04.09.2023
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Flüchtlinge begeben sich auf der Flucht vor dem Konflikt in Khartum mit ihrem gesamten Hab und Gut auf einen Lastwagen und setzen sich damit tödlichen Gefahren aus. Foto: UNHCR/Ibrahim Mohamed

Adam Bahar, Aktivist von Sudan Uprising Germany und Mitarbeiter beim Flüchtlingsrat Berlin, berichtet von der aktuellen Situation im Sudan und wie diese von Europa durch den Khartum-Prozess und den Tunesien-Deal beeinflusst wird.

Adam, wie ist die aktu­el­le Situa­ti­on im Sudan im Ver­gleich zu der Situa­ti­on zu Beginn des der­zei­ti­gen Krie­ges? Wie geht es den Men­schen vor Ort?

Die Situa­ti­on ist sehr schlecht. Nach drei Mona­ten ohne Arbeit, ohne funk­tio­nie­ren­des Gesund­heits­sys­tem, ohne die Mög­lich­keit, das Land zu ver­las­sen, sind vie­le Men­schen sehr ver­zwei­felt. Mei­ner Fami­lie, wie auch ande­ren Fami­li­en mit Ange­hö­ri­gen in Euro­pa, geht es ein biss­chen bes­ser, weil sie wenigs­tens etwas Geld von uns geschickt bekommen.

Auch die Situa­ti­on an der Gren­ze zu Ägyp­ten ist ver­hee­rend. Suda­ne­si­sche Flücht­lin­ge war­ten dort zum Teil seit Mona­ten unter äußerst pre­kä­ren Bedin­gun­gen dar­auf, durch­ge­las­sen zu wer­den, aber wenn sie kei­nen Pass haben, funk­tio­niert das nicht. Lei­der haben vie­le Sudanes*innen kei­nen Pass, für sie sind die Gren­zen geschlossen.

Gibt es für Men­schen im Sudan über­haupt die Mög­lich­keit, Päs­se zu bean­tra­gen, um mit die­sen das Land zu verlassen?

Nein. Die gesam­te Ver­wal­tungs­struk­tur im Sudan ist zusam­men­ge­bro­chen. Außer­dem muss­ten Tau­sen­de Men­schen ihre Päs­se bei aus­län­di­schen Bot­schaf­ten abge­ben, weil sie auf ein Visum zum Bei­spiel für den Fami­li­en­nach­zug gewar­tet haben. Wo die Päs­se nach der Eva­ku­ie­rung des Bot­schafts­per­so­nals zu Kriegs­be­ginn hin­ge­kom­men sind, weiß nie­mand. Allein in der deut­schen Bot­schaft wur­den 600 Päs­se zurück­ge­las­sen,  nicht mit­ge­zählt Hun­der­te von Päs­sen von geflüch­te­ten Men­schen aus bei­spiels­wei­se Eri­trea oder Soma­lia, die den Fami­li­en­nach­zug über die deut­sche Bot­schaft im Sudan bean­tragt hat­ten. Nur in suda­ne­si­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen außer­halb des Lan­des sind noch Pass­ver­län­ge­run­gen von dort leben­den Sudanes*innen möglich.

Wie tau­schen die Men­schen vor Ort über­haupt noch Geld aus, wenn die gan­ze Ver­wal­tungs­struk­tur nicht mehr existiert?

Zum Glück kann man dort jetzt über eine Online­ban­king-App bezah­len. Da die Kriegs­par­tei­en das Inter­net für ihre Pro­pa­gan­da brau­chen, funk­tio­niert das rela­tiv gut. Im Gegen­satz zu der Zeit der Revo­lu­ti­on im Sudan, als aller­ers­tes das Inter­net abge­stellt wur­de. Aber wer kein Smart­phone hat oder kein Online­ban­king nut­zen kann, kann nir­gend­wo bezah­len und ist auf die Soli­da­ri­tät zwi­schen den Men­schen ange­wie­sen, die sich oft gegen­sei­tig hel­fen, soweit es geht.

Und wie sieht es poli­tisch aus? Gibt es Bewegung?

Poli­tisch bewegt sich nichts, auch wenn immer wie­der Gesprä­che zwi­schen den Kriegs­par­tei­en, also dem Mili­tär (SAF) und den para­mi­li­tä­ri­schen Kräf­ten (RSF), gibt. Es wer­den Waf­fen­ru­hen ver­ein­bart, die aber nicht ein­ge­hal­ten wer­den, und Abma­chun­gen getrof­fen, die dann gebro­chen wer­den. Das liegt vor allem dar­an, dass die RSF-Mili­zen nicht zu kon­trol­lie­ren sind und kei­ne Ver­ein­ba­run­gen akzep­tie­ren, selbst wenn sie von eini­gen von ihnen aus­ge­han­delt wur­den. Es gab wohl ein heim­li­ches Tref­fen mit ver­schie­de­nen euro­päi­schen Politiker*innen und mit Politiker*innen der Nach­bar­län­der Sudans sowie mit der Afri­ka­ni­schen Uni­on, aber tat­säch­li­che Bemü­hun­gen für Frie­den sieht man über­haupt nicht.

»Tat­säch­li­che Bemü­hun­gen für Frie­den sieht man über­haupt nicht. «

Adam Bahar, Akti­vist Sudan Upri­sing Germany 

Gibt es denn noch offe­ne Kämpfe?

Ja, die Situa­ti­on ist wei­ter­hin sehr unsi­cher. Es gibt Boden­kämp­fe und Bom­bar­die­run­gen durch die Armee. Nicht nur in der Haupt­stadt, auch in vie­len ande­ren Regio­nen. Die Men­schen haben gro­ße Angst. Es gibt gro­ße Flucht­be­we­gun­gen inner­halb des Lan­des. Die Men­schen ver­su­chen, irgend­wo Sicher­heit zu finden.

Mus­ta­fa Hus­sein hat uns am 8. Mai die Rol­le Euro­pas in dem aktu­el­len Kon­flikt im Sudan erläu­tert und auch den Khar­tum-Pro­zess erklärt. Wie sehr hat der damit ver­bun­de­ne Ein­fluss Euro­pas die Migra­ti­ons­be­we­gun­gen inner­halb Afri­kas beein­flusst und was hat das alles mit Deutsch­lands aktu­el­lem Tune­si­en-Deal zu tun?

Den Khar­tum-Pro­zess gibt es ja bereits seit 2014. Es ist bedau­erns­wert, dass er medi­al kaum beach­tet wur­de, denn er war eine Art Blau­pau­se für ande­re Deals Euro­pas und Deutsch­lands mit afri­ka­ni­schen Staa­ten. Aus mei­ner Per­spek­ti­ve ein ers­ter Ver­such, Abwehr von Geflüch­te­ten nicht erst an der euro­päi­schen Gren­ze, son­dern bereits in Afri­ka zu betrei­ben. Und es hat »gut« funk­tio­niert, des­halb set­zen Euro­pa und Deutsch­land auf die­ses ver­meint­li­che Erfolgs­kon­zept, wie jetzt auch in Tune­si­en. Eine Kon­se­quenz des Khar­tum-Pro­zes­ses und der ein­her­ge­hen­den Finan­zie­rung der RSF-Mili­zen für den Grenz­schutz durch Euro­pa, ist die Macht­po­si­ti­on der Mili­zen im aktu­el­len Kon­flikt im Sudan, wie von Mus­ta­fa beschrieben.

Ein wei­te­rer Effekt ist die Umlen­kung der bis­her durch den Sudan füh­ren­den Flucht­rou­ten von zum Bei­spiel Geflüch­te­ten aus Eri­trea, Soma­lia oder Äthio­pi­en. Und zwar durch Grenz­kon­trol­len und Grenz­ge­walt. Dadurch kön­nen die Men­schen nicht mehr über den Sudan und Liby­en flüch­ten.  Statt­des­sen ver­su­chen sie es jetzt über Tune­si­en. Wenn nun ein Deal mit Tune­si­en zur Abwehr von Geflüch­te­ten gemacht wird, wer­den die Men­schen wie­der ver­su­chen, neue Wege zu fin­den. Neue Flucht­we­ge bedeu­ten jedes Mal aufs Neue mehr Gefahr und mehr Tote.

Euro­pa und auch Deutsch­land sind sich nicht zu scha­de, zur Abwehr von Geflüch­te­ten und zur Exter­na­li­sie­rung der Außen­gren­zen Deals mit Ver­bre­chern und Auto­kra­ten zu machen:  Der Khar­tum-Pro­zess im Sudan – ein Deal mit den para­mi­li­tä­ri­schen Mili­zen RSF, die in Dar­fur ver­ge­wal­tig­ten und mor­de­ten. Der Liby­en-Deal  – Zusam­men­ar­beit mit einem Land, in dem Geflüch­te­te gefol­tert, inhaf­tiert und umge­bracht wer­den. Und nun der Deal mit der auto­kra­ti­schen tune­si­schen Regie­rung, die nicht nur mas­siv Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit, Frauen‑, LGTBIQ+- und Kin­der­rech­te ein­schränkt, son­dern auch Geflüch­te­te in der Wüs­te aus­setzt und ver­durs­ten lässt.

So wer­den men­schen­rechts­ver­let­zen­de para­mi­li­tä­ri­sche Grup­pen und Regie­run­gen finan­zi­ell und poli­tisch unter­stützt und auf­ge­baut. Das wie­der­um führt zu immer neu­en Kon­flik­ten und Krie­gen. Ein Bei­spiel ist, dass die vom Khar­tum-Pro­zes­se pro­fi­tie­ren­de para­mi­li­tä­ri­sche Miliz RSF, auch im Krieg im Jemen mit­mischt, ein Krieg, über den kaum jemand in Deutsch­land etwas weiß oder spricht – das Glei­che gilt für  die Zusam­men­ar­beit der RSF mit der Wag­ner-Söld­ner­grup­pe. Euro­päi­sche Inter­ven­tio­nen in Afri­ka zur Abwehr von Migra­ti­on haben glo­bal weit­rei­chen­de nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen und ver­ur­sa­chen wei­te­re Konflikte.

Euro­pa und auch Deutsch­land sind sich nicht zu scha­de, zur Abwehr von Geflüch­te­ten und zur Exter­na­li­sie­rung der Außen­gren­zen Deals mit Ver­bre­chern und Auto­kra­ten zu machen.

Aber geht der Plan Euro­pas auf, Flücht­lin­ge vom afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent fernzuhalten?

Die Idee Euro­pas, Gren­zen dicht­zu­ma­chen, damit weni­ger Flücht­lin­ge kom­men, ist ein­fach rea­li­täts­fern. Immer, wenn eine Rou­te schwie­ri­ger wird, suchen sich die Men­schen eine ande­re. Im Moment ist es Tune­si­en, aber man­che suchen ihren Weg auch über Ägyp­ten oder nach Isra­el. Die Wege wer­den nur schwie­ri­ger und gefährlicher.

Und die Ein­mi­schung Euro­pas bringt Insta­bi­li­tät nach Afri­ka, sie­he Sudan heu­te. Durch die so ent­ste­hen­den Kon­flik­te müs­sen wie­der mehr Men­schen flie­hen. Das ist ein­fach nur verantwortungslos.

»Die Idee Euro­pas, Gren­zen dicht­zu­ma­chen, damit weni­ger Flücht­lin­ge kom­men, ist ein­fach realitätsfern.«

Adam Bahar, Akti­vist Sudan Upri­sing Germany 

War­um schlie­ßen afri­ka­ni­sche Län­der über­haupt Deals mit Europa?

Es geht um Geld. Dik­ta­tu­ren sind sehr offen für finan­zi­el­le Deals. Außer­dem gibt es auch bei den Regie­run­gen in Afri­ka immer noch die kolo­nia­le Idee, dass Euro­pa bestimmt, was in Afri­ka pas­siert. Durch die soge­nann­te Ent­wick­lungs­hil­fe besteht der Ein­fluss euro­päi­scher Regie­run­gen in Afri­ka fort. Sie kön­nen dann die Hilfs­gel­der von Gegen­leis­tun­gen der afri­ka­ni­schen Län­der abhän­gig machen und eben sol­che Migra­ti­ons­deals ein­for­dern. Des­halb ist die soge­nann­te Ent­wick­lungs­hil­fe für mich ein kolo­nia­les Instru­ment, um poli­tisch und geo­po­li­tisch Macht aus­zu­bau­en und Migra­ti­on und Flucht zu ver­hin­dern bezie­hungs­wei­se zu erschweren.

War­um nut­zen afri­ka­ni­sche Län­der nicht viel mehr das Druck­mit­tel der Migra­ti­on, um ihre Inter­es­sen gegen­über Euro­pa durchzusetzen?

Vie­le afri­ka­ni­sche Regie­run­gen haben Angst, denn sie wis­sen, dass sie dik­ta­to­risch sind und Men­schen unter­drü­cken. Euro­päi­sche Regie­run­gen sta­bi­li­sie­ren und mani­fes­tie­ren durch Deals und Gel­der ihre Macht. Außer­dem wis­sen sie genau, was Euro­pa tun kann, wenn ein afri­ka­ni­scher Regie­rungs­chef mehr Selbst­be­stim­mung und Unab­hän­gig­keit von Euro­pa ver­langt. Euro­pa hat bereits diver­se Male bei afri­ka­ni­schen Regie­rungs­ober­häup­tern inter­ve­niert, die als unpas­send ange­se­hen wur­den, zum Bei­spiel in Liby­en, in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go oder in Mali. Auf der ande­ren Sei­te inter­ve­nie­ren euro­päi­sche Län­der nicht in den aktu­el­len Krieg im Sudan, wo die Bevöl­ke­rung mas­siv in Gefahr ist. Denn der Krieg im Sudan stoppt der­zeit die Flucht­be­we­gun­gen in die­ser Regi­on. Ich den­ke, das wird von Euro­pa als posi­ti­ver Effekt gese­hen. Wir müs­sen also die aktu­el­len und zukünf­ti­gen Deals ganz genau beob­ach­ten und in der Öffent­lich­keit diskutieren.

(nb)