Hintergrund
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
Wohnen im Lager, Essen aus dem Paket, zum Arzt nur im Notfall: Seit 1993 existiert in Deutschland mit dem Asylbewerberleistungsgesetz ein Sonderregime für Asylsuchende, das ihren Zugang zu Sozialleistungen und medizinischer Versorgung einschränkt. Aus Sicht von PRO ASYL ist das Gesetz eine diskriminierende Sonderbehandlung – es gehört abgeschafft.
Das so genannte »Asylbewerberleistungsgesetz« (AsylbLG) regelt, welche Sozialleistungen Asylsuchende, »Geduldete«, und »vollziehbar Ausreisepflichtige« und ihre Familienangehörigen erhalten. Dass all diese Betroffenen des »AsylbLG« nicht schlicht dieselben Sozialleistungen wie andere unterstützungsbedürftige Menschen in Deutschland erhalten, ist Teil einer auf Abschreckung und Ausgrenzung zielenden Flüchtlingspolitik.
Jahrelang erhielten Flüchtlinge in Deutschland auf der Grundlage des AsylbLG extrem niedrige Sozialleistungen, die weit unter den Hartz-IV-Sätzen lagen und überdies jahrzehntelang einfach nicht an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst wurden. Nach jahrelangem Streit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dieses Unrecht am 18. Juli 2012 beendet und die gekürzten Leistungen für verfassungswidrig erklärt. Die Minderleistungen seien »evident unzureichend, um das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten«. Aufgrund dieses Urteils wurden die Sätze angepasst – die Betroffenen erhielten für einige Zeit Unterstützung auf annähernd Hartz-IV-Niveau.
Doch schon im Herbst 2015 begann die Bundesregierung, den Lebensunterhalt von Flüchtlingen nach AsylbLG erneut zu beschneiden. Für 2017 sind weitere drastische Leistungskürzungen geplant. Auch die neuerlichen Einschnitte dürften schwer in Einklang zu bringen sein mit dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts: »Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.«
Überdies bestehen die strukturellen Probleme, die das AsylbLG verursacht, weiter fort, zum Beispiel hinsichtlich der medizinischen Versorgung.
AsylbLG: Medizinische Versorgung nur im Notfall?
Flüchtlinge sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine medizinische Notversorgung nach §§ 4 und 6 AsylblG erhalten. In der Praxis führen diese Bestimmungen zu großen Problemen – angefangen beim umständlichen Erhalt von Krankenscheinen bis hin zur Verweigerung von offenkundig notwendiger Behandlung. Einen Überblick über den genauen Leistungsumfang gesundheitlicher Vorsorge und Behandlung findet sich auf dem Infoportal der Medinetze. Dort ist auch erklärt, wie die unbestimmten Rechtsbegriffe »akute Erkrankungen« und »Schmerzzustände« in der Praxis gehandhabt werden.
Besonders problematisch ist, dass das AsylbLG nach wie vor dazu führt, dass sich AsylbLG-Empfänger*innen in der Regel vor einem Arztbesuch beim Sozialamt einen Krankenschein abholen müssen, da AsylbLG-Empfänger*innen nur in wenigen Bundesländern eine Gesundheitskarte erhalten. Das führt dazu, dass sich immer wieder medizinische Laien die Entscheidung anmaßen, ob ein behandlungswürdiger „Notfall“ vorliegt oder nicht. Immer wieder kommt es dazu, dass in Unterkünften Flüchtlingen verweigert wird, einen Notarzt zu rufen – in manchen Fällen mit gravierenden oder gar tödlichen Folgen.
Zahnentfernung statt Wurzelbehandlung
Erhalten Betroffene des AsylbLG einen Krankenschein, wird dieser durch das Sozialamt mit Anmerkungen für die Ärzt_innen versehen, mitunter mit äußerst restriktiven Auslegungen von § 4 AsylblG. Viele Ärzt_innen zeigen sich in der Praxis angesichts der Gesetzeslage überfordert, manche verweigern selbst die Notversorgung oder entscheiden sich etwa bei Zahnschmerzen zur Ziehung des Zahns statt zu einer kostenintensiveren Wurzelbehandlung.
Für einen Facharztbesuch brauchen Flüchtlinge eine Überweisung des Allgemeinarztes – doch bevor die Betroffenen damit den Facharzt aufsuchen, müssen sie die Überweisung dem Sozialamt vorlegen, das prüft, ob die Kosten der konkreten Behandlung übernommen werden.
Sachleistungsprinzip statt Geldzahlungen
Nach § 3 AsylbLG gilt das »Sachleistungsprinzip« während der Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung. Das heißt, dass der notwendige Bedarf von Flüchtlingen an Ernährung, Hygieneartikeln, Kleidung, etc. ihnen über Wertgutscheine oder etwa Lebensmittelpakete zur Verfügung gestellt werden kann. Damit nimmt das Asylbewerberleistungsgesetz Menschen das Recht, sich selbstbestimmt zu ernähren und zu versorgen.
Leistungseinschränkungen des AsylblG
Nach § 1a AsylblG können die geringen Leistungen weiter eingeschränkt werden. Dies betrifft vor allem geduldete Menschen, denen unterstellt wird, sie würden etwa durch mangelnde Mithilfe bei der Passbeschaffung ihre Abschiebung verhindern.Auch in Fällen, in denen unterstellt wird, die Person sei nur deshalb nach Deutschland geflohen, um AsylblG-Leistungen zu beziehen, können die Leistungen weiter gekürzt werden. 2015 hat der Gesetzgeber den Kreis der Betroffenen deutlich ausgeweitet. Die Mehrheit der Geduldeten läuft Gefahr, stark reduzierte Leistungen zum Leben zu erhalten.
Die Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG erfolgt durch eine teilweise oder vollständige Kürzung des Betrages für den persönlichen Bedarf. Aber gerade durch diesen Posten wird das verfassungsrechtlich verbürgte soziokulturelle Existenzminium abgedeckt. PRO ASYL sieht § 1a AsylblG deshalb als verfassungswidrig an. Auch hier gilt, was das Bundesverfassungsgericht 2012 bezüglich der Leistungssätze festgestellt hat: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.