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Zahnmedizinische Versorgung von Flüchtlingen in Thüringen – ein Skandal
Kleine Anfrage zu diesem Thema im Thüringer Landtag hin. Offenbar werden insbesondere in einigen Gebietskörperschaften die Zähne dieser Personengruppe häufiger gleich gezogen, statt sie zu behandeln,. Jedenfalls liegen von Seiten des Innenministeriums jetzt Zahlen vor, die diese Schlussfolgerung nahelegen. Die auseinanderlaufende Praxis in den einzelnen Landkreisen deutet auf ein völliges Versagen der Fachaufsicht hin. Der Innenminister will das Problem offenbar gar nicht erkennen, sondern verweist auf den Wortlaut des Asylbewerberleistungsgesetzes. Der aber erklärt nicht das, was in Thüringen im Alltag offenbar abläuft.
Der Flüchtlingsrat Thüringen hat am 9. August 2011 mit einer Presseerklärung „Zähne ziehen statt behandeln?“ reagiert und harsche Kritik geübt. Weder gebe es eine gesetzliche noch eine politische Grundlage, die dies alles legitimiere. Die Landesregierung sei aufgefordert, eine rechtskonforme Handreichung zu entwickeln, damit diesen gravierenden Missständen ein Ende gesetzt werde. Dabei müsse selbstverständlich in erster Linie die Zahnerhaltung analog der Kassenleistung für gesetzlich Versicherte die Grundlage sein. Der Menschenrechtsbeauftragte der Thüringer Landesärztekammer unterstützt diese Forderung.
In den vergangenen Jahren allerdings hatten sich die ärztlichen Institutionen nicht mit Ruhm bekleckert. Problemanzeigen seitens des thüringischen Flüchtlingsrates lagen bereits in den Jahren 2003 und 2004 vor. Amtszahnärzte hatten entsprechende Praktiken auch gegenüber dem SPD-Gesundheitsexperten Dr. Thomas Hartung, von dem die Anfrage im thüringischen Landtag stammt, bestätigt, wollten aber anonym bleiben, so die Thüringer Allgemeine am 4. August 2011. Die kassenzahnärztliche Vereinigung wies die Vorwürfe vehement zurück – überraschend vor dem Hintergrund der eindeutigen Zahlen, etwa bezüglich des Verhältnisses der behandelten zu gezogenen Zähnen in den einzelnen Kreisen. Auch der Vergleich der durchschnittlichen „Extraktionsquote“ für das ganze Land fällt zwischen der Personengruppe Asylbewerber und den Normalversicherten drastisch aus. Asylbewerbern wurde jeder fünfte behandelte Zahn gezogen. Ansonsten liegt die Extraktionsquote zwischen 0,5 und 5%, so die Thüringer Allgemeine. Trotzdem behauptet die kassenzahnärztliche Vereinigung, den Ärzten werde eine bewusste Körperverletzung unterstellt. Gegen diese Verleumdung müsse man sich rechtliche Schritte vorbehalten. Andererseits heißt es, dass man als KZV an die Gesetze des Landes gebunden sei. Hier wird die Auseinandersetzung interessant. Müssen Ärzte Gesetze befolgen, die ihnen aus Kostengründen die nicht sachgerechte Behandlung von Patienten nahelegen und ist dies ggf. nicht nur ein Verstoß gegen die ärztliche Ethik, sondern möglicherweise ein Körperverletzungstatbestand?
Die Grünen-Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich hat sich klar positioniert. Sie meint: Das Ziehen behandelbarer Zähne ist eine systematische Körperverletzung. Man darf gespannt sein über die Fortsetzung der Debatte u.a. zwischen dem Menschenrechtsbeauftragten der Thüringer Landesärztekammer und dem Vorsitzenden der kassenzahnärztlichen Vereinigung, der zwar politischen Handlungsbedarf bei der Regierung sieht, seine Kollegen bisher allerdings in Schutz nimmt.