31.07.2024

Vor dem zehn­ten Jah­res­tag des Völ­ker­mords an den Jesid*innen im Irak for­dern PRO ASYL und Wadi e.V. ein Blei­be­recht für Jesid*innen in Deutsch­land. Die Opfer des vom Bun­des­tag aner­kann­ten Völ­ker­mords brau­chen Sicher­heit. Im ers­ten Schritt muss end­lich ein bun­des­wei­ter Abschie­be­stopp beschlos­sen werden.

„Aus Deutsch­land dür­fen kei­ne Opfer des Völ­ker­mords abge­scho­ben wer­den. Die Jesid*innen brau­chen Sicher­heit und ein Blei­be­recht hier. Statt den Über­le­ben­den die­ses vom Bun­des­tag aner­kann­ten Geno­zids die­se Sicher­heit zu gewäh­ren, droht die Abschie­bung an den Ort des Völ­ker­mords. Es muss end­lich ein bun­des­wei­ter Abschie­be­stopp beschlos­sen wer­den“, sagt Karl Kopp, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Auch wenn aktu­ell kei­ne neu­en Abschie­bun­gen bekannt sind, wird Jesid*innen gezeigt, dass sie in Deutsch­land kei­ne Per­spek­ti­ve bekom­men sol­len. In Bay­ern zum Bei­spiel wird ira­ki­schen Geflüch­te­ten, dar­un­ter auch Jesid*innen, sys­te­ma­tisch die Dul­dung ent­zo­gen oder als ungül­tig gestem­pelt. Damit ver­lie­ren sie ihre Arbeits­er­laub­nis und auch die Mög­lich­keit, in einer eige­nen Woh­nung zu leben. Und auch in ande­ren Bun­des­län­dern wer­den Jesid*innen behörd­lich unter Druck gesetzt und ihnen wer­den Sank­tio­nen wie Arbeits­ver­bot und Leis­tungs­kür­zun­gen angedroht.

Flücht­lings­la­ger im Irak sol­len geräumt werden 

Mit Blick auf die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen im Irak ist ein Abschie­be­stopp längst über­fäl­lig: Die Lage für Jesid*innen hat sich in den letz­ten Wochen ver­schärft. Nach dem Wil­len der ira­ki­schen Regie­rung sol­len Zehn­tau­sen­de Jesid*innen die Flücht­lings­la­ger im Nord­irak ver­las­sen – ohne, dass es einen siche­ren Ort für sie gibt.

Kon­kret bedeu­tet das: Genau zehn Jah­re nach dem Beginn des Völ­ker­mords durch den IS ste­hen die Jesid*innen im Irak vor einer völ­lig unge­wis­sen Zukunft. Es ist unklar, ob die Lager ab August noch eine Grund­ver­sor­gung erhal­ten, ob die Schu­len in den Camps nach den Som­mer­fe­ri­en wie­der öff­nen wer­den. Die Ent­schei­dun­gen Bag­dads haben schon jetzt ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die Menschen.

„Grund­sätz­lich wäre es gut, wenn die Jesi­din­nen und Jesi­den end­lich die Lager ver­las­sen und ein nor­ma­les Leben füh­ren könn­ten. Doch genau das pas­siert nicht: Denn die Jesi­din­nen und Jesi­den kön­nen in ihrer Her­kunfts­re­gi­on Sin­jar im Irak nicht sicher leben – und auch in ande­ren Regio­nen im Irak nicht. Ohne die­se Camps dro­hen sie obdach­los, mit­tel­los und schutz­los zu wer­den, zudem ver­lie­ren sie ihre Schu­len und ihre Gesund­heits­ver­sor­gung“, betont Shokh Moham­med von Wadi e.V.

Aus­wär­ti­ges Amt: Zukunfts­aus­sich­ten blei­ben schwierig 

Das sieht das Aus­wär­ti­ge Amt ähn­lich. Im aktu­el­len Lage­be­richt zum Irak (Stand April 2024) heißt es: Unge­ach­tet von Bemü­hun­gen, die Lage der Jesid*innen zu ver­bes­sern, „blei­ben die Zukunfts­per­spek­ti­ven in Sin­jar ange­sichts her­aus­for­dern­der Lebens­be­din­gun­gen, der Prä­senz von nicht-staat­li­chen Mili­zen sowie einer man­geln­den Umset­zung des sog. Sin­jar-Abkom­men schwie­rig. Auch das kol­lek­ti­ve Trau­ma des Völ­ker­mords stellt für Mit­glie­der der Gemein­schaft häu­fig ein Rück­kehr­hin­der­nis dar, zumal in die tra­di­tio­nel­len Sied­lungs­ge­bie­te und Orte des IS-Ver­bre­chens in Sin­jar. Die geplan­te Schlie­ßung von IDP Camps [IDP=Internally dis­pla­ced per­sons] in der Regi­on Kur­di­stan Irak zum 30. Juli 2024 und damit ver­bun­de­ne Umsied­lung in ‚infor­mel­le Camps‘ mit mut­maß­lich schlech­te­rer Ver­sor­gung wür­de die Lage der mehr­heit­lich in Camps leben­den Jesid*innen zusätz­lich verschärfen.“

Hin­ter­grund: Die Lage für Jesid*innen im Irak 
Vor zehn Jah­ren, am 3. August 2014, begann die Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on IS damit, jesi­di­sche Frau­en, Män­ner und Kin­der zu ver­schlep­pen, zu ver­skla­ven, zu ver­ge­wal­ti­gen und zu töten. Seit die­sem Mas­sa­ker und auch wei­ter nach dem Sieg über den IS 2017 leben die meis­ten Jesid*innen noch immer in Flücht­lings­la­gern, weil sie wegen der pre­kä­ren Sicher­heits­la­ge in ihrer Hei­mat­re­gi­on Sin­jar (Shin­gal) kei­ne Mög­lich­keit haben, in ihre frü­he­ren Orte und Häu­ser zurückzukehren.

Die­se IDP-Camps (Intern­al­ly Dis­pla­ced Per­sons) für die Jesid*innen lie­gen in den von der kur­di­schen Regio­nal­re­gie­rung ver­wal­te­ten Gebie­ten des Irak, für ihren Unter­halt ist jedoch größ­ten­teils die ira­ki­sche Zen­tral­re­gie­rung zustän­dig. Die­se hat ange­kün­digt, die Unter­stüt­zung für die Camps zum 31. Juli ein­zu­stel­len. Die Regie­rung in Bag­dad will, teils mit finan­zi­el­len Anrei­zen, teils mit Druck, die Jesid*innen dazu bewe­gen, in den Sin­jar zurückzukehren.

Bas­ma Aldikhi, Mit­ar­bei­te­rin von Wadi e.V. und jesi­di­sche Akti­vis­tin, die vom IS ver­schlepp­te und miss­brauch­te Frau­en und Mäd­chen unter­stützt, hat beob­ach­tet: „Die Men­schen in den Camps sind über­all uner­wünscht, sie haben das Gefühl, dass sie von über­all ver­trie­ben und weder von Kur­di­stan noch vom Irak akzep­tiert werden.“

In die­se völ­lig unsi­che­re Situa­ti­on dür­fen deut­sche Bun­des­län­der kei­ne Jesid*innen abschie­ben. Ihr Her­kunfts­ge­biet Sin­jar liegt im stra­te­gisch wich­ti­gen Grenz­ge­biet zwi­schen Irak, Syri­en, Tür­kei und Iran. Dort kämp­fen ver­schie­de­ne staat­li­che und nicht­staat­li­che Akteu­re, teils mit Waf­fen­ge­walt, um die Macht. Aktu­ell läuft im Nord­irak eine erneu­te Mili­tär­of­fen­si­ve der tür­ki­schen Armee gegen Ein­hei­ten der Arbei­ter­par­tei Kur­di­stans (PKK). Auch in ande­re Gebie­te Iraks könn­ten Jesid*innen nicht zie­hen, denn ohne ihre Gemein­schaft sind sie schutz­los Aus­gren­zung, Dis­kri­mi­nie­rung und Angrif­fen ausgesetzt.

Aus­führ­lich beschrie­ben ist die ver­fah­re­ne Situa­ti­on im Gut­ach­ten „Zehn Jah­re nach dem Völ­ker­mord: Zur Lage der Jesi­din­nen und Jesi­den im Irak“, das PRO ASYL und Wadi e.V. im April 2024 ver­öf­fent­licht haben. Das Ergeb­nis: Ohne rele­van­te Sicher­heits­ga­ran­tien, eine jesi­di­sche Selbst­ver­wal­tung, funk­tio­nie­ren­de Straf­ver­fol­gungs­maß­nah­men und Ent­schä­di­gungs­pro­zes­se sowie Klä­rung des Sta­tus der umstrit­te­nen Gebie­te und einer Demi­li­ta­ri­sie­rung kann über eine Zukunft der Jesid*innen im Irak nicht ein­mal ansatz­wei­se dis­ku­tiert werden.

Kon­takt:
Pres­se­stel­le PRO ASYL, presse@proasyl.de, 069 24 23 14 30
Wadi e.V., Tho­mas von der Osten-Sacken, Geschäfts­füh­rer, thomas.osten-sacken@wadi-online.de, 0151 56 90 60 02

 

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