen­den Ver­bre­chen teil­zu­neh­men, sehr hoch, was zu prü­fen Sache des vor­le­gen­den Gerichts ist« (Rn. 37). Ent­spre­chend sei es nicht erfor­der­lich, dass der Antrag­stel­ler sein Ein­satz­ge­biet ken­ne (Rn. 38).
  • Ableh­nung, weil es kei­nen Ver­fol­gungs­grund gege­ben hät­te: Laut dem EuGH besteht auch bei der Ver­wei­ge­rung des Kriegs­diens­tes, der zum Bege­hen von Kriegs­ver­bre­chen füh­ren wür­de, die Not­wen­dig­keit des Bestehens einer kau­sa­len Ver­bin­dung zwi­schen der dro­hen­den Ver­fol­gungs­hand­lung (hier der Straf­ver­fol­gung oder Bestra­fung wegen der Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung) und einem Ver­fol­gungs­grund (bspw. der poli­ti­schen oder reli­giö­sen Über­zeu­gung). Es gebe aber eine star­ke Ver­mu­tung, dass eine sol­che Ver­knüp­fung vorliegt: 
    • »Hier­bei ist her­vor­zu­he­ben, dass eine star­ke Ver­mu­tung dafür spricht, dass die Ver­wei­ge­rung des Mili­tär­diens­tes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e die­ser Richt­li­nie näher erläu­ter­ten Vor­aus­set­zun­gen mit einem der fünf in Art. 10 die­ser Richt­li­nie genann­ten Grün­de in Zusam­men­hang steht« (Rn. 57).
    • »Zwei­tens erlaubt, wie die Gene­ral­an­wäl­tin in Nr. 75 ihrer Schluss­an­trä­ge aus­ge­führt hat, die Ver­wei­ge­rung des Mili­tär­diens­tes, ins­be­son­de­re dann, wenn die­se mit schwe­ren Sank­tio­nen bewehrt ist, die Annah­me, dass ein star­ker Wer­te­kon­flikt oder ein Kon­flikt poli­ti­scher oder reli­giö­ser Über­zeu­gun­gen zwi­schen dem Betrof­fe­nen und den Behör­den des Her­kunfts­lan­des vor­liegt« (Rn. 59).
    • »Drit­tens besteht in einem bewaff­ne­ten Kon­flikt, ins­be­son­de­re einem Bür­ger­krieg, und bei feh­len­der lega­ler Mög­lich­keit, sich sei­nen mili­tä­ri­schen Pflich­ten zu ent­zie­hen, die hohe Wahr­schein­lich­keit, dass die Ver­wei­ge­rung des Mili­tär­diens­tes von den Behör­den unab­hän­gig von den per­sön­li­chen, even­tu­ell viel kom­ple­xe­ren Grün­den des Betrof­fe­nen als ein Akt poli­ti­scher Oppo­si­ti­on aus­ge­legt wird«. Es reicht zudem, dass dem Betrof­fe­nen z.B. die reli­giö­se oder poli­ti­sche Über­zeu­gung – hier also die Regime­geg­ner­schaft als Motiv für die Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung – vom Ver­fol­ger zuge­schrie­ben wird (Rn. 60).

Es ist außer­dem nicht Auf­ga­be des Antrag­stel­lers die Ver­knüp­fung von Ver­fol­gungs­hand­lung und Ver­fol­gungs­grund zu bewei­sen, son­dern nur alle zur Begrün­dung des Antrags auf inter­na­tio­na­len Schutz erfor­der­li­chen Anhalts­punk­te dar­zu­le­gen. Es ist dann Auf­ga­be der Behör­de, die Plau­si­bi­li­tät der Ver­knüp­fung zu prü­fen – und hier­bei die star­ke Ver­mu­tung der Ver­knüp­fung zu prü­fen (Rn. 54 ff).

Ent­spre­chend muss in jedem Fall geprüft wer­den, mit wel­cher Begrün­dung das BAMF den Asyl­an­trag bezüg­lich der Flücht­lings­ei­gen­schaft ursprüng­lich ablehn­te und ob die­se gemäß dem EuGH-Urteil nun als uni­ons­rechts­wid­rig zu beur­tei­len ist.

Auf­ge­passt: Beim Fol­ge­an­trag wird die Ver­fol­gungs­la­ge mit Hin­blick auf die heu­ti­ge Lage in Syri­en beur­teilt und nicht zum Zeit­punkt des ers­ten Asyl­an­tra­ges. Ent­spre­chend könn­te es emp­feh­lens­wert sein, direkt auf die wei­ter bestehen­de Ver­fol­gungs­la­ge einzugehen.

3. Fazit

Auch wenn PRO ASYL der Mei­nung ist, dass syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern bei einem Fol­ge­an­trag Flücht­lings­sta­tus zuer­kannt wer­den soll­te, muss Betrof­fe­nen klar sein, dass aktu­ell nicht garan­tiert ist, dass die Fol­ge­an­trä­ge Aus­sicht auf Erfolg haben. Es besteht aber kei­ne Gefahr, dass sich ihre indi­vi­du­el­le Lage durch einen Fol­ge­an­trag ver­schlech­tert. Ins­be­son­de­re für Per­so­nen, bei denen eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung bis­lang geschei­tert ist, könn­te ein Fol­ge­an­trag sinn­voll sein. Die­ser soll­te gut anwalt­lich beglei­tet werden.

(Wieb­ke Judith / Peter von Auer)


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