Hintergrund
Unzumutbare Anforderungen verhindern Familiennachzug zu Flüchtlingen aus Eritrea
Anerkannte Flüchtlinge genießen Schutz vor dem sie verfolgenden Staat. Das bedeutet auch, dass Kontakt zur Regierung des Herkunftslandes für sie nicht zumutbar ist. Anerkannte Flüchtlinge aus Eritrea werden im Rahmen des Familiennachzugs jedoch dazu gedrängt, die eritreische Botschaft aufzusuchen.
Während es in der jüngsten Zeit kein anderes Thema zu geben schien als den Familiennachzug zu einer bestimmten Schutzgruppe, nämlich den subsidiär Schutzberechtigten, stand zumindest eins immer fest: Anerkannte Flüchtlinge haben ein Recht auf Familiennachzug der engsten Familie. Das wurde auch vom Gesetzgeber nie in Frage gestellt. Doch die Praxis sieht anders aus. Insbesondere eritreische Flüchtlinge stehen in diesem Verfahren vor hohen Hürden, die den Nachzug der Ehegatten und Kinder erschweren, jahrelang in die Länge ziehen und in vielen Fällen am Ende sogar unmöglich machen.
Beantragung aus Botschaften in Nachbarländern
Weil ein Familiennachzug von Eritrea über die dortige deutsche Botschaft kaum möglich ist, müssen die Familienangehörigen meist zunächst in die Nachbarländer Äthiopien oder Sudan fliehen. Neben dem seit langem bekannten Problem der Terminbuchung bei der deutschen Botschaft, der erforderlich ist, um überhaupt einen Antrag auf Familiennachzug stellen zu können, haben erhöhte Anforderungen an die vorzulegenden Dokumente in der letzten Zeit zu neuen Schwierigkeiten geführt. Insbesondere, dass von Ehegatten seit Herbst 2016 eine Registrierung der Ehe gefordert wird, stellt diese vor große Probleme. Immer wieder erreichen die Beratung von PRO ASYL hilfesuchende Anfragen mit ähnlichen Schilderungen der Probleme.
Beispiel: Der Fall von Herrn T.
Nach über zwei langen Jahren wurde Herr T. aus Eritrea im Frühling 2017 als Flüchtling anerkannt. Nun kann seine Frau, die mit der sechsjährigen Tochter nach Äthiopien geflohen ist und in einem Flüchtlingslager seit Monaten auf gute Nachrichten wartet, bei der deutschen Botschaft in Addis Abeba einen Termin für das Nachzugsvisum beantragen. Doch es vergehen weitere 15 Monate, bis sie endlich einen Termin bekommt.
Dass der Familiennachzug durch diese neue Anforderung für viele Familien unmöglich wird, zeigen die im Vergleich zum Vorjahr rasant gesunkenen Erteilungsquoten.
Inzwischen ist die Familie schon seit fast vier Jahren getrennt, aber nun scheint das Wiedersehen zum Greifen nah. Mit dem Antrag auf Familiennachzug reicht die Ehefrau die religiöse Heiratsurkunde ein. Der Botschaft jedoch reicht dies nicht aus. Sie fordert eine Urkunde über die staatliche Registrierung der Ehe. Die Familie ist schockiert. Wie sollen sie diese nur beschaffen? Wen könnte man in Eritrea beauftragen, ohne dass es für diese Person gefährlich wird? Und selbst wenn jemand gefunden wird, wie kann die Person bevollmächtigt werden?
Sinkende Quoten als Folge der neuen Anforderungen
Dass der Familiennachzug durch diese neue Anforderung für viele Familien unmöglich wird, zeigen die im Vergleich zum Vorjahr rasant gesunkenen Erteilungsquoten. Im ersten Quartal 2017, als die Forderungen nach Nachregistrierungen wegen der langen Verfahrensdauer erst zum Teil in die Entscheidungen einflossen, wurden an den drei Botschaften Addis Abeba, Khartoum und Nairobi im Schnitt noch über 80 Prozent der Visaanträge bewilligt. Dieser Anteil sank im Vergleich dazu im ersten Quartal 2018 auf unter 40 Prozent.
(Zahlen entnommen aus Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten U. Jelpke u.a. Fraktion DIE LINKE, Drucksache 19/2075)
Es zeigt sich, dass allein bei der Botschaft in Nairobi die Ablehnungsquote nicht gesunken ist. Diese bearbeitet Anträge, die die sehr kleine Botschaft in Eritrea entgegennimmt. Wie man in der Statistik erkennt, gibt jedoch kaum Familienangehörige, die ihr Nachzugsverfahren so von Eritrea aus betreiben können, denn dort können nur vollständige Anträge eingereicht werden – also solche in denen die Identitäts- und Reisedokumente sowie die Personenstandsurkunden vorliegen. Einen Reisepass und ein Visum zur legalen Ausreise erhalten in Eritrea aber nur sehr wenige Menschen (siehe dazu Kap. 6 im EASO Bericht). Die meisten Eritreer*innen können aus der Diktatur nicht legal ausreisen. Den Familienangehörigen bleibt oft nichts als die Flucht in die Nachbarländer Äthiopien und Sudan übrig.
Auch religiös geschlossene Ehen sind in Eritrea rechtswirksam
Die fehlenden Eheregistrierungen sind in vielen Fällen ausschlaggebend für die Ablehnung des Visumsantrages. In Eritrea sind religiöse, gewohnheitsrechtliche und standesamtliche Hochzeiten gleichermaßen möglich und anerkannt. Die meisten Ehen in Eritrea werden nur religiös geschlossen. Laut eritreischem Gesetz war zwar nach der alten Gesetzgebung und ist auch in dem neuen Zivilgesetzbuch von 2015 (Art. 56 und 113) vorgeschrieben, dass religiöse und gewohnheitsrechtliche Eheschließungen innerhalb eines Monats amtlich registriert werden. Dies jedoch schlägt sich in der Verwaltungspraxis nicht nieder.
Laut dem Herkunftsländerbericht von EASO sowie der ausführlichen Stellungnahme eines Länderexperten fanden und finden diese Registrierungen aufgrund mangelnder behördlicher Strukturen nicht flächendeckend statt. Es gibt keinerlei Bestrebungen seitens der Regierung dies nachzuholen. Eine fehlende Registrierung im Zentralregister hat in Eritrea keinerlei praktische Konsequenzen. Auch ohne die amtliche Registrierung sind religiös geschlossene Ehen rechtswirksam (siehe dazu auch den Artikel von M. Ton im Asylmagazin 3/2018, nicht online abrufbar).
Beim Antrag auf Ehegatten- und Kindernachzug nach Deutschland wurden lange Zeit die religiösen Eheurkunden als ausreichend angesehen, um die Ehe nachzuweisen. Nun jedoch verlangen die deutschen Botschaften eine Registrierungsurkunde.
Die Nachregistrierung der Ehe aus dem Ausland ist unzumutbar
Die Beschaffung der staatlichen Registrierung aus dem Ausland ist für Flüchtlinge unzumutbar. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier von anerkannten Flüchtlingen, die aus diesem Staat geflohen sind. Da auch die Angehörigen den Antrag auf Familiennachzug nur außerhalb Eritreas stellen können, müssen die Eheleute die Nachregistrierung oft nach ihrer Flucht aus Eritrea vom Ausland aus betreiben. Laut Auskünften der deutschen Botschaften und dem Auswärtigen Amt ist dies durch die Beauftragung eines bevollmächtigten Dritten möglich. In der Praxis jedoch stellt es die Familien vor zwei große Zumutungen:
Das erste praktische Problem besteht darin, eine Person zu finden, die die Registrierung in Eritrea vornehmen kann. Familienmitglieder der Desertierten, die noch in Eritrea leben, fürchten Nachteile und Repressionen bis hin zur Inhaftierung, wenn sie behilflich sind und möchten nicht beauftragt werden (siehe dazu zum Beispiel den Bericht des UN-Menschenrechtsrats von 2016). Andere Verwandte berichten, dass die Behörden die Registrierung verweigern und fordern, die Eheleute sollten selbst vorsprechen.
Angst vor Repression
In der Beratung von PRO ASYL beschreiben Unterstützer*innen immer wieder, dass sie versucht haben, den deutschen Botschaften klar zu machen, dass die Familien aus Angst vor Repressionen die Dokumente nicht beschaffen können. Laut Bundesregierung bereitet die Registrierung jedoch »keine Probleme«. Es wird vertreten, dass es keine Hinweise auf Repressalien gibt und dies bisher bei den Botschaften nicht vorgetragen wurde. Dies steht im Widerspruch zu unzähligen Berichten über langwierigen Auseinandersetzungen und Mailwechseln mit den Botschaften von Ehrenamtlichen und Beratungsstellen, die uns erreichen.
Keine Kontakte zu Anwält*innen herstellbar
Einige Flüchtlinge haben keine Verwandten mehr, die sie beauftragen könnten. Für diese Flüchtlinge müsste es möglich sein, eine andere Person zu beauftragen. In Fällen, in denen deutsche Behörden von Ausländer*innen Unterlagen aus dem Herkunftsland fordern, können normalerweise Kontakte von Anwält*innen genannt werden, die für die Beschaffung beauftragt werden können. In diesem Fall jedoch nicht. Laut Auskunft der deutschen Botschaft in Asmara ist der Vertrauensanwalt der Botschaft auf diesem Gebiet nicht tätig und auch andere Kontakte kann die Botschaft nicht konkret benennen.
Anerkannte Flüchtlinge müssen vor den Repressionen des sie verfolgenden Staates geschützt werden. Ihnen kann nicht zugemutet werden, sich zwischen ihrer Familie und Anforderungen, die sie und andere Mitwirkende in riskante Situationen bringen können, zu entscheiden.
Kontaktaufnahme zum Verfolgerstaat darf keine Voraussetzung sein
Das zweite, schwerwiegende Problem liegt in der Bevollmächtigung selbst. Aus dem EASO-Bericht und mehreren E‑Mails von deutschen Auslandsvertretungen, die PRO ASYL vorliegen, wird deutlich, dass eine Vollmacht zunächst von der eritreischen Botschaft beglaubigt werden muss. Um die Beglaubigung zu erhalten, muss der anerkannte Flüchtling und/oder sein*ihr Ehegatte eine eritreische Botschaft aufsuchen – eine höchst fragwürdige Anforderung, denn grundsätzlich gilt: Von anerkannten Flüchtlingen kann nicht verlangt werden, mit dem Verfolgerstaat Kontakt aufzunehmen.
Eritrea erhebt Diaspora-Steuer
Im Fall Eritreas kommt hinzu: Die eritreischen Botschaften verlangen vor jeglicher Dienstleistung eine Reueerklärung über die Flucht und die – auch rückwirkende – Bezahlung der sogenannten Aufbausteuer, die 2 Prozent des Einkommens umfasst. Diese Abgabe wird in Deutschland nicht von den Botschaften direkt eingezogen, muss aber dennoch über Vermittler bezahlt worden sein, um konsularische Dienste in Anspruch zu nehmen. Viele möchten dies nicht tun. Sie sind nicht bereit, die Erklärung zu unterschreiben, weil sie keine Reue fühlen und eine »angemessene Bestrafung« zu akzeptieren, obwohl sie genau vor solchen Repressionen geflohen sind. Sie können und möchten die eritreische Regierung nicht finanziell unterstützen und wollen ihre Adresse in Deutschland nicht preisgeben. Forschungsergebnisse belegen, welchen Repressionen Eritreer*innen in diesem Zusammenhang ausgesetzt sind.
Flüchtlinge befinden sich in einer besonderen Situation und können nicht einfach Dokumente aus dem Herkunftsland beschaffen. Das berücksichtigt auch die Familiennachzugsrichtlinie (Richtlinie 3002/86/EG): Laut Art. 11 Abs. 2 dieser europäischen Richtlinie darf ein Antrag nicht allein mit dem Fehlen von Belegen begründet werden.
In den Leitlinien zur Anwendung führt die Europäische Kommission aus, dass es »aufgrund der besonderen Situation der Flüchtlinge, die zur Flucht aus ihrem Land gezwungen wurden, häufig nicht möglich oder gefährlich für die Flüchtlinge oder ihre Familienangehörigen [ist], amtliche Unterlagen vorzulegen oder Kontakt zu diplomatischen oder konsularischen Behörden ihres Herkunftslands aufzunehmen. Artikel 11 Absatz 2 besagt ganz eindeutig, ohne dass den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum eingeräumt wird, dass die Ablehnung eines Antrags nicht ausschließlich mit dem Fehlen von Belegen begründet werden darf«.
Unzumutbarkeit ist die Regel, keine Ausnahme
Obwohl die Probleme die Regel sind, werden andere Beweise wie private Dokumente oder Fotos in den wenigsten Fällen in die Prüfung einbezogen. Die europäische Leitlinie wird nicht ausreichend beachtet. Viele Visaanträge werden letztendlich abgelehnt, weil die Registrierungsurkunde nicht beschafft und damit die Ehe nicht nachgewiesen werden kann. Selbst bei gemeinsamen Kindern und durch einen DNA-Test bewiesene Vaterschaft fordern die Botschaften zum Nachweis der rechtlichen Vaterschaft die Eheregistrierung. Dies ist mit der Familiennachzugsrichtlinie nicht vereinbar. Die Kontaktaufnahme zum Verfolgerstaat darf keine Voraussetzung für Anforderungen im Rahmen der Familienzusammenführung sein.
Anerkannte Flüchtlinge müssen vor den Repressionen des sie verfolgenden Staates geschützt werden. Ihnen kann nicht zugemutet werden, sich zwischen ihrer Familie und Anforderungen, die sie und andere Mitwirkende in riskante Situationen bringen können, zu entscheiden.
Beglaubigung aus dem Ausland nicht möglich
Auch wenn sich nur die nachziehenden (immerhin bei UNHCR als Flüchtlinge registrierten) Angehörigen darauf einlassen, löst das nicht das Problem. Die Ehefrau von Herrn T. beispielsweise kann die Vollmacht nicht beglaubigen lassen, weil es in Äthiopien keine Auslandsvertretung Eritreas gibt. In anderen Fällen hat es nicht gereicht, dass einer der Ehegatten bei der eritreischen Botschaft die Bevollmächtigung erteilt hat, sondern es wurde auch von dem anderen Ehegatten verlangt. Von anerkannten Flüchtlingen in Deutschland wie Herrn T. wird also verlangt, dass sie Kontakt zu ihrem Verfolgerstaat aufnehmen.
PRO ASYL unterstützt Betroffene in ihren Verfahren und fordert, dass diese Hürden beim Familiennachzug auch in Deutschland abgebaut werden!
Eine andere Praxis ist möglich
Dass es auch anders geht, zeigen beispielsweise die Niederlande: Hier haben Belege über Einschüchterungen im Zusammenhang mit dem Einzug der 2 Prozent-Steuer dazu geführt, dass ein eritreischer Diplomat zur ‚persona non grata‘ erklärt wurde. Ein Gericht in Den Haag bestätigte, dass religiöse Heiratsurkunden für den Nachweis der familiären Beziehung ausreichen. In dem Urteil wurde auf eine wissenschaftliche Studie der Migration Law Clinic Bezug genommen, die sich mit der Vereinbarkeit der Anforderungen mit der Familiennachzugsrichtlinie auseinandersetzt. Auch ein schwedisches Gericht urteilte, dass von Eritreer*innen in Schweden und ihren Angehörigen nicht verlangt werden kann, sich zwecks Dokumentenbeschaffung an die eritreische Botschaft zu wenden.
Immer noch keine Lösung für Familie T.
Die Eheleute T. haben es bisher nicht geschafft, ihre Ehe nachträglich registrieren zu lassen. Sie befürchten, dass der Visumsantrag darum bald abgelehnt wird. Dann bleibt Ihnen nur noch der Rechtsweg, der wieder viele Monate dauern wird – und dessen Ausgang offen ist.
Die Schikane hat aus Sicht von PRO ASYL Methode: Familiennachzug wird nicht nur mit rechtlichen, sondern auch verwaltungstechnischen Anforderungen verhindert, wo es möglich ist. PRO ASYL unterstützt Betroffene in ihren Verfahren und fordert, dass diese Hürden beim Familiennachzug auch in Deutschland abgebaut werden, sodass Flüchtlinge und ihre Angehörigen das Recht, das sie besitzen, auch wahrnehmen können.
(jb)