21.11.2023

PRO ASYL und über 50 wei­te­re nam­haf­te Men­schen­rechts- und See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen sowie Wohl­fahrts­ver­bän­de war­nen davor, huma­ni­tä­re Unter­stüt­zung von Men­schen auf der Flucht zu kri­mi­na­li­sie­ren. Durch Ände­run­gen des Auf­ent­halts­ge­set­zes könn­te künf­tig das Ret­ten vor dem Ertrin­ken sowie ande­re For­men huma­ni­tä­rer Hil­fe auf den Flucht­we­gen mit Frei­heits­stra­fen von bis zu zehn Jah­ren geahn­det wer­den. Die Bun­des­re­gie­rung will das Gesetz noch vor Weih­nach­ten durch den Bun­des­tag bringen.

„Hier wird bewusst der kla­re Unter­schied zwi­schen pro­fit­ori­en­tier­ter Schleu­ser­ak­ti­vi­tät und huma­ni­tä­rer Not­hil­fe ver­wäs­sert“, kri­ti­siert Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL. „Dabei gerät eine Selbst­ver­ständ­lich­keit unter die Räder: Leben zu ret­ten darf kein Ver­bre­chen sein! Wer ande­ren Men­schen in exis­ten­zi­el­ler Not hilft, darf nicht Gefahr lau­fen, dafür bestraft zu werden.“

Die Orga­ni­sa­tio­nen zei­gen sich in der gemein­sa­men Stel­lung­nah­me „Kri­mi­na­li­sie­rung von Seenotretter*innen ver­hin­dern!“ alar­miert über geplan­te Ände­run­gen im „Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz“, die das Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Innern und für Hei­mat dem Bun­des­ka­bi­nett vor­ge­legt hat. Dem­nach soll künf­tig schon allein die unei­gen­nüt­zi­ge Bei­hil­fe zur uner­laub­ten Ein­rei­se unter Stra­fe gestellt wer­den, wenn sie „wie­der­holt oder zuguns­ten meh­re­rer Aus­län­der“ erfolgt. Über­setzt heißt das: Das ganz nor­ma­le Hel­fen in einer exis­ten­zi­el­len Not­la­ge soll straf­bar gemacht werden.

Mit den Ände­run­gen wird eine recht­li­che Grund­la­ge geschaf­fen, huma­ni­tä­re Arbeit wei­ter ein­zu­schrän­ken und zum Bei­spiel Seenotretter*innen, die mit pri­vat finan­zier­ten Schif­fen Men­schen vor dem Ertrin­ken ret­ten, straf­recht­lich zu ver­fol­gen. Auch Menschenrechtsverteidiger*innen, huma­ni­tä­re Orga­ni­sa­tio­nen und Geflüch­te­te selbst könn­ten nach den Ände­run­gen ver­stärkt ange­klagt werden.

Die­se Kri­mi­na­li­sie­rung steht nicht im Ein­klang mit dem Völ­ker­recht und wider­spricht der im Koali­ti­ons­ver­trag her­vor­ge­ho­be­nen „zivilisatorische[n] und rechtliche[n] Ver­pflich­tung, Men­schen nicht ertrin­ken zu las­sen“ eben­so, wie der dort for­mu­lier­ten Ankün­di­gung, zivi­le See­not­ret­tung nicht behin­dern zu wol­len (Koali­ti­ons­ver­trag, S. 113).

Die auf media­len Druck hin geäu­ßer­te Behaup­tung des Innen­mi­nis­te­ri­ums, dass mit den Ände­run­gen nicht die See­not­ret­tung erschwert wer­den sol­le, da sie gerecht­fer­tigt sei, um „Gefah­ren für Leib und Leben abzu­wen­den“, reicht nicht aus. Denn genau zur Kri­mi­na­li­sie­rung sol­cher Hand­lun­gen eröff­nen die geplan­ten Ände­run­gen den recht­li­chen Spiel­raum. Und ist das Recht erst mal gesetzt, hilft es der ange­klag­ten Per­son wenig, sich auf beschwich­ti­gen­de Wor­te zu berufen.

Die den Auf­ruf unter­zeich­nen­de Orga­ni­sa­tio­nen for­dern daher:

  • das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um auf, die Aus­wei­tung des § 96 zurück­zu­neh­men und statt­des­sen eine huma­ni­tä­re Klau­sel in das Gesetz auf­zu­neh­men, die Sank­tio­nen gegen huma­ni­tä­re Hil­fe aus­schließt (wie in Art. 1 Abs. 2 der Richt­li­nie 2002/90/EG vor­ge­se­hen.)  
  • die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten auf, die­se Ände­run­gen in einem Antrag auf­zu­grei­fen und in den Bun­des­tag ein­zu­brin­gen, wenn das Innen­mi­nis­te­ri­um dem Bun­des­ka­bi­nett kei­ne neue For­mu­lie­rungs­hil­fe vorschlägt.
  • alle am Gesetz­ge­bungs­pro­zess betei­lig­ten Akteu­re auf, die Exper­ti­se der Zivil­ge­sell­schaft anzu­hö­ren und bei ihren Ent­schei­dun­gen zu berück­sich­ti­gen (wie im Rah­men der Ver­band­s­an­hö­rung geäu­ßer­ten Kri­tik am beschleu­nig­ten Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren bereits geäußert).

PRO ASYL übt dar­über hin­aus grund­sätz­li­che Kri­tik am Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz” und for­dert die Bun­des­re­gie­rung auf, den Ent­wurf zurück­zu­zie­hen. In sei­ner aktu­el­len Form kri­mi­na­li­siert das Gesetz Retter*innen und Geflüch­te­te, ver­letzt ihre Grund­rech­te und stößt auf erheb­li­che ver­fas­sungs­recht­li­che Bedenken.

Hin­ter­grund­in­for­ma­ti­on

Der pro­ble­ma­ti­sche Ände­rungs­vor­schlag ver­steckt sich in der For­mu­lie­rungs­hil­fe für einen Ände­rungs­an­trag der Frak­tio­nen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Ent­wurf des “Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­set­zes” – und zwar im Ände­rungs­vor­schlag des § 96 Absatz 4 im  Auf­ent­halts­ge­setz, der das Ein­schleu­sen in ein ande­res EU-Land regelt.

Eine juris­ti­sche Ein­schät­zung zu den Fol­gen der For­mu­lie­rungs­hil­fe, die von Sea Watch, Ärz­te ohne Gren­zen, SOS Huma­ni­ty, Loui­se Michel, RESQSHIP, MISSION LIFELINE, Mare*Go, SOS Medi­ter­ra­nee, Sea-Eye und United4Rescue an die Bun­des­re­gie­rung und an zustän­di­ge Fachpolitiker*innen im Bun­des­tag geschickt wur­de, fin­den Sie hier.

Eine recht­li­che Ana­ly­se der Vor­schlä­ge und auch des Her­gangs, wie der Vor­schlag Ein­gang in den Ent­wurf fand, fin­den Sie hier.

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