Hintergrund
Hinweise für syrische Geflüchetete und ihre Berater*innen
Aufenthaltsrecht von syrischen Flüchtlingen nach dem Sturz der Assad-Diktatur – Kurzhinweise hier auf Deutsch, Arabisch und Kurmancî.
Unsere ausführlichen Hinweise auf Deutsch:
Seit Tagen erreichen PRO ASYL unzählige besorgte Anfragen von Syrer*innen, ob sie nach dem Sturz von Assad nach Syrien zurückkehren müssen oder sogar bald abgeschoben werden. Viele von ihnen leben seit Jahren in Deutschland, haben die Sprache gelernt, arbeiten und ihre Kinder gehen hier zur Schule. Diese Menschen fühlen sich zum Teil massiv verunsichert durch die unzähligen Rückkehr- und Abschiebungsdebatten, die bereits wenige Stunden nach dem Sturz des brutalen Diktators entbrannten. PRO ASYL klärt auf, welche Folgen die neue Situation in Syrien für syrische Geflüchtete in Deutschland haben kann. Auch was Reisen nach Syrien angeht, haben wir einige wichtige Hinweise.
Von den Debatten nicht verunsichern lassen!
Syrer*innen sollten sich nicht von den aktuellen politischen Debatten in Deutschland verunsichern lassen. Viele Forderungen aus der Politik sind realitätsfern und zeugen nicht von Sachkenntnis: sie sind weder rechtlich noch praktisch umsetzbar. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird kaum schnelle, und schon gar keine Massenabschiebungen nach Syrien geben. Die meisten Syrer*innen haben in Deutschland einen festen Aufenthalt, sind also gar nicht ausreisepflichtig und können das auch nicht so schnell werden – wenn überhaupt. Aus diesem Grund sollte für die meisten Syrer*innen momentan kein Grund zur Panik bestehen.
Zwar muss man damit rechnen, dass die Debatten um Rückkehr und Abschiebungen weitergehen werden. Die Politik wird nach Wegen suchen, um Abschiebungen nach Syrien möglich zu machen und diese auch umzusetzen.
Für eine Einschätzung, ob und falls ja, wann und in welchem Umfang Abschiebungen nach Syrien möglich sein werden, ist es aktuell noch viel zu früh, da die Lage in Syrien zu unübersichtlich und dynamisch ist.
Aber selbst, wenn zukünftig Abschiebungen nach Syrien möglich sein sollten, haben die meisten Menschen noch Zeit, um die Voraussetzungen für ein anderes, von der Situation in Syrien unabhängiges Aufenthaltsrecht zu schaffen, mit dem sie vor künftigen Abschiebungen nach Syrien sicher wären: Wer die Möglichkeit hat, sollte versuchen in einem qualifizierten Beruf zu arbeiten oder eine Qualifikation wie eine berufliche Ausbildung oder einen Hochschulabschluss anzustreben. Bei langjährigem Aufenthalt in Deutschland kann auch durch gute Integration der Aufenthalt abgesichert werden, also wenn Menschen Arbeit gefunden und die Sprache gelernt haben und ihre Kinder in Deutschland zur Schule gehen. Die Menschen sollten sich gegebenenfalls frühzeitig individuell beraten lassen.
1. Reisen nach Syrien
Viele Syrer*innen haben seit dem Sturz von Assad den Impuls, nach vielen Jahren des Exils endlich wieder nach Syrien zu reisen: Sie wollen nach Jahren der Trennung endlich wieder engste Verwandte in die Arme schließen oder – leider auch eine brutale Realität für viele – versuchen zu klären, ob ihre Angehörigen das Gefängnis- und Folterregime überlebt haben oder umgebracht wurden.
Doch diejenigen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, müssen sehr gut abwägen: Denn Reisen in das Heimatland können vom BAMF zum Anlass genommen werden, ein Widerrufsverfahren einzuleiten, um den Schutzstatus der Menschen zu widerrufen. Dies kann im schlimmsten Fall sogar zum Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland führen.
Syrer*innen, die in Deutschland Asyl, die Flüchtlingsanerkennung, den subsidiären Schutz oder ein Abschiebungsverbot erhalten haben, müssen Reisen nach Syrien vor Reiseantritt bei der Ausländerbehörde anzeigen und den Grund für die Reise mitteilen (§ 47b AufenthG). Diese Regelung gilt nicht nur für Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis auf Basis eines Schutzstatus, sondern grundsätzlich auch für Geflüchtete mit einer Niederlassungserlaubnis. Nicht davon betroffen ist nur, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Eine Reise nach Syrien führt im Regelfall zum Widerruf des Schutzstatus (§ 73 Abs. 7 AsylG) durch das BAMF. Nur wenn die Reise »sittlich zwingend geboten« ist, muss kein Widerruf des Schutzstatus befürchtet werden.
Ein Widerrufsverfahren kann sehr lange dauern und es gibt Möglichkeiten, sich rechtlich dagegen zu wehren (siehe unten, unter dem jeweiligen Status). Auch muss ein Widerruf nicht unbedingt den Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland zur Folge haben. Angesichts der aktuell sehr unübersichtlichen Lage in Syrien ist derzeit nicht zu erwarten, dass Widerrufe im großen Stil erfolgen.
Bei Reisen nach Syrien dürfte das aber anders sein, da in diesen Fällen die gesetzliche Vermutung besteht, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Schutzstatus sowie für Abschiebungsverbote nicht mehr vorliegen und zu widerrufen sind. Somit kann in diesen Fällen eine große Gefahr für die Menschen bestehen, dass ihr Schutzstatus tatsächlich vom BAMF widerrufen und ihr Aufenthalt unsicher wird.
Da jedoch nicht nur die Situation in Syrien eine neue ist, sondern auch diese Regelung, gibt es aktuell noch keine Erfahrungswerte oder Gerichtsentscheidungen dazu, bspw. welche Reisen als »sittlich zwingend geboten« gelten und welche nicht. Menschen, die kurzfristig nach Syrien zurückkehren wollen oder müssen, ist daher unbedingt zu empfehlen sich vor Ort individuell und unabhängig beraten zu lassen, welche aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen eine Reise nach Syrien für sie im schlimmsten Fall haben könnte.
Neben den rechtlichen Problemen kann es bei Reisen nach Syrien auch zu praktischen Problemen kommen. Grundsätzlich ist eine Reise nach Syrien mit einem blauen Flüchtlingspass oder einem grauen Reiseausweis für Ausländer nicht möglich – dies ist auch so im Reisedokument vermerkt. Inwieweit das in der Praxis angesichts der neuen Machtverhältnisse in Syrien zum Tragen kommt, kann PRO ASYL derzeit nicht einschätzen.
Zudem berechtigen diese von Deutschland ausgestellten Reisedokumente nicht in allen Ländern zur (visumsfreien) Einreise. Wer also keinen syrischen Pass besitzt und über Transitstaaten nach Syrien reisen möchte, sollte sich diesbezüglich umfassend informieren, um nicht bspw. bei der Rückreise nicht mehr ins Flugzeug nach Deutschland gelassen zu werden. Unterstützung und Hilfe der Deutschen Botschaften ist für solche Fälle nämlich nicht zu erwarten. Und selbst mit anwaltlicher Hilfe kann es monate- oder jahrelang dauern, bis eine Rückkehr nach Deutschland möglich ist – wenn überhaupt. Im schlimmsten Fall wird ein Widerrufsverfahren eingeleitet, während diese Menschen im Ausland feststecken.
2. Aussetzung der Asylentscheidungen
Das BAMF hat derzeit die (inhaltlichen) Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Geflüchteten gestoppt. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie abgelehnt oder abgeschoben werden. Allerdings bedeutet diese Aussetzung eine möglicherweise noch länger dauernde Zeit der Ungewissheit für diese Menschen und möglicherweise auch deren Familienangehörige, die in Syrien oder einem der Nachbarländer zurückbleiben mussten.
Das BAMF kann seine Entscheidungen zu Syrien nicht endlos aussetzen, sondern zunächst für maximal sechs Monate (§ 24 Abs. 5 AsylG). Spätestens dann muss das BAMF die Lage in Syrien neu prüfen. Betroffene dieses Entscheidungsstopps müssen vom BAMF innerhalb einer angemessenen Frist über die Gründe informiert werden. Nicht unter den Entscheidungsstopp fallen sogenannte Dublin-Fälle, für die ein anderer europäischer Staat zuständig ist und Fälle, die bereits in einem europäischen Staat Schutz erhalten haben. In diesen Fällen entscheidet das BAMF weiterhin und Betroffene müssen im schlimmsten Fall mit ihrer Abschiebung in einen anderen europäischen Staat rechnen.
Alle anderen können aktuell nicht mehr tun als zu warten, bis das BAMF die Entscheidungen wieder aufnimmt. Sollten sich die neuen Machtverhältnisse, die Sicherheitslage und die humanitäre Situation in Syrien klarer abzeichnen, das BAMF aber trotzdem weiterhin nicht entscheiden, empfiehlt sich gegebenenfalls individuelle Beratung, ob es im Einzelfall Möglichkeiten gibt, eine baldige Entscheidung herbeizuführen.
Während des Entscheidungsstopps bleiben die Menschen in der Aufenthaltsgestattung, die von der Ausländerbehörde immer wieder verlängert werden muss, so lange nicht über den Asylantrag entschieden wird. Diese Menschen sind und werden also nicht ausreisepflichtig und ihnen droht keine Abschiebung.
Zu den Erfolgsaussichten ihrer Asylanträge lässt sich zum derzeitigen Stand keine Prognose abgeben. Nach dem Sturz Assads hängen diese von den individuell vorgetragenen Asylgründen ab. Aufgrund der katastrophalen humanitären Lage in Syrien dürfte aber (Stand Ende 2024) zumindest ein Abschiebungsverbot erteilt werden müssen. Im Falle einer Ablehnung kann dagegen geklagt werden. Im Hinblick auf künftige Entscheidungen des BAMF dürfte ebenfalls individuelle Beratung im Einzelfall ratsam sein. Der Ausgang der Asylverfahren und die Zukunftsaussichten dieser Menschen sind derzeit völlig ungewiss. Ebenso die ihrer Familienangehörigen, die noch in Syrien oder der Region sind und deren Nachzug später geplant war.
Um selbst etwas dafür zu tun, um in Deutschland bleiben zu können und um möglichst von der ungewissen Situation in Syrien unabhängig zu werden, ist diesen Menschen anzuraten, möglichst frühzeitig Deutsch zu lernen und eine Arbeit oder besser noch eine berufliche Qualifikation wie beispielsweise eine Berufsausbildung anzustreben. Im Falle einer künftigen kompletten Ablehnung des Asylantrags – die wie gesagt aus momentaner Sicht unwahrscheinlich sein dürfte – kann es darüber Möglichkeiten auf einen asylunabhängigen Aufenthalt in Deutschland geben.
3. Syrer*innen mit deutscher Staatsangehörigkeit:
Für Menschen mit deutschem Pass besteht keine Gefahr, dass ihr Aufenthalt in Deutschland beendet wird und sie nach Syrien abgeschoben werden. Als deutsche Staatsangehörige bleiben diese Menschen in Deutschland, auch wenn sie zusätzlich die syrische Staatsangehörigkeit haben.
4. Syrer*innen mit Niederlassungserlaubnis:
Für Menschen mit einer Niederlassungserlaubnis besteht in der Regel keine Gefahr für ihren Aufenthalt in Deutschland. Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel, der immer ein vollumfängliches Aufenthaltsrecht verleiht, losgelöst von seiner ursprünglichen Zweckbindung, wie der Flüchtlingsanerkennung oder des subsidiären Schutzes, die später zum unbefristeten Aufenthalt führte.
5. Anerkannte Flüchtlinge mit »Blauem Pass« und befristeter Aufenthaltserlaubnis
Durch die veränderte Situation in Syrien kann ein sogenanntes Widerrufsverfahren eingeleitet und im schlimmsten Fall der Flüchtlingsstatus widerrufen werden. Solche Verfahren sind zwar eine reale Gefahr für die die in Deutschland lebenden Flüchtlinge aus Syrien, sollten derzeit jedoch kein Grund zur Panik sein. Ein Widerruf ist nicht von heute auf morgen möglich und führt nicht zwingend zum Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland.
Die Voraussetzung für einen Widerruf ist, dass sich die Lage in Syrien nicht nur erheblich, sondern vor allem auch dauerhaft verändert hat (§ 73 Abs. 1 AsylG). Auch wenn der Sturz des Assad-Regimes eine erhebliche Veränderung ist, ist aufgrund der sehr unübersichtlichen Entwicklungen aktuell nicht absehbar, für wen es in Syrien künftig sicher ist und für wen nicht. Aus diesem Grund sind baldige Widerrufsverfahren im großen Stil nicht zu erwarten (mögliche Ausnahme: Reisen nach Syrien).
Wenn sich die Lage in Syrien stabilisiert, muss jedoch mit Widerrufsprüfungen gerechnet werden. Unklar ist jedoch noch, in welchem Umfang dies passieren könnte. Flüchtlinge sollten schon jetzt prüfen, ob sie die Voraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis erfüllen. Können diese Voraussetzungen noch nicht erfüllt werden, aber haben anerkannte Flüchtlinge bspw. eine Berufsausbildung abgeschlossen und arbeiten in einem qualifizierten Beruf, kann auch eine zusätzliche, vom Flüchtlingsstatus unabhängige Aufenthaltserlaubnis beantragt werden, um im Falle eines Widerrufsverfahrens einen anderen und sicheren Aufenthalt zu haben.
Spätestens wenn Flüchtlinge Post vom BAMF erhalten sollten, in denen der beabsichtigte Widerruf angekündigt wird, sollten sie unbedingt eine unabhängige Beratungsstelle oder eine Fachanwältin / einen Fachanwalt aufsuchen. Aber auch dann besteht noch kein Grund zur Panik: Im Falle eines solchen Schreibens gibt es die Möglichkeit der Stellungnahme mit einer Frist von einem Monat und erst danach entscheidet das BAMF (§73b Abs. 6 AsylG).
Selbst wenn das BAMF den Flüchtlingsstatus widerruft, muss es weiter prüfen, ob die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz vorliegen. Liegen auch diese nicht vor, muss noch geprüft werden, ob ein Abschiebungsverbot in Betracht kommt (§ 73b Abs. 2 Satz 1 AsylG). Ein Widerruf des Flüchtlingsstatus bedeutet somit keineswegs, dass Menschen nicht mehr schutzbedürftig sind. Möglicherweise würden viele einen schlechteren Schutzstatus erhalten, der aber weiterhin zum Aufenthalt in Deutschland berechtigt. Aus diesem Grund ist es fraglich, ob das BAMF hunderttausende Fälle neu überprüft oder nur in bestimmten Einzelfällen Widerrufe initiiert. Zumal solche Verfahren sehr aufwändig sind und zumeist monate- oder sogar jahrelang dauern dürften, insbesondere wenn sie massenhaft betrieben würden.
Im Falle eines Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft besteht die Möglichkeit der Klage bei Gericht. Eine solche Klage hat aufschiebende Wirkung (§ 73b Abs. 7 AsylG i. V. m. § 75 AsylG). Das bedeutet, dass die Entscheidung bis zum Gerichtsurteil noch nicht umgesetzt werden darf. Während dieser Zeit gilt der Aufenthalt der Betroffenen weiterhin als erlaubt, selbst wenn die Aufenthaltserlaubnis abläuft und rechtzeitig die Verlängerung beantragt wird (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Ein Rückfall in die Duldung muss also nicht befürchtet werden. Im Zweifelsfall sollte die Zeit eines Widerrufsverfahrens dazu genutzt werden, die Voraussetzungen für einen anderen, vom Flüchtlingsschutz unabhängigen Aufenthaltstitel zu erfüllen, um nach Möglichkeit unabhängig vom Ausgang des Widerrufsverfahrens zu werden.
Bleibt die Klage erfolglos und besteht im schlimmsten Fall auch kein Abschiebungsverbot, wird die Aufenthaltserlaubnis nach deren Ablauf nicht weiter verlängert. Aber auch dieser »worst case« muss in vielen Fällen nicht unbedingt ein Grund zur Sorge sein, etwa wenn die Menschen schon lange in Deutschland leben und durch ihre gute Integration ein Bleiberecht, also eine andere Aufenthaltserlaubnis erhalten können.
Es lässt sich also so kurz nach dem Sturz der Assad-Diktatur kaum vorhersagen, ob und in welchem Umfang das BAMF Widerrufsverfahren einleiten wird und zu welchem Ergebnis diese führen werden. Was sich jedoch vorhersagen lässt, ist, dass Menschen mit einer Flüchtlingsanerkennung i.d.R. noch längere Zeit in Deutschland bleiben werden. Bis solche Verfahren abgeschlossen sind, kann es jahrelang dauern und Betroffene sollten in dieser Zeit gut und unabhängig beraten sein.
Wenn jedoch bis zu einem rechtskräftig erfolgten Widerruf und drohender Nicht-Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel (bspw. wegen guter Integration, als Fachkraft oder zur Berufsausbildung) nicht erfüllt werden können, droht die Ausreisepflicht. Die Menschen erhalten dann nur noch Duldungen oder Grenzübertrittsbescheinigungen und im schlimmsten Fall droht ihnen die Abschiebung, sofern Abschiebungen bis dahin möglich sind. Ob und in welchen Fällen Abschiebungen dann auch tatsächlich durchführbar wären, lässt sich derzeit ebenfalls nicht abschätzen.
Übrigens müssen auch Familienangehörige, die Familienasyl von anerkannten Flüchtlingen ableiten, mit einem eigenen Widerruf rechnen, wenn der Flüchtlingsstatus des oder der Stammberechtigten widerrufen wird. Gleiches gilt für Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug. Daher sollte in solchen Fällen auch die asyl- und aufenthaltsrechtliche Situation der Familienmitglieder Inhalt von Beratungsgesprächen sein.
6. Syrer*innen mit subsidiärem Schutz und befristeter Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG
Wie bei anerkannten Flüchtlingen kann durch die veränderte Situation in Syrien auch bei subsidiär Geschützten ein sogenanntes Widerrufsverfahren eingeleitet und im schlimmsten Fall der Schutzstatus widerrufen werden, was jedoch nicht von heute auf morgen geht. Doch auch für den Widerruf des subsidiären Schutzes reicht die veränderte Situation nach dem Sturz Assads allein nicht aus. Vielmehr müssen sich Umstände in Syrien wesentlich und vor allem nicht nur vorübergehend verändert haben, so dass die Menschen im Falle einer Rückkehr tatsächlich keine Gefahr mehr laufen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (§ 73 Abs. 2 AsylG). Angesichts der momentan kaum absehbaren Entwicklung in Syrien sind baldige und massenhafte Widerrufsverfahren also nicht zu erwarten (mögliche Ausnahme: Reisen nach Syrien).
Jedoch muss bei Stabilisierung der Lage in Zukunft damit gerechnet werden, wenn auch noch unklar ist, ob generell oder nur in bestimmten Einzelfällen. Daher sollten Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis als subsidiär Geschützte sich perspektivisch individuell beraten lassen, ob sie bereits die Voraussetzungen für den Erhalt einer (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis oder einer zusätzlichen, vom subsidiären Schutz unabhängigen Aufenthaltserlaubnis erfüllen bzw. welche Voraussetzungen sie hierfür noch erfüllen müssen.
Spätestens wenn subsidiär Geschützte Post vom BAMF erhalten sollten, in denen der beabsichtigte Widerruf angekündigt wird, sollten sie unbedingt eine unabhängige Beratungsstelle aufsuchen. Aber auch dann besteht noch kein Grund zur Panik: Im Falle eines solchen Schreibens gibt es die Möglichkeit der Stellungnahme mit einer Frist von einem Monat und erst danach entscheidet das BAMF (§73b Abs. 6 AsylG). Selbst wenn das BAMF den subsidiären Schutz widerrufen sollte, muss es weiter prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot vorliegen (§ 73b Abs. 2 Satz 2 AsylG). Für ein Abschiebungsverbot spielt auch die humanitäre Situation vor Ort eine entscheidende Rolle sowie die Frage, ob eine Person bei Rückkehr verelenden würde – was angesichts der momentan katastrophalen humanitären Situation in Syrien droht.
Somit bedeutet ein Widerruf des subsidiären Schutzes also keineswegs, dass die Menschen nicht mehr schutzbedürftig sind. Möglicherweise würden viele ein Abschiebungsverbot, also einen »schlechteren« Schutzstatus erhalten, der aber weiterhin zum Aufenthalt in Deutschland berechtigt. Allein aus diesem Grund kann es fraglich sein, ob das BAMF hunderttausende Fälle neu überprüft oder nur in einem Teil der Fälle Widerrufe initiiert. Zumal solche Verfahren sehr aufwändig sind und zumeist monate- oder sogar jahrelang dauern dürften, insbesondere wenn sie massenhaft betrieben würden. Durch die Widerrufe wäre die Rechtstellung der Menschen im Hinblick auf Familiennachzug deutlich schlechter, weshalb nicht auszuschließen ist, dass es vermehrt zu Widerrufsverfahren kommt.
Im Falle eines Widerrufs des subsidiären Schutzes besteht die Möglichkeit der Klage bei Gericht. Eine solche Klage hat aufschiebende Wirkung (§ 73b Abs. 7 AsylG i. V. m. § 75 AsylG). Das bedeutet, dass selbst wenn vom BAMF kein Schutzstatus mehr festgestellt werden würde, eine Abschiebung bis zur Gerichtsentscheidung nicht zulässig wäre. Während dieser Zeit gilt der Aufenthalt der Betroffenen weiterhin als erlaubt, selbst wenn die Aufenthaltserlaubnis abläuft und rechtzeitig die Verlängerung beantragt wird (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Den Menschen droht also nicht der Rückfall in die Duldung. Im Zweifelsfall sollte die Zeit eines Widerrufsverfahrens »genutzt« werden, um die Voraussetzungen für einen anderen, vom subsidiären Schutz unabhängigen Aufenthaltstitel zu erfüllen, um nach Möglichkeit unabhängig vom Ausgang des Widerrufsverfahrens zu werden.
Bleibt die Klage erfolglos und besteht im schlimmsten Fall auch kein Abschiebungsverbot, wird die Aufenthaltserlaubnis nach deren Ablauf nicht weiter verlängert Aber auch dieser »worst case« muss in vielen Fällen nicht unbedingt ein Grund zur Sorge sein, bspw. wenn die Menschen schon lange in Deutschland leben und durch ihre gute Integration ein Bleiberecht, also eine andere Aufenthaltserlaubnis erhalten können.
Es lässt sich also so kurz nach dem Sturz der Assad-Diktatur kaum vorhersagen, ob und in welchem Umfang das BAMF Widerrufsverfahren gegen subsidiär Geschützte einleiten wird und zu welchem Ergebnis diese führen werden. Was sich jedoch vorhersagen lässt, ist, dass Menschen mit subsidiärem Schutz i.d.R. noch längere Zeit in Deutschland bleiben werden. Bis solche Verfahren abgeschlossen sind, kann es jahrelang dauern und Betroffene sollten in dieser Zeit gut und unabhängig beraten sein.
Wenn jedoch bis zu einem rechtskräftig erfolgten Widerruf und drohender Nicht-Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel (bspw. wegen guter Integration, als Fachkraft oder zur Berufsausbildung) nicht erfüllt werden können, droht die Ausreisepflicht. Die Menschen erhalten dann nur noch Duldungen oder Grenzübertrittsbescheinigungen und im schlimmsten Fall droht ihnen die Abschiebung, falls diese dann möglich sein sollten. Ob und in welchen Fällen Abschiebungen dann auch tatsächlich durchführbar wären, lässt sich derzeit ebenfalls nicht abschätzen.
Übrigens müssen auch Familienangehörige, die den subsidiären Schutz vom subsidiär geschützten minderjährigen Kind oder Ehegatten ableiten, mit einem eigenen Widerruf rechnen, wenn der Schutzstatus des oder der Stammberechtigten widerrufen wird. Gleiches gilt für Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug. Daher sollte in solchen Fällen auch die asyl- und aufenthaltsrechtliche Situation der Familienmitglieder Inhalt von Beratungsgesprächen sein.
7. Syrer*innen mit einem Abschiebungsverbot und befristeter Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3
Bei Syrer*innen, die in Deutschland ein Abschiebungsverbot haben, gibt es sehr viele unterschiedliche Konstellationen. Einige dürften ein Abschiebungsverbot in Bezug auf Syrien haben, die meisten jedoch in Bezug auf europäische Staaten, in denen ihnen internationaler Schutz gewährt wurde.
Auch Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis wegen eines Abschiebungsverbots empfiehlt sich eine frühzeitige individuelle Beratung, ob sie die Voraussetzungen für den Erhalt einer (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis erfüllen bzw. welche Voraussetzungen sie hierfür noch erfüllen müssen. Können die Voraussetzungen nicht erfüllt werden, aber sind Menschen mit einem Abschiebungsverbot bspw. in einer Berufsausbildung oder arbeiten bereits in einem qualifizierten Beruf, kann ggf. auch eine zusätzliche, vom Abschiebungsverbot unabhängige Aufenthaltserlaubnis beantragt werden, um im Falle eines Widerrufsverfahrens einen sicheren Aufenthalt zu haben. Wer eine solche Möglichkeit nicht hat, kann sich nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland auch durch gute Integration, also Arbeit und Sprachkenntnisse absichern.
8. Syrer*innen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder 2 AufenthG (Landes- oder Bundesaufnahmeprogramm):
Auch für Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis auf Grund eines Bundes- oder Landesaufnahmeprogramms für syrische Flüchtlinge sollte wegen der desolaten humanitären Lage in Syrien bis auf Weiteres keine Gefahr für ihren Aufenthalt bestehen. Leider ist derzeit unsicher, was passieren wird, wenn die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden muss. Betroffene sollten jedoch unabhängig von dieser Frage wie bisher rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis stellen, wenn diese abläuft. Damit gilt der Aufenthalt unabhängig von der Lageentwicklung in Syrien weiterhin als erlaubt und Betroffene müssen eine Fiktionsbescheinigung erhalten (§ 81 Abs. 4 und 5 AufenthG). Dann droht kein Rückfall in die Duldung.
Sollte die Ausländerbehörde dabei andeuten, dass sie die Aufenthaltserlaubnis möglicherweise nicht verlängern möchte, sollten Betroffene unverzüglich individuelle Beratung einholen. Im Rahmen der Beratung sollte besprochen werden, wie gegebenenfalls argumentiert werden könnte, dass weiterhin humanitäre Gründe im Sinne der Aufnahmeanordnung vorliegen und ob ein Wechsel in einen anderen, von der humanitären Aufnahme unabhängigen Aufenthaltstitel möglich ist (bspw. wegen guter Integration, Arbeit als Fachkraft oder Berufsausbildung) beziehungsweise welche Voraussetzungen dafür noch erfüllt werden müssen.
Wird der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht rechtzeitig vor Ablauf gestellt, droht die Ausreisepflicht und nur noch eine Duldung, das heißt im schlimmsten Fall sogar die Abschiebung, falls Abschiebungen nach Syrien möglich werden sollten. Die Ausländerbehörde kann aber auch dann noch in Härtefällen die Fortgeltungswirkung der bisherigen Aufenthaltserlaubnis anordnen (§ 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG); dies sollte aber möglichst nicht riskiert werden. Sollten Ausländerbehörden Verlängerungsanträge nicht entgegennehmen wollen (dies geschieht in der Regel mündlich), empfiehlt sich unverzügliche und unabhängige individuelle Beratung und eine schriftliche Antragstellung zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Bevor eine Ausländerbehörde den Antrag auf Verlängerung ablehnt, werden Betroffene schriftlich darüber informiert und angehört (§ 77 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG), das heißt sie haben die Möglichkeit sich dazu zu äußern. Spätestens dann empfiehlt sich unabhängige Beratung. Wird die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, kann gegen diesen Bescheid der Ausländerbehörde beim zuständigen Verwaltungsgericht geklagt werden. Allerdings hat eine Klage keine aufschiebende Wirkung (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das bedeutet, dass dann schon der Rückfall in die Duldung und im schlimmsten Fall sogar eine Abschiebung drohen kann, falls Abschiebungen nach Syrien wieder möglich werden sollten.
Möglicherweise werden einzelne Bundesländer und/oder das Bundesinnenministerium Erlasse oder Hinweise zum weiteren Umgang mit diesem Personenkreis an die Ausländerbehörden verschicken, um einen »Flickenteppich« und völlig unterschiedliche Umgangsweisen mit den Menschen je nach zuständiger Ausländerbehörde zu verhindern und um Rechtssicherheit zu schaffen. Sinnvoll und wünschenswert wären großzügige Verlängerungsregelungen durch die Bundesländer allein schon deswegen, um nicht Tausende Menschen in die Ausreisepflicht und in Duldungen zu drängen (und ggf. in Asylverfahren und Asyl-Unterkünfte), sie damit zu entrechten, obwohl völlig unklar ist, ob und wann eine Rückkehr oder sogar Abschiebungen nach Syrien überhaupt möglich sind.
9. Syrer*innen mit Duldung:
Syrer*innen, die nur eine Duldung haben, sind ausreisepflichtig. Auch wenn die Duldung für Menschen, die nach Syrien ausreisen sollen, bislang und teils seit vielen Jahren sicher war, kann nach dem Ende von Assads Diktatur nunmehr grundsätzlich eine Abschiebung nach Syrien drohen.
Wann und in welchem Umfang bzw. ob überhaupt Abschiebungen nach Syrien möglich werden, ist Ende 2024 jedoch nicht absehbar. Zudem kann diese Frage – falls Abschiebungen wieder aufgenommen werden sollten – auch von individuellen Umständen abhängen.
Sehr schnelle und vor allem Massenabschiebungen Tausender nach Syrien sind allerdings unwahrscheinlich. Syrerinnen und Syrern mit einer Duldung empfiehlt sich eine baldige unabhängige individuelle Beratung, um zu besprechen, ob sie die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllen können, bspw. wegen guter Integration und/oder weil sie eine Berufsausbildung oder ein Studium begonnen oder erfolgreich abgeschlossen haben.
10. Familiennachzug nach Deutschland
An den Regelungen zum Familiennachzug ändert sich durch die veränderte Situation in Syrien nichts. Syrer*innen mit Schutz in Deutschland haben weiterhin dieselben Rechte, was den Nachzug ihrer Angehörigen angeht, wie zuvor. Allerdings bleiben auch dieselben Schwierigkeiten, die hohen bürokratischen Hürden und vor allem die jahrlange Dauer der Verfahren.
Daher kann es für Menschen mit Schutzstatus durch die veränderte Situation in Syrien trotzdem sehr problematisch werden, ihre Familie nachzuholen, etwa wenn ein Widerrufsverfahren eingeleitet werden sollte. Eine Beschleunigung des Familiennachzugs ist durch diese unsichere Situation aber leider nicht möglich.
Auch für diejenigen Syrer*innen, die unter den aktuellen Entscheidungsstopp fallen und noch Angehörige in Syrien oder den Nachbarländern haben, ist die Situation unabsehbar. Ob für sie der Nachzug der Familie möglich sein wird und falls ja, wann, kann derzeit nicht vorhergesagt werden. Dies hängt auch davon ab, wie sich die Lage in Syrien und vor allem die Entscheidungspraxis des BAMF entwickeln wird.
Politisches Verantwortungsbewusstsein und Menschlichkeit statt Populismus!
Geflüchtete aus Syrien in Deutschland haben nach dem Sturz der Assad-Diktatur verständlicherweise viele Fragen zu ihrem künftigen Aufenthalt in Deutschland, zum Familiennachzug oder zu Reisen nach Syrien. So kurz nach Änderung der Situation in Syrien lässt sich allerdings vieles nicht vorhersehen. Daher können diese Beratungshinweise nur versuchen zu informieren, was Syrer*innen möglicherweise zu erwarten haben und was sie selbst aktiv versuchen können, um unabhängig von möglichen politischen Entscheidungen oder von Entscheidungen der Behörden und Gerichte in Deutschland bleiben zu können.
Was das Behördenhandeln angeht, bleibt zu hoffen, dass aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde. Nach der Festnahme des irakischen Diktators Saddam Hussein widerrief das BAMF ab 2004 in tausenden Fällen den Schutzstatus irakischer Flüchtlinge. Zu Abschiebungen in den Irak kam es indes aufgrund der völlig desolaten Sicherheitslage im Irak aber dennoch nicht. Die Menschen blieben weiterhin in Deutschland, zum Teil allerdings völlig entrechtet in der Duldung, was zu Angst vor Abschiebung führte und ihre Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt erheblich erschwerte. Geholfen hat dies niemandem.
Da es nunmehr nicht »nur« um Tausende geht, sondern um mehr als 600.000 Syrer*innen mit einer Aufenthaltserlaubnis auf Basis eines Schutzstatus, plus rund 28.000 mit einem Aufenthalt durch ein Landes- oder Bundesaufnahmeprogramm, ist die Politik aufgefordert vorausschauend und vor allem menschlich handeln.
Widerrufsverfahren gegen Hunderttausende und die Infragestellung ihres Aufenthalts wären nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht inakzeptabel. Sie würden auch für die Wirtschaft ein Problem darstellen und insbesondere die ohnehin schon be- und teils überlasteten Behörden und Gerichte vor kaum lösbare Aufgaben stellen. Politisch verantwortliches Handeln ist daher notwendig und im eigenen Interesse alternativlos. Selbst in Wahlkampfzeiten sollte es nicht populistischen und realitätsfernen Forderungen geopfert werden.
(dmo)