Hintergrund
Asyl in Zahlen 2017
Die Zahl der nach Deutschland eingereisten Asylsuchenden ist 2017 nach dem außerordentlichen Zuzug 2015/16 deutlich gesunken – während die Zahl der Flüchtlinge weltweit so hoch ist wie nie zuvor. Nach einer kurzen Phase der Aufnahme- und Integrationsbereitschaft hat Deutschland schonungslos auf Abwehr geschaltet.
Im Jahr 2017 wurden ca. 198.000 Asylerstanträge in Deutschland gestellt. Damit lag die Zahl der Erstanträge in etwa auf dem Niveau des Jahres 2014. Hierin sind auch verzögerte Antragstellungen enthalten, die sich aus dem Rückstau der Vorjahre ergeben, so dass die Zahl der tatsächlich in 2017 neu eingereisten Asylsuchenden bei knapp 187.000 Personen lag (2016: ca. 280.000, 2015: ca. 890.000). Syrische Flüchtlinge machten 2017 insgesamt ein Viertel aller Asylsuchenden in Deutschland aus.
Sinkende Schutzquote unterstreicht restriktive Tendenz
Das BAMF hat im vergangenen Jahr über rund 603.000 Asylanträge entschieden (2016: knapp 696.000 Entscheidungen). Die meisten dieser Entscheidungen betrafen Menschen, die ihren Asylantrag bereits im Vorjahr oder noch früher gestellt hatten. Der Preis, den die Betroffenen für den beschleunigten Abbau der behördlichen Aktenberge zahlten, ist hoch: Die Qualität vieler Asylentscheidungen ist fragwürdig und die Gesamtschutzquote ging 2017 deutlich zurück.
Das BAMF erkannte Jahr 2017 bei mehr als der Hälfte aller geprüften Fälle an, dass es berechtigte Fluchtgründe gab. Dennoch ist eine restriktive Tendenz unübersehbar.
Der Anteil aller Asylentscheidungen, in denen ein Schutzstatus erteilt wurde, lag im Jahr 2016 bei rund 62 Prozent, 2017 nur noch bei circa 43 Prozent. Rechnet man die rein formal entschiedenen, inhaltlich nicht geprüften Fälle heraus, ergibt sich für 2017 eine bereinigte Schutzquote von 53 Prozent (Vorjahr: ca. 71 Prozent). Das BAMF erkannte also im Jahr 2017 bei mehr als der Hälfte aller geprüften Fälle an, dass es berechtigte Fluchtgründe gab. Dennoch ist die restriktive Tendenz hinsichtlich der Schutzgewährung unübersehbar.
Anerkennungspraxis erodiert Flüchtlingsrechte
Immer weniger Flüchtlinge erhalten den GFK-Status. Syrische Asylsuchende beispielsweise erhielten zwar auch in 2017 zu nahezu 100 Prozent Schutz – allerdings bekamen nur etwa 38 Prozent von ihnen den GFK-Flüchtlingsstatus, 61 Prozent hingegen subsidiären Schutz. Die gleiche Entwicklung lässt sich bei eritreischen Asylsuchenden beobachten: Erhielten 2015 noch über 95 Prozent von ihnen den GFK-Flüchtlingsschutz, waren es 2016 noch 81 Prozent und 2017 nur etwa 54 Prozent. Die Quote der eritreischen Flüchtlinge, die den GFK-Status erhalten, hat sich in zwei Jahren also fast halbiert, ohne dass sich die Situation in Eritrea verbessert hätte.
Die veränderte Entscheidungspraxis des BAMF folgt vielmehr dem politischen Ziel, den nunmehr nur subsidiär Geschützten Integrationschancen und Rechte vorzuenthalten – allen voran das Recht auf Familiennachzug. Parallel dazu verbreitet sich in der Öffentlichkeit der Irrglauben, subsidiär Geschützte seien ohnehin nur vorübergehend im Land. Richtig ist: Auch bei subsidiär geschützten Menschen ist von einem dauerhaften Aufenthalt auszugehen.
Ablehnungsquote steigt
Die Ablehnungsquote ist im vergangenen Jahr erneut deutlich gestiegen. So wurde mehr als die Hälfte aller afghanischen Flüchtlinge abgelehnt, nur noch circa 47 Prozent erhielten überhaupt Schutz (2015: ca. 78 Prozent, 2016: ca. 61 Prozent). Dies steht in augenfälligem Widerspruch zur Entwicklung im Land selbst: Die Taliban haben einer BBC-Studie zufolge wieder in bis zu 70 Prozent des Landes teilweise erheblichen Einfluss. Die Zahl der zivilen Opfer ist auf Rekordniveau.
Auch bei irakischen Asylsuchenden ist die Ablehnungsquote gestiegen: Während 2015 noch rund 99 Prozent von ihnen Schutz bekamen, waren es 2016 noch circa 77 Prozent und im vergangenen Jahr nur noch rund 64 Prozent. Mehr als ein Drittel aller irakischen Flüchtlinge bekam 2017 also gar keinen Schutz. Dabei ist der Irak auch nach der vorläufigen Zerschlagung des sogenannten IS in vielerlei Hinsicht ein gescheiterter Staat.
Mangelhafte Bescheide führen zur Überlastung der Gerichte
In vielen Fällen korrigieren Gerichte die mangelhaften Bescheide des BAMF. Syrische Flüchtlinge waren im Jahr 2017 zu 62 Prozent vor Gericht erfolgreich, eritreische Flüchtlinge gewannen in über 36 Prozent der Fälle vor Gericht. Vorwiegend ging es dabei um Verbesserungsklagen vom subsidiären Schutz zum GFK-Flüchtlingsstatus.
Afghanen waren zu 61 Prozent erfolgreich, auch im Fall irakischer Flüchtlinge wurde mit rund 17 Prozent ein nennenswerter Anteil der BAMF-Entscheidungen von den Gerichten korrigiert. Die Gerichte sind allerdings aufgrund der mangelhaften Bescheide des BAMF zunehmend überlastet. Ende 2017 waren rund 372.000 asylrechtliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anhängig. Somit dauert es immer länger, bis Schutzsuchende ihre Rechte vor Gericht durchsetzen können.
Dublin: sinnlose Bürokratie und rechtswidrige Praxis
Rund ein Drittel aller Asylverfahren 2017 waren sogenannte Dublinverfahren: Dabei geht es nicht um die Prüfung möglicher Fluchtgründe, sondern nur um die Klärung, welcher europäische Staat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Das Ergebnis sind menschliche Tragödien und jede Menge sinnlose Bürokratie: Nur elf Prozent der gestellten Übernahmeersuchen an andere EU-Staaten mündeten in der tatsächlichen Überstellung der Betroffenen. Auch 2017 wurden mehr Menschen aus anderen EU-Staaten nach Deutschland überstellt, als aus Deutschland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung abgeschoben wurden.
Mitte des Jahres wurde der fast siebenjährige Abschiebungsstopp nach Griechenland aufgehoben. Zudem haben der damalige deutsche Innen- und der griechische Migrationsminister im Mai 2017 eine rechtswidrige Übereinkunft getroffen, um die Zahl der Aufnahmen aus Griechenland zu begrenzen: Die Zahl der Familiennachzüge aus Griechenland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung wurde damit faktisch kontingentiert. Erst nachdem diese Praxis in einem von PRO ASYL unterstützten Gerichtsverfahren im September 2017 für rechtswidrig erklärt wurde, stieg die Zahl der Überstellungen aus Griechenland deutlich an.
Europa: Feigenblatt Resettlement
Europa arbeitet daran, Flüchtlingen den Zugang zu einem fairen Asylverfahren auf europäischem Territorium vollends zu verwehren. Sie sollen in Elends- und Flüchtlingslagern ausharren, bis über ihr Asylgesuch entschieden ist, so die Vorstellung etlicher europäischer Staatschefs. In einem unmoralischen Tauschgeschäft wird zugleich eine stärkere Beteiligung Europas am UNHCR-Resettlementprogramm angeboten.
50.000 Resettlement-Plätze stellt die EU-Kommission bis Oktober 2019 zur Verfügung – ein beschämendes Angebot angesichts der weltweiten Flüchtlingszahlen.
Ganze 50.000 Plätze stellt die EU-Kommission bis Oktober 2019 für Schutzsuchende zur Verfügung, rund 10.000 davon in Deutschland – ein beschämendes Angebot angesichts der weltweiten Flüchtlingszahlen.
Abschiebungen: Die Mär vom vermeintlichen Vollzugsdefizit
Fast 24.000 Menschen wurden 2017 aus Deutschland abgeschoben, fast die Hälfte davon in den Westbalkan. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl der Abschiebungen damit zurück. Allerdings halten Bund und einige Länder Abschiebungen nach Afghanistan seit 2016 für akzeptabel: 121 Personen wurden 2017 in das kriegs- und krisengeschüttelte Land abgeschoben, darunter auch solche, die sich entgegen anderslautenden Behauptungen der Regierung in Deutschland nichts zu Schulden haben kommen lassen.
Ein Großteil der abgelehnten Asylsuchenden erhält eine Duldung, ihre Abschiebung ist also aus guten Gründen ausgesetzt.
Immer wieder geistern absurd hohe Zahlen zu angeblich ausreisepflichtigen, abgelehnten Asylbewerbern durch die Medien. Die tatsächliche Zahl der Ausreisepflichtigen lag Ende 2017 bei ca. 229.000, rund die Hälfte davon waren abgelehnte Asylsuchende. Ein Großteil der abgelehnten Asylsuchenden erhält eine Duldung, ihre Abschiebung ist also aus guten Gründen ausgesetzt. Die meisten werden länger in Deutschland bleiben. Es wäre weitsichtig, auch bei ihnen auf einen Ausbau der Integrationsangebote zu setzen.
Dirk Morlok