14.03.2024

Am Mon­tag, 18. März, jährt sich die Unter­zeich­nung des EU-Tür­kei-Deals 2016 zum ach­ten Mal. Zeit­gleich wird die dar­aus resul­tie­ren­de Pra­xis Grie­chen­lands, tau­sen­de Asyl­an­trä­ge auf Grund­la­ge des Kon­zepts des „siche­ren Dritt­staats“ will­kür­lich abzu­leh­nen, vom Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) auf den Prüf­stand gestellt. Anläss­lich der heu­ti­gen EuGH-Anhö­rung for­dern PRO ASYL und Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) ein Ende des men­schen­rechts­wid­ri­gen Abkommens.

Darf in der Euro­päi­schen Uni­on ein Nicht-EU-Land als „siche­rer Dritt­staat“ bezeich­net wer­den, auch wenn die­ses die Rück­nah­me von Asyl­su­chen­den sys­te­ma­tisch ver­wei­gert? Die­se Fra­ge hat der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) in Luxem­burg acht Jah­re nach Unter­zeich­nung des EU-Tür­kei-Deals in der Rechts­sa­che C‑134/23 Elli­ni­ko Sym­voulio gia tous Pros­fy­ges zu klä­ren. Die PRO ASYL-Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) und der Grie­chi­sche Flücht­lings­rat (GRC) hat­ten einen Antrag auf Annul­lie­rung der Ein­stu­fung der Tür­kei als „siche­rer Dritt­staat“ durch Grie­chen­land ein­ge­reicht. Der grie­chi­sche Staats­ge­richts­hof, das obers­te Ver­wal­tungs­ge­richt Grie­chen­lands, hat dar­auf­hin die Fra­ge dem EuGH vor­ge­legt. Heu­te fand dazu die Anhö­rung statt, die RSA vor Ort beglei­tet hat.

„Das Kon­zept des siche­ren Dritt­staats steht für die Wei­ge­rung der EU, Ver­ant­wor­tung für schutz­su­chen­de Men­schen zu über­neh­men. Der EU-Tür­kei Deal hat acht Jah­re lang den Abbau des Flücht­lings­schut­zes in Grie­chen­land und ganz Euro­pa vor­an­ge­trie­ben. Dass anläss­lich die­ses trau­ri­gen Jah­res­ta­ges in Deutsch­land und Euro­pa über eine Neu­auf­la­ge des Abkom­mens und die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren in Nicht-EU-Staa­ten debat­tiert wird, ist brand­ge­fähr­lich“, so Karl Kopp, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. „Obwohl das Abkom­men nicht wie geplant funk­tio­niert, hat es zu mas­si­ven Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen von Schutz­su­chen­den geführt. Der EU-Tür­kei-Deal steht für eine geschei­ter­te Abschot­tungs­po­li­tik, die sich der Ver­ant­wor­tung für Schutz­su­chen­de im gro­ßen Stil ent­le­di­gen möch­te“, so Kopp weiter.

Ele­ni Spatha­na, Anwäl­tin bei Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), hat die PRO ASYL-Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on bei der gest­ri­gen Anhö­rung vor dem EuGH ver­tre­ten. Sie erklärt: „Der EU-Tür­kei-Deal zeigt, wie weit die Euro­päi­sche Uni­on von Grund­prin­zi­pi­en der Rechts­staat­lich­keit abzu­wei­chen bereit ist. Es ist beschä­mend, dass sie auch acht Jah­re nach dem geschei­ter­ten Abkom­men und sei­nen fata­len Aus­wir­kun­gen die Nor­ma­li­sie­rung und Aus­wei­tung einer Poli­tik, die auf Exter­na­li­sie­rung von Ver­ant­wor­tung und har­ten Grenz­ver­fah­ren setzt, vor­an. Damit gefähr­det die EU Men­schen­le­ben und letzt­end­lich die Demo­kra­tie selbst. Die­se Poli­tik ist weder legal, noch legi­tim oder nach­hal­tig für die Euro­päi­sche Uni­on und Grie­chen­land und muss been­det werden.“

Hin­ter­grund: Kon­zept des „siche­ren Dritt­staats“ und sei­ne Anwen­dung bei GEAS

Das Kon­zept des „siche­ren Dritt­staats“ steht im Zen­trum des EU-Tür­kei-Deals von 2016. Es ermög­licht Grie­chen­land, Asyl­an­trä­ge ohne inhalt­li­che Prü­fung der Flucht­grün­de im Her­kunfts­land als „unzu­läs­sig“ abzu­leh­nen und auf die Tür­kei zu ver­wei­sen. Obwohl die Tür­kei seit vier Jah­ren kei­ne Asyl­su­chen­den mehr zurück nimmt, hält Grie­chen­land bis heu­te an der Ein­stu­fung der Tür­kei als „siche­rer Dritt­staat“ fest – ein Ver­stoß gegen inter­na­tio­na­les Recht. Die grie­chi­sche Anwen­dung des Kon­zepts ist ein­deu­tig rechts­wid­rig, wie ein Gut­ach­ten von PRO ASYL und RSA zuletzt zeig­te, und hat ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen für tau­sen­de Geflüch­te­te: Ohne Lebens­per­spek­ti­ve und Zugang zu Schutz und Rech­ten har­ren sie zum Teil jah­re­lang unter wid­rigs­ten Bedin­gun­gen in grie­chi­schen Lagern aus.

Das Kon­zept der „siche­ren Dritt­staa­ten“ ist ein Kern­stück der jüngst beschlos­se­nen Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) der Euro­päi­schen Uni­on. Mit der bevor­ste­hen­den Ver­ab­schie­dung vor­aus­sicht­lich Mit­te April wer­den Schutz­stan­dards in der Euro­päi­schen Uni­on deut­lich abge­senkt. Es ist abseh­bar, dass EU Mit­glieds­staa­ten durch die Aus­wei­tung des Kon­zepts „siche­rer Dritt­staat“ die Mög­lich­keit eröff­net wer­den soll, sich weit­ge­hend aus dem Flücht­lings­schutz zurück­zu­zie­hen, indem sie Nach­bar­län­der oder ande­re Staa­ten ent­lang der Flucht­rou­ten als „sicher“ einstufen.

Wäh­rend mas­si­ve Ver­schär­fun­gen des Asyl­rechts im Rah­men der GEAS-Reform unmit­tel­bar bevor­ste­hen, wird in rechts­po­pu­lis­ti­schen Debat­ten in Deutsch­land, Groß­bri­tan­ni­en, Ita­li­en sowie ande­ren euro­päi­schen Staa­ten bereits eine wei­te­re Aus­höh­lung des Flücht­lings­schut­zes gefor­dert: Unter dem Schlag­wort „Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren in Nicht-EU-Staa­ten“ wer­den recht­lich höchst frag­wür­di­ge Ideen dis­ku­tiert, die weder prak­tisch noch men­schen­rechts­kon­form umsetz­bar sind. Statt­des­sen soll­ten vor­han­de­ne Res­sour­cen vor­aus­schau­end in die Ver­bes­se­rung von Auf­nah­me- und Asyl­sys­te­men gesteckt sowie siche­re Flucht­rou­ten aus­ge­baut werden.

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