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FAQ zur europäischen Asylreform GEAS: Antworten auf die wichtigsten Fragen
Die Reform des »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« (GEAS) ist die größte Asylrechtsverschärfung seit 30 Jahren, auch in Deutschland. Für in die EU fliehende Menschen wird es noch schwerer werden, ab dem Sommer 2026 Schutz zu bekommen. Wir beantworten hier die wichtigsten Fragen dazu, wer, wie und was GEAS eigentlich ist.
Als »historischen Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa« hatte PRO ASYL die Zustimmung des Europaparlaments zu der Reform des »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« (GEAS) kritisiert. Dabei war die Idee eines gemeinsamen europäischen Asylsystems eigentlich mal progressiv, und auch PRO ASYL setzte sich dafür ein, damit es europaweit einheitlich hohe Standards gibt.
Doch nun wird unter dem Deckmantel des GEAS eine massive Schwächung des Flüchtlingsschutzes vollzogen. Denn die Reform sieht gravierende Verschärfungen für Menschen vor, die in Europa Schutz suchen. Es drohen Haftlager an den Außengrenzen und immer mehr Deals mit Ländern außerhalb der EU, um Flüchtlinge grundsätzlich von Europa fernzuhalten. Was das zukünftig für Menschen bedeutet, die versuchen, in der EU Schutz zu bekommen, haben wir hier beschrieben. Die Festung Europa wurde mit der GEAS-Reform mit neuen Abwehrmechanismen gegen schutzsuchende Menschen weiter ausgebaut.
Die Festung Europa wurde mit der GEAS-Reform mit neuen Abwehrmechanismen gegen schutzsuchende Menschen weiter ausgebaut.
Für Deutschland bedeutet die GEAS-Reform, dass wir vor der größten Asylrechtsverschärfung seit der Grundgesetzänderung von 1993 stehen. Viele Asylverfahren werden künftig in beschleunigten Asylverfahren mit eingeschränktem Rechtsschutz geprüft – und es ist abzusehen, dass sie oft fälschlich abgelehnt werden. Neue Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkungen und der Asylverfahrenshaft können dazu führen, dass wir so bisher nicht bekannte Inhaftierungen von Asylsuchenden erleben.
Die Reform wurde im Mai 2024 vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU verabschiedet und kommt ab Juni 2026 zur Anwendung. Bis dahin müssen die Mitgliedstaaten ihre Asylsysteme entsprechend angepasst haben. Auf Asylsuchende und ihre Unterstützer*innen kommen daher große Änderungen zu, doch viele haben weiterhin große Fragezeichen, was die GEAS-Reform eigentlich genau ist und zu welchen Änderungen sie führt. PRO ASYL beantwortet die häufigsten Fragen.
GEAS steht für »Gemeinsames Europäisches Asylsystem«. Es umfasst europarechtliche Richtlinien und Verordnungen, die die Standards für die Asylverfahren, die Unterbringung und die Versorgung von Asylsuchenden festlegen sollen.
Die Asylsysteme in den europäischen Ländern weisen trotz gemeinsamer Richtlinien und Verordnungen große Unterschiede auf. Das sogenannte Dublin-System hat nie wie vorgesehen funktioniert und ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die EU-Staaten an den Außengrenzen extrem unfair. Zudem unterscheiden sich in den verschiedenen Mitgliedstaaten die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern stark. Hinzu kommt, dass in einigen EU-Ländern den Asylsuchenden kein laut Grundrechtecharta und Europäischer Menschenrechtskonvention angemessener Lebensstandard gewährt wird.
Deswegen fühlen sich viele Schutzsuchende gezwungen, von dem EU-Land der ersten Einreise in andere Mitgliedstaaten wie Deutschland weiterzuziehen (sogenannte Sekundärmigration). Die Reform sollte ein Neustart sein und unter anderem zu einem solidarischeren System führen sowie Sekundärmigration durch effiziente und einheitliche Verfahren verringern. Doch die Reform, auf die sich letztlich geeinigt wurde, wird nach Ansicht von PRO ASYL diese Ziele nicht erreichen und stattdessen zu mehr Inhaftierung und Leid von Asylsuchenden an den Außengrenzen führen.
Die Reform besteht aus zehn neuen Rechtsakten:
- Der Asylverfahrens-Verordnung (mit dem Ziel, Asylverfahren in der EU zu vereinheitlichen)
- Die Rückkehrgrenzverfahrens-Verordnung (regelt das Verfahren an der Außengrenze nach Ablehnung des Asylantrages)
- Die Verordnung über ein Asyl- und Migrationsmanagement (ersetzt die Dublin-III-Verordnung)
- Die EURODAC-Verordnung (enthält Regelungen zur Speicherung personenbezogener Daten wie den Fingerabdruck in der sogenannten EURODAC-Datenbank)
- Die Screening-Verordnung und die Screening-Konsistenz-Verordnung (enthält die Regelung zur verpflichtenden Überprüfung für alle Einreisenden, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen)
- Die Krisen-Verordnung (für die Regelung von »Krisensituationen« und »Situationen höherer Gewalt«)
- Die Aufnahmerichtlinie (regelt die Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten)
- Die Qualifikations-Verordnung (soll einen einheitlichen internationalen Schutzstatus ermöglichen, indem die Voraussetzungen geregelt werden, wann die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird))
- Die Resettlement-Verordnung (enthält einheitliche Regelungen für die legale und sichere Einreise von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen)
Bei den Rechtsakten der GEAS-Reform findet sich als einzige Richtlinie die Aufnahmerichtlinie. Die Richtlinie ist hinsichtlich ihrer Ziele verbindlich, aber den Mitgliedstaaten wird überlassen, in welcher Form und mit welchen Mitteln sie die Vorgabe in nationales Recht umsetzen.
Alle anderen Regelungen sind als Verordnungen erlassen worden, da so die Asylpraxis in der EU stärker vereinheitlicht werden soll. Sie gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und sind in ihrem gesamten Inhalt verbindlich. Die Verordnungen werden ab Anwendung zwei Jahre nach Inkrafttreten – also ab Juni bzw. Juli 2026 – Bestandteil der deutschen Rechtsordnung, ohne dass es eines Umsetzungsakts bedarf.
Die Verordnungen der Reform beinhalten jedoch sogenannte Öffnungsklauseln, in denen sie dem nationalen Gesetzgeber die Kompetenz einräumen, bestimmte Bereiche durch nationale Regelungen zu konkretisieren. Hier muss Deutschland die zur Verfügung stehenden Spielräume nutzen, um zum Beispiel effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen. Gemeinsam mit 25 anderen Organisationen hat PRO ASYL für eine möglichst menschenrechtskonforme Umsetzung Forderungen an die Bundesregierung gestellt.
Das Bundesinnenministerium arbeitet am deutschen Umsetzungsgesetz und hat im Oktober 2024 einen Referentenentwurf vorgelegt. Am 6. November 2024 wurde der Gesetzentwurf von der Bundesregierung im Kabinett beschlossen – am gleichen Tag ist die Ampel-Regierung auseinandergebrochen. Aktuell sieht es danach aus, dass es keine ausreichende Mehrheit im Bundestag gibt, um das Gesetz noch vor der Bundestagswahl zu verabschieden.
PRO ASYL kritisiert scharf, dass der Referentenentwurf eine ganze Reihe nicht-notwendiger Verschärfungen und eine massive Ausweitung der Möglichkeiten zur Freiheitsbeschränkung und Inhaftierung von Schutzsuchenden in Deutschland vorsieht.
Alle Personen, die ohne Erlaubnis die Außengrenzen überschreiten, werden einem »Screening« unterworfen, das verpflichtend ist. Das Screening (deutsch: Überprüfung) umfasst die Identifizierung der Personen, Gesundheits- und Sicherheitsüberprüfungen, die Abnahme von biometrischen Daten und die Registrierung in der Fingerabdruck-Datenbank EURODAC. Außerdem wird geprüft, ob die Personen besonders schutzbedürftig sind, also zum Beispiel Opfer von Folter geworden sind. Diese Überprüfung darf maximal sieben Tage dauern. Während des Screenings an den Außengrenzen gelten die Personen als »nicht-eingereist« und werden hierfür absehbar in bestimmten Zentren festgehalten.
Erfolgte das Screening nicht an der Außengrenze, ist es im Inland innerhalb von drei Tagen nachzuholen, wenn eine Person aufgegriffen wird, die keinen Aufenthaltstitel hat. Während des Screenings im Inland gilt die Fiktion (Annahme) der Nicht-Einreise nicht.
Das Screening endet mit dem Verweis in das geeignete Verfahren: das Asyl- oder das Rückkehrverfahren. Es wird auch entschieden, welche Personen in das Asylgrenzverfahren müssen.
Das Asylgrenzverfahren ist ein Schnellverfahren und kann bis zu zwölf Wochen dauern. Eine Verlängerung um weitere vier Wochen ist nur möglich, wenn eine Übernahme der betreffenden Person im Rahmen des Solidaritätsmechanismus erfolgt ist.
Es ist verpflichtend für Personen, denen vorgeworfen wird, die Behörden über ihre Identität getäuscht zu haben, oder bei denen angenommen wird, dass sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung darstellen. Außerdem müssen Personen, die aus einem Staat kommen, in dem die Quote der Schutzanerkennung europaweit unter 20 Prozent liegt, in das Grenzverfahren. Die Mitgliedstaaten können die Grenzverfahren auch optional auf weitere Asylsuchende ausweiten, wenn sie zum Beispiel aus »sicheren Herkunftsstaaten« kommen oder über einen »sicheren Drittstaat« gereist sind.
Auch Kinder können zusammen mit ihren Familien zu den betroffenen Personen gehören. Nur unbegleitete Minderjährige sind in der Regel vom Grenzverfahren ausgenommen. Personengruppen, die besonders vulnerabel sind, sind nicht generell vom Grenzverfahren ausgenommen. Wenn aber ihre Bedürfnisse im Grenzverfahren nicht berücksichtigt werden können, darf es nicht durchgeführt werden.
Europaweit ist eine Kapazität von 30.000 Plätzen für das Grenzverfahren vorzusehen, wenn diese überschritten wird, sind die Grenzverfahren auszusetzen. Deutschland muss laut Umsetzungsbeschluss der Kommission 374 Plätze für das Außengrenzverfahren bereitstellen. An das Grenzverfahren kann sich ein bis zu dreimonatiges Rückführungsgrenzverfahren anschließen.
Grenzverfahren sind nicht dafür geeignet, dass dort faire Asylverfahren stattfinden. Es besteht die Gefahr, dass der Schutzbedarf geflüchteter Menschen nicht erkannt wird und Abschiebungen trotz drohender Verfolgung durchgeführt werden. Mit einem Blick auf die erheblichen systematischen Mängel an den EU-Außengrenzen, die schon heute bestehen, lässt eine Stärkung dieses Ansatzes durch verpflichtende Grenzverfahren schlimme Konsequenzen erahnen. In geschlossenen Lagern in Griechenland beispielswiese haben Rechtsberater*innen schon jetzt keinen gesicherten Zugang; und auch die medizinische Versorgung ist mangelhaft. Die rechtliche Fiktion der Nicht-Einreise wird absehbar dazu führen, dass Asylsuchende im Grenzverfahren systematisch inhaftiert werden. Das isoliert die Menschen sehr und ist eine zusätzliche psychische Belastung
In Bulgarien wird das Grenzverfahren schon seit 2023 als Pilotprojekt erprobt. Die Rechtsberater*innen dort befürchten, bei Schnellverfahren in Zentren an den Grenzen keinen Zugang mehr zu den Asylsuchenden zu erhalten. Das Pilotprojekt lässt laut ihren Aussagen diesbezüglich nichts Gutes erahnen.
Während des Screenings und der Grenzverfahren gilt die Fiktion der Nicht-Einreise: Obwohl sich die Asylsuchenden örtlich in einem europäischen Land befinden, gelten sie als nicht eingereist. Während des Screenings und des Grenzverfahrens dürfen die Asylsuchenden absehbar bis zu sechs Monate lang die Aufnahmeeinrichtungen an den Außengrenzen nicht verlassen.
Das Bundesinnenministerium gibt an, diese Unterbringung im Grenzverfahren sei nicht mit Haft gleichzusetzen. Haft bedeute Freiheitsentziehung. Bei den Grenzverfahren werde dagegen für einen befristeten Zeitraum eine Freiheitsbeschränkung vorgenommen, das heißt, die betreffenden Personen dürften (noch) nicht in die EU einreisen, aber die Ausreise in Drittstaaten bleibe möglich.
Fakt ist jedoch, dass die Menschen in Zentren festgehalten werden, bis das Verfahren abgeschlossen ist – anders sind die Grenzverfahren praktisch gar nicht möglich. Dass eine Ausreise in einen Drittstaat hypothetisch möglich wäre, kann an der Annahme einer Haft nichts ändern. Die Personen müssen sich ja gerade in dem Staat an den Außengrenzen und nicht in einem Drittstaat aufhalten, um Asyl zu erhalten.
In der Screening-Verordnung heißt es dazu auch: Die Mitgliedstaaten sollen Bestimmungen festlegen, um sicher zu stellen, »dass diese Drittstaatsangehörigen während der Überprüfung anwesend sind« und nicht flüchten (Erwägungsgrund 11). Dies wird faktisch in diesem System nur mit Haft umzusetzen sein.
Der Europäische Gerichtshof stellte bezüglich der Transitzonen in Ungarn schon im Jahr 2020 fest, dass »die Verpflichtung eines Drittstaatsangehörigen, sich ständig in einer Transitzone aufzuhalten, die eingegrenzt und geschlossen ist, in der seine Bewegungen beschränkt sind und überwacht werden und die er aus eigenen Stücken rechtmäßig in keine Richtung verlassen kann, einer Freiheitsentziehung gleichkommt, wie sie für eine Haft im Sinne der genannten Richtlinien charakteristisch ist«. Er stellt dabei auch darauf ab, dass beim Verlassen des ungarischen Hoheitsgebiets jede Chance auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Ungarn verloren geht und dies folglich keine Alternative darstellt.
Nach internationalem Recht dürfen Personen nicht allein dafür inhaftiert werden, dass sie einen Asylantrag stellen. Die Bedingungen in den Aufnahmezentren werden zudem, wenn man bisherige Erfahrungen zugrunde legt, keine menschenwürdige Unterbringung ermöglichen.
Für Deutschland sind für das Grenzverfahren 374 Plätze vorgesehen. Diese Verfahren werden voraussichtlich in der Nähe von Flughäfen stattfinden und das Flughafenverfahren insoweit ersetzen. In Deutschland sind Flughafenverfahren bislang vorgesehen für Personen, die auf dem Luftweg nach Deutschland einreisen und aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen oder keinen gültigen Pass bei sich führen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt unverzüglich eine Anhörung durch und entscheidet entweder innerhalb von zwei Tagen, dass der Antrag als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt wird, oder die Person kann zur Durchführung eines regulären Asylverfahrens einreisen. Innerhalb von drei Tagen kann Eilrechtsschutz und Klage hiergegen erhoben werden.
Insgesamt dauert das Verfahren maximal 19 Tage. Dieses Schnellverfahren ist durch den Zeitdruck, die hohen psychischen und physischen Belastungen, die haftähnlichen Bedingungen und den mangelnden Kontakt zur Außenwelt deutlich nachteilhafter als die regulären Asylverfahren innerhalb Deutschlands (hier hat PRO ASYL das Flughafenverfahren und die Probleme ausführlich analysiert).
Durch die Umstellung auf Grenzverfahren nach den europäischen Vorgaben würde zwar der Zeitdruck durch die Ausweitung auf zwölf Wochen etwas nachlassen, die emotionale Belastung aber wegen einer noch längeren Abschottung in Haft beziehungsweise haftähnlichen Bedingungen erheblich steigen. Zudem werden noch mehr Menschen das Verfahren durchlaufen müssen, gerade wenn – wie im Referentenentwurf des deutschen Innenministeriums angelegt – nicht nur in verpflichtenden Fällen die Grenzverfahren angewendet werden, sondern auch in optionalen Fällen.
Für das Screening und das Grenzverfahren ist ein eigenständiger und unabhängiger Monitoring-Mechanismus vorgesehen, der die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte überwachen soll. Jeder Mitgliedstaat ist für die Einrichtung einer solchen Stelle selbst verantwortlich. Eine behördliche Rechtsaufsicht oder nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit genügt den Anforderungen nicht: »Die bloße Existenz von gerichtlichen Rechtsbehelfen in Einzelfällen oder nationalen Systemen zur Kontrolle der Effizienz der Überprüfung reicht nicht aus, um die Anforderungen hinsichtlich der Überwachung der Einhaltung der Grundrechte gemäß dieser Verordnung zu erfüllen«, heißt es in der Verordnung (Erwägungsgrund 29 VO 2024/1356).
Das Deutsche Institut für Menschenrechte schlägt in seiner Stellungnahme »als Träger eines unabhängigen Monitoring-Mechanismus in Deutschland das Deutsche Institut für Menschenrechte oder die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter« vor, weil »deren Unabhängigkeit durch internationale Standards bzw. einen völkerrechtlichen Vertrag garantiert ist«.
Der Monitoring-Mechanismus hat jederzeit Zugang zu den Orten des Screenings und der Grenzverfahren sowie zu den dort festgehaltenen Menschen und kann auch Dokumente einsehen. Jedes Jahr können Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abgegeben werden. Der Mechanismus muss eng mit Nichtregierungsorganisationen, den nationalen Datenschutzbehörden und dem europäischen Datenschutzbeauftragten zusammenarbeiten. Ob die Überwachung der Einhaltung der Grund- und Menschenrechte effektiv ist, wird sich durch die Umsetzung in den Mitgliedstaaten entscheiden und ob die Empfehlungen in der Praxis berücksichtigt werden.
Mit dem Konzept der »sicheren Drittstaaten« werden Geflüchtete auf einen angeblich in einem anderen Land bestehenden Schutz verwiesen. Statt in der EU Schutz zu bekommen, wird ihr Antrag dann als »unzulässig« abgelehnt. Und es wird versucht, sie in den betreffenden Staat außerhalb der EU abzuschieben. Eine inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe findet nicht statt.
PRO ASYL lehnt das Konzept von »sicheren Drittstaaten« grundsätzlich ab und kritisiert die Ausweitung des Konzeptes durch die GEAS-Reform als eine Möglichkeit für die EU-Mitgliedstaaten, sich aus dem Flüchtlingsschutz zurückzuziehen. Dabei werden schon jetzt rund drei Viertel der weltweiten Flüchtlinge von armen oder einkommensschwachen Ländern – vor allem im globalen Süden – aufgenommen (siehe hier für eine ausführliche Stellungnahme).
Die Anforderungen, die an einen »sicheren Drittstaat« gestellt werden, werden mit der Reform gesenkt. Der Drittstaat muss nicht die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben, die Erfüllung einiger weniger Rechtsstandards zum Schutz von Flüchtlingen soll ausreichen. Auch ist es bedenklich, dass für die Einstufung als »sicherer Drittstaat« nicht das ganze Staatsgebiet sicher sein muss, sondern Teilgebiete des Staates ausreichen.
Die Senkung der Anforderungen an den Drittstaat birgt das Risiko, dass es in den vermeintlich sicheren Drittstaaten zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann oder Kettenabschiebungen in die Herkunftsstaaten ermöglicht werden. Es ist davon auszugehen, dass das Absenken der Kriterien zur vermehrten Nutzung der Regelung führen wird – wenn sich denn außereuropäische Länder finden, die für solche Deals zur Verfügung stehen.
Besorgniserregend für die deutsche Praxis ist, dass laut dem Gesetzentwurf der Ampel-Regierung »sichere Drittstaaten« künftig von der Bundesregierung per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages bestimmt werden können und nicht mehr stets per Gesetz mit Zustimmung im Bundesrat. Der Referentenentwurf des BMI hatte sogar auch den Bundestag von dem Prozess ausschließen wollen. In beiden Fällen würde der demokratische Prozess eingeschränkt werden – im Widerspruch zum Grundgesetz.
Zu den »sicheren Drittstaaten« gibt es zudem eine Sonderregel in der Reform: Der Inhalt der Regelung soll in einem Jahr – bis Juni 2025 – evaluiert und eventuell angepasst werden. Mehrere Mitgliedstaaten fordern bereits, dass das aktuell noch bestehende sogenannte Verbindungselement gestrichen werden soll. Dieses sieht vor, dass es eine ausreichende Verbindung zwischen der in Europa schutzsuchenden Person und dem Nicht-EU-Land geben soll, in das sie abgeschoben werden soll. Letztlich muss sie sich dafür einige Zeit in dem Land aufgehalten haben, damit eine solche Verbindung bestehen kann.
Sollte das Verbindungskriterium gestrichen werden, dann würden auch Deals wie der berühmt-berüchtigte UK-Ruanda-Deal für EU-Länder in Frage kommen. Das könnte die Versuche, den Flüchtlingsschutz auszulagern, einmal mehr antreiben.
Die Prüfung eines Asylantrags in einem beschleunigte Verfahren ist in einer Vielzahl von Fällen verpflichtend vorgesehen: wenn angeblich unwahre oder offensichtlich aussichtlose Angaben im Asylverfahren gemacht wurden, der Antrag nur dazu dienen soll, den Vollzug einer Abschiebung zu verhindern, es sich um einen Folgeantrag handelt, die Person aus einem »sicheren Herkunftsland« oder einem Staat mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommt oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.
Auch bei einer versäumten rechtzeitigen Antragsstellung auf internationalen Schutz ist das beschleunigte Verfahren einschlägig. Es kann auch bei unbegleiteten Minderjährigen durchgeführt werden. Das Verfahren soll so schnell wie möglich, spätestens aber nach drei Monaten, abgeschlossen sein. Der kürzere Prüfungszeitraum birgt die Gefahr für oberflächliche Entscheidungen und mangelhafte Prüfungen der komplexen Fluchtgründe oder Situationen in Herkunftsländern. Durch die kürzeren Rechtsmittelfristen ist Rechtsschutz in beschleunigten Verfahren regelmäßig nur unter erschwerten Bedingungen möglich, es gilt zudem keine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs.
Die verpflichtenden beschleunigten Verfahren sind für die Asylverfahren in Deutschland eine der größten Verschärfungen und könnten zum Beispiel mit Asylsuchenden aus der Türkei eine der Hauptgruppen von Asylsuchenden treffen.
Eine kostenlose rechtliche Unterstützung von Asylsuchenden ist von nun an rechtlich zwingend. Die nähere Ausgestaltung der Rechtsberatung wird den Mitgliedstaaten überlassen. In Deutschland gibt es mit der bundesweiten Asylverfahrensberatung durch die Wohlfahrtsverbände ein gutes System, das durch eine angemessene Finanzierung gestärkt werden sollte.
Die Fristen sind in der Asylverfahrensverordnung als Ermessensspielraum angegeben, wobei Deutschland zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes und Vermeidung oberflächlicher Prüfungen die längst möglichen Fristen wählen sollte.
Besorgniserregend ist, dass die sogenannte aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen – dass also während des Gerichtsverfahrens keine Abschiebung vollzogen werden kann – in vielen Fällen nicht mehr gelten wird. Hierzu gehören alle Fälle, die in sogenannten beschleunigten Verfahren geprüft wurden: zum Beispiel im Außengrenzverfahren, aber auch im Inland. Das erhöht die Gefahr, dass es zu Abschiebungen kommt, bei denen die Gefahr im Herkunftsland nicht erkannt wurde. Die aufschiebende Wirkung kann mit einem Eilantrag erreicht werden.
Zum ersten Mal gibt es durch die GEAS-Reform eine Krisen-Verordnung, mit der die eigentlich geltenden Regeln ausgesetzt werden können. Die Kommission stellt auf Antrag fest, ob es eine Krise in dem jeweiligen Mitgliedstaat gibt.
Eine Krise im Sinne der Verordnung ist »eine außergewöhnliche Situation von Massenankünften von Drittstaatsangehörigen«, die insbesondere im Hinblick auf Einwohnerzahl und Größe des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaates ein Ausmaß hat, das dazu führt, dass gut vorbereitete Asylsysteme nicht mehr funktionieren, »sodass es zu schwerwiegenden Folgen für das Funktionieren des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems kommen könnte« (Art. 1 Absatz 4 Buchstabe a der Verordnung).
Ebenfalls stellt es laut der Verordnung eine Krise dar, wenn ein Drittstaat die Einreise von Drittstaatsangehörigen fördert »mit dem Ziel, die Union oder einen Mitgliedstaat zu destabilisieren« und die asylsuchenden Menschen so »instrumentalisiert«. Eine Krise ist dies nur, wenn wesentliche Funktionen des Mitgliedstaates einschließlich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder des Schutzes der nationalen Sicherheit gefährdet werden.
Die Krisen-Verordnung enthält für diese Fälle einen Maßnahmenkatalog, der von einer massiven Ausweitung des Grenzverfahrens über eine Verlängerung der Registrierungs- und Dublinfristen bis hin zu ergänzenden Solidaritätsmaßnahmen reicht. Die Mitliedstaaten entscheiden im Rat der EU, welche Ausnahmemaßnahmen dem Mitgliedstaat gewährt werden.
Die Behandlung Asylsuchender kann sich demnach in Krisenfällen noch weiter verschlechtern. Die Krisen-Verordnung wird zu einer erneuten Fragmentierung des Europäischen Asylsystems führen und unterstützt den Trend, dass Mitgliedstaaten sich auf angebliche Krisen und Notstände berufen, um die Menschenrechte von Geflüchteten zu m missachten.
Obwohl das Dublin-System seit vielen Jahren und von vielen Seiten in der Kritik steht, wurde es durch die Asyl- und Migrationsmanagementverordnung, die die Dublin-Verordnung ersetzt, nicht wesentlich verändert. Weiterhin sind die Ersteinreisestaaten primär für die Durchführung der Asylverfahren zuständig, weshalb die große Verantwortung der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen kaum weniger werden wird.
Besonders relevant sind die Änderungen bei der Überstellungsfrist. Die reguläre Überstellungsfrist bleibt zwar bei sechs Monaten, sie kann jedoch auf bis zu drei Jahre verlängert werden, wenn eine Person – oder jemand aus der Familie – als flüchtig gilt, sich der Überstellung körperlich widersetzt, sich für die Überstellung vorsätzlich untauglich macht oder die erforderlichen medizinischen Anforderungen nicht erfüllt.
Zudem sollen nach der Zustellung der Dublin-Entscheidung die Asylbewerberleistungen nur noch in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufzuhalten hat, gewährt werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten ist. Der in Deutschland mit dem Sicherheitspaket vorgesehene Leistungsausschluss für Dublin-Fälle bleibt damit europarechtswidrig.
Ein schwacher Trost sind in Anbetracht dessen die wenigen Verbesserungen für Asylsuchende: Familien müssen nicht mehr schon im Herkunftsland bestanden haben, sondern können auch auf der Flucht entstanden sein. Und Verfahren zur Wiederherstellung der Familieneinheit sollen priorisiert werden.
Die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung sieht eine verpflichtende Teilnahme an einem Solidaritätsmechanismus vor. Dies soll zu einer gerechteren Verteilung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Asylbewerber*innen führen, indem die Staaten, die unter »Migrationsdruck« stehen oder sich in einer »Krise« befinden, entlastet werden.
Ob dies erreicht werden wird, ist zweifelhaft, da unter den unterschiedlichen Solidaritätsbeiträgen frei gewählt werden kann: Die Übernahme von Asylsuchenden, ein finanzieller Beitrag an die anderen Staaten und ein alternativer Beitrag (zum Beispiel personelle Unterstützung, Dienstleistungen, Einrichtungen und technische Ausrüstung) gelten als gleichwertig. Mitgliedstaaten, die Solidaritätsbeiträge leisten und selbst unter Migrationsdruck geraten, können die Beträge reduzieren oder sogar aussetzen. Pro Jahr sollen mindestens 30.000 Umverteilungsplätze und 600 Millionen Euro Finanzhilfen von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden.
Es ist zu befürchten, dass sich die meisten Mitgliedstaaten auf finanzielle Unterstützungen beschränken werden, statt aktiv Asylsuchende zu übernehmen. Mit einer wirklichen Entlastung der Staaten an den Außengrenzen ist deswegen nicht zu rechnen, was die Situation an den Außengrenzen weiter verschärfen wird.
Der Umfang der Solidaritätsbeiträge richtet sich nach einem Schlüssel (dem »fair share«), der sich nach der Bevölkerungszahl und dem Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Mitgliedsstaates bemisst. Auf Deutschland fallen damit 22 Prozent der Solidaritätsbeiträge. Wenn man dies auf die Mindestvorgaben berechnet, dann bedeutet dies für Deutschland 6.585 Aufnahmen von Geflüchteten pro Jahr und 131,7 Millionen Euro als Anteil an den vorgesehenen Finanzbeiträgen.
(Rebecca Heinemann, Referendarin bei PRO ASYL von Juli bis September 2024, wj)