22.08.2023
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Ankünfte auf der Insel Lampedusa. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Regelmäßig nehmen Schutzsuchende mit Booten aus Tunesien und Libyen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich, um nach Lampedusa, Sizilien oder auf das italienische Festland zu gelangen. Wir sind genau an diese Orte gereist und haben das von PRO ASYL unterstützte Projekt Maldusa besucht.

Bis Ende Juli wur­den bereits 88.874 Flücht­lin­ge in Ita­li­en regis­triert, mehr als dop­pelt so vie­le wie im Vor­jah­res­zeit­raum. Wir möch­ten Ein­drü­cke und Auf­nah­men erhal­ten, uns vor Ort mit Orga­ni­sa­tio­nen und Aktivist*innen aus­tau­schen, mehr zur aktu­el­len Men­schen­rechts­la­ge in Ita­li­en und zum Umgang der Situa­ti­on durch die post­fa­schis­ti­sche Melo­ni-Regie­rung erfahren.

Maldusa: Unser Partner in Italien

Das Pro­jekt Mal­du­sa setzt sich aus drei Teil­be­rei­chen zusam­men. Einem Zen­trum in Paler­mo, einer Sta­ti­on auf Lam­pe­du­sa, die den Fokus auf Doku­men­ta­ti­on legt und zukünf­tig einem klei­nen Boot zur Prä­senz auf See, mit dem Ziel, Behör­den früh­zei­tig zu alar­mie­ren und zur Ret­tung zu mobilisieren.

»PRO ASYL unter­stützt das Pro­jekt Mal­du­sa, weil es die Ret­tung von Leben und die Unter­stüt­zung der ankom­men­den Boat Peo­p­le in Euro­pa mit­ein­an­der ver­bin­det. Mal­du­sa stärkt die Alli­anz aus zivi­ler See­not­ret­tung und Men­schen­rechts­ver­tei­di­gern, um die Rech­te von Flücht­lin­gen und Migran­ten zu ver­tei­di­gen: Das Recht auf Leben, Schutz und Men­schen­wür­de. Das Recht auf Zukunft.« (Karl Kopp, PRO ASYL Sprecher)

Tag 1 – Das erste Treffen in Palermo

Am Vor­mit­tag tref­fen wir Hagen Kopp, Pro­jekt­ko­or­di­na­tor von Mal­du­sa und PRO ASYL Men­schen­rechts­preis­trä­ger 2020/21 für sei­ne Arbeit bei Watch the Med – Alarm Pho­ne, in der Sta­ti­on des Pro­jekts in der Alt­stadt von Paler­mo. Er wird uns die nächs­ten Tage auf der Rei­se beglei­ten. Nach und nach kom­men wei­te­re Aktivist*innen und Mitarbeiter*innen von Mal­du­sa, bor­der­line euro­pe und der Asso­cia­ti­on for Juri­di­cal Stu­dies on Immi­gra­ti­on (ASGI) dazu.

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Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

Die Fra­ge, die alle beschäf­tigt ist, wie man die Men­schen am bes­ten unter­stüt­zen kann. Der Kon­takt zu Geflüch­te­ten ist, z.B. durch beschränk­te Zugän­ge in den Hot­spots, limi­tiert und an vie­len Stel­len nicht von der Regie­rung gewollt. Zen­tra­le Punk­te der Arbeit: Recht­li­che Unter­stüt­zung, Zugang zur Gerech­tig­keit, sozia­le Unter­stüt­zung, Durch­bre­chen der Iso­la­ti­on der Geflüch­te­ten. Auch die Men­schen, die ihre Ver­wand­ten ver­lo­ren haben oder sie ver­mis­sen, müs­sen mit Infor­ma­tio­nen ver­sorgt werden.

Der Kon­takt zu Geflüch­te­ten ist, z.B. durch beschränk­te Zugän­ge in den Hot­spots, limi­tiert und an vie­len Stel­len nicht von der Regie­rung gewollt.

Der Aus­tausch in der Mal­du­sa Sta­ti­on the­ma­ti­siert auch den ganz aktu­el­len Umgang Ita­li­ens mit Geflüch­te­ten. Teil­wei­se ist nicht ganz klar, was im Detail durch die Regie­rung geplant ist, aber aktu­ell wer­den die Men­schen nach ihrer Ankunft in Höchst­ge­schwin­dig­keit an wei­te­re Orte z.B. auf dem Fest­land trans­fe­riert, erfah­ren wir. Immer wie­der kommt das The­ma der »Detenti­on Cen­ter« und die vor­an­schrei­ten­de Abschot­tungs­po­li­tik Ita­li­ens zur Spra­che, erst vor ein paar Tagen wur­de der Tune­si­en-Deal bekannt gege­ben. Wir mer­ken, wie kom­plex die Lage ist und wie wert­voll die Infor­ma­tio­nen von Men­schen vor Ort sind, um die­se über­haupt bes­ser ein­ord­nen zu können.

»Die Stra­te­gie hin­ter der Kri­mi­na­li­sie­rung ist eine Abschre­ckungs­stra­te­gie. Die­je­ni­gen, die sich ans Steu­er set­zen, lan­den im Gefäng­nis. Das ist ein gro­ßer Ein­griff in das Recht auf Asyl, weil es lei­der kei­ne Bewe­gungs­frei­heit gibt. Es gibt kei­ne lega­len und siche­ren Ein­rei­se­rou­ten. Das heißt, es muss jemand das Gefährt steu­ern, auf dem man nach Euro­pa gelangt.« (Kris­ti­na di Bel­la, bor­der­line europe)

Am Nach­mit­tag sind wir mit Judith Gleit­ze und Kris­ti­na di Bel­la von bor­der­line euro­pe ver­ab­re­det, wäh­rend die Hit­ze bei weit über 40 Grad die Stadt beherrscht. Wir erfah­ren von ers­ten Brän­den rund um Paler­mo und viel über die Situa­ti­on in Ita­li­en. Seit 2020 habe sie sich geän­dert, denn davor konn­ten Flücht­lin­ge die Camps ver­las­sen, jetzt ist das wei­test­ge­hend nicht mehr möglich.

Auch die Kri­mi­na­li­sie­rung von Geflüch­te­ten hat zuge­nom­men, vor allem mit der Ein­füh­rung eines neu­en Straf­be­stan­des: In Ita­li­en kön­nen mitt­ler­wei­le die­je­ni­gen bestraft wer­den, die ein Flücht­lings­boot fah­ren. Dabei sind sie häu­fig gar nicht die Schlep­per, viel eher machen die­se Geflüch­te­te vor der Über­fahrt zum »boat dri­ver«. Da dafür die Über­fahrt güns­ti­ger wird, neh­men vie­le es an – ohne die Kon­se­quen­zen zu kennen.

»Es gibt kei­ne lega­len und siche­ren Ein­rei­se­rou­ten. Das heißt, es muss jemand das Gefährt steu­ern, auf dem man nach Euro­pa gelangt«

Kris­ti­na di Bel­la, bor­der­line europe

Tag 2 – Zu Besuch beim Bürgermeister von Pozzallo 

Wir fah­ren nach Pozz­al­lo, im Süden von Sizi­li­en, wo wir einen Ter­min mit Rober­to Amma­tuna haben. Er ist Bür­ger­meis­ter der Stadt, in der es einen von ins­ge­samt vier soge­nann­ten Hot­spots in Ita­li­en gibt. Die EU-finan­zier­ten Hot­spots wur­den 2015 in Ita­li­en eta­bliert und sind Erst­auf­nah­me­la­ger, in denen Geflüch­te­te direkt nach der Ankunft regis­triert wer­den. Trau­ri­ge Berühmt­heit erlang­ten die Hot­spots durch zahl­rei­che Berich­te über die schlech­ten Bedin­gun­gen und die Über­fül­lung in den Camps.

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Tref­fen mit dem Bür­ger­meis­ter von Pozz­al­lo Foto: Stadt Pozallo

Im Gespräch macht der Bür­ger­meis­ter klar, dass Pozz­al­lo nicht für die­se Abschot­tungs­po­li­tik ste­hen möch­te, son­dern eine offe­ne Will­kom­mens­kul­tur für Geflüch­te­te ver­tritt und sich wei­ter für einen huma­ne­ren Umgang ein­set­zen will.

Auch Ala­gie Jin­kang, Mit­glied des Mal­du­sa Pro­jekts, ist bei dem Tref­fen dabei. Er selbst ver­ließ Gam­bia und kam nach sei­ner Ankunft im Jahr 2015 in den Hot­spot Pozz­al­lo. Ala­gie hat daher eine ganz eige­ne Bezie­hung zu die­sem Ort. Er hat mitt­ler­wei­le in Ita­li­en Asyl erhal­ten, spricht flie­ßend Ita­lie­nisch und sei­nen Uni­ver­si­täts­ab­schluss gemacht – aber bis es so weit kam, war es ein stei­ni­ger Weg.

Im Anschluss an das Gespräch fah­ren wir zum Hot­spot Pozz­al­lo. Im Vor­feld hat­ten wir einen offi­zi­el­len Antrag gestellt, in das Lager zu kön­nen – bis zuletzt haben wir jedoch kei­ne Rück­mel­dung bekom­men und selbst nach Rück­fra­ge durch den Bür­ger­meis­ter gab es kei­ne Erlaub­nis. Auch er selbst hat kei­nen Zugang zum Hotspot.

Das »Immi­gra­ti­on detenti­on cent­re«, also das Erst­auf­nah­me­zen­trum in Pozz­al­lo, ist rings­her­um umzäunt und wird von Poli­zei und Sol­da­ten bewacht. Wir sehen zahl­rei­che Geflüch­te­te im Frei­en, unter pro­vi­so­ri­schen Zel­ten auf Matrat­zen in der Hitze.

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Hin­ter Zäu­nen in der Hit­ze: Der Hot­spot in Pozz­al­lo. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

Schnell wird unser Ver­such, durch die Abzäu­nung mit ihnen ins Gespräch zu kom­men, von Sol­da­ten unter­bun­den. Auch Fotos dür­fen wir nicht mehr machen. Die Poli­zei erscheint, um Per­so­na­li­en von unse­ren ita­lie­ni­schen Kolleg*innen aufzunehmen.

Tag 3: Lampedusa – eine kleine Insel mit trauriger Bekanntheit

Unser nächs­ter Halt ist Cata­nia. Anders als im Hot­spot Pozz­al­lo sind die Geflüch­te­ten hier nicht iso­liert unter­ge­bracht, das Lager in Cata­nia ist offen. Betre­ten dür­fen wir es den­noch nicht, Poli­zis­ten ver­weh­ren uns den Zugang.

In Cata­nia spre­chen wir außer­dem mit Ste­fa­nia, einer frei­be­ruf­li­chen Mit­ar­bei­te­rin von UNICEF. Sie gibt uns einen weit­rei­chen­den Über­blick über die Situa­ti­on in Ita­li­en und spe­zi­ell von unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen, deren Betreu­ung und Beglei­tung sie lan­ge über­nom­men hat. Vie­le Min­der­jäh­ri­ge erhal­ten hier nicht den eigent­lich vor­ge­se­he­nen beson­de­ren Schutz, weil der Infor­ma­ti­ons­fluss der Behör­den häu­fig nicht funktioniert.

Am Abend rei­sen wir wei­ter nach Lam­pe­du­sa, dem letz­ten Stopp der Projektreise.

Auf Lam­pe­du­sa arbei­tet das Mal­du­sa-Pro­jekt eng mit den zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen vor Ort zusam­men und doku­men­tiert die Situa­ti­on. Beson­ders wich­tig ist auch die Auf­klä­rung der Geflüch­te­ten über ihre Rech­te, denn die schnel­le Ver­tei­lung der Ankom­men­den über ganz Ita­li­en und die Abschot­tung in den Hot­spots erschwert die recht­li­che Ver­tre­tung und die Mög­lich­keit des Rechtsbeistands.

Neben der wich­ti­gen Arbeit an Land ist das Mal­du­sa-Pro­jekt in Zukunft auch mit einem klei­nen Boot vor der Küs­te Lam­pe­du­sas unter­wegs. Auch wenn die erfah­re­ne Crew für Ret­tungs­ein­sät­ze geschult ist, geht es weni­ger um die kon­kre­te See­enot­ret­tung, als um das Moni­to­ring auf dem Was­ser und dar­um, die Behör­den durch Druck und Öffent­lich­keits­ar­beit zu Ret­tungs­ein­sät­zen zu bewegen.

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Tag 4 – Zwischen Touristen und Geflüchteten

Der ers­te Mor­gen auf Lam­pe­du­sa. Unse­re Ein­drü­cke sind zunächst geprägt von der beleb­ten Via Roma, wo ein Shop den nächs­ten jagt und Restau­rants, Cafés und Eis­die­len für die vie­len Tou­ris­ten ste­hen. Wir fra­gen uns, war­um man aus­ge­rech­net hier Urlaub macht – einem Ort, der wie weni­ge ande­re sinn­bild­lich für das Ster­ben auf dem Mit­tel­meer steht.

Nicht weit ent­fernt fin­den sich die ers­ten Hin­wei­se auf die beson­de­re Rol­le von Lam­pe­du­sa: Nahe dem Hafen lie­gen zwei ver­blie­be­ne Flucht­boo­te. Das grö­ße­re der bei­den, ein Fischer­boot, ist aus Liby­en gekom­men. Es liegt ver­täut am Kopf der Mole. Das ande­re, ein klei­ne­res Holz­boot, ist auf­ge­lau­fen und bei der Anlan­dung beschä­digt wor­den, ein Mann wur­de zwi­schen den Klip­pen ein­ge­quetscht und muss­te geret­tet wer­den. Immer noch lie­gen Klei­dung, Schu­he und Ret­tungs­wes­ten auf und um die Boo­te ver­teilt. Der Blick auf das klei­ne Holz­boot, auf den auf­ge­ris­se­nen Rumpf, lässt uns die Stra­pa­zen und Gefah­ren erah­nen, die Men­schen auf sich neh­men, um das Mit­tel­meer zu überqueren.

Beim Anlan­den auf Lam­pe­du­sa set­ze das Holz­boot auf den Fel­sen auf und riss am Rumpf auf. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann
Beim Anlan­den auf Lam­pe­du­sa set­ze das Holz­boot auf den Fel­sen auf und riss am Rumpf auf. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann
Flücht­lings­boot aus Liby­en im Hafen von Lam­pe­du­sa. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

Lässt man den Blick schwei­fen, sieht man das Meer, sieht man vie­le bun­te Son­nen­schir­me und Men­schen am Sand­strand. Es sind zwei Wel­ten, die hier auf­ein­an­der­tref­fen, direkt neben­ein­an­der existieren.

Am frü­hen Abend machen wir uns auf zum Fried­hof von Lam­pe­du­sa. Tau­sen­de Men­schen haben in den letz­ten Jah­ren ihr Leben auf dem Weg über das Mit­tel­meer ver­lo­ren. Eini­ge von ihnen konn­ten gebor­gen wer­den und haben ein Grab auf dem ört­li­chen Fried­hof erhal­ten. Wir tref­fen auf eine loka­le Initia­ti­ve, die sich ver­ab­re­det hat, um die Grä­ber zu pfle­gen und so den Opfern der vie­len Schiffs­un­glü­cke Respekt zu zollen.

»Lei­der sind wir Zeu­gen vie­ler Todes­fäl­le. Die Poli­tik macht es den Men­schen unmög­lich, sich frei und sicher zu bewe­gen. Also sind die Men­schen gezwun­gen, gefähr­li­che Wege zu neh­men und ihr Leben zu ris­kie­ren. Und das Ergeb­nis ist, dass Men­schen sterben.«

Emma Con­ti, Medi­ter­ra­ne­an Hope
Der Fried­hof auf Lam­pe­du­sa: Unzäh­li­ge Men­schen ver­lo­ren in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ihr Leben auf dem Weg über das Mit­tel­meer. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann
Der Fried­hof auf Lam­pe­du­sa: Unzäh­li­ge Men­schen ver­lo­ren in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ihr Leben auf dem Weg über das Mit­tel­meer. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann
Der Fried­hof auf Lam­pe­du­sa: Unzäh­li­ge Men­schen ver­lo­ren in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ihr Leben auf dem Weg über das Mit­tel­meer. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Emma, die für die Orga­ni­sa­ti­on Medi­ter­ra­ne­an Hope arbei­tet, bezeich­net den Fried­hof uns gegen­über als ein­zi­gen Ort der Insel, an dem Ein­hei­mi­sche und Flücht­lin­ge zusam­men­kom­men. Eine trau­ri­ge Aus­sa­ge, die wir aber aus unse­ren Ein­drü­cken auch nach weni­gen Stun­den bestä­ti­gen können.

Am Abend tref­fen wir die Aktivist*innen von Sea Watch Air­bor­ne, die die zivi­le See­not­ret­tung aus der Luft koor­di­nie­ren. Sie berich­ten von Push- und Pull­backs auf dem Mit­tel­meer, von liby­schen Mili­zen und der Untä­tig­keit Mal­tas in See­not­fäl­len. Und dass sich die Flucht­rou­ten aber­mals geän­dert haben – statt aus Liby­en star­ten vie­le Schif­fe nun von Tune­si­en aus.

»Lei­der sind wir Zeu­gen vie­ler Todes­fäl­le. Die Poli­tik macht es den Men­schen unmög­lich, sich frei und sicher zu bewe­gen. Also sind die Men­schen gezwun­gen, gefähr­li­che Wege zu neh­men und ihr Leben zu ris­kie­ren. Und das Ergeb­nis ist, dass Men­schen ster­ben.« (Emma Con­ti, Medi­ter­ra­ne­an Hope)

»Der Fried­hof auf Lam­pe­du­sa ist der ein­zi­ge Ort der Insel, an dem Ein­hei­mi­sche und Flücht­lin­ge zusammenkommen.«

Neu ist auch die Art der Schif­fe, die für die Über­fahr­ten genutzt wer­den. Immer öfter han­delt es sich um »Iron boats«, also Eisen­boo­te, weil die­se kos­ten­güns­ti­ger und schnel­ler her­ge­stellt wer­den kön­nen. Die­se Boo­te sind eigent­lich nicht see­taug­lich und damit nicht sicher genug für Über­fahr­ten über das Mit­tel­meer. Die Gefahr eines Schiffs­bruchs steigt dadurch ein­mal mehr.

Tag 5: Vom Hafen durch den Hot­spot und weiter

Das ers­te Mal wäh­rend unse­res Auf­ent­halts bekom­men wir mit, wie Schif­fe ankom­men. Zwei Tage lang hat­te es auf­grund des Wet­ters mit star­kem Wind kei­ne Anlan­dun­gen gege­ben. Wir erfah­ren, dass im Mor­gen­grau­en des 28.07. ein Boot mit 29 Men­schen den Hafen von Lam­pe­du­sa erreicht hat. Sie wur­den zum Hot­spot gebracht, in dem Zeit­punkt zu die­sem Zeit­punkt 320 Per­so­nen waren – dar­un­ter nach offi­zi­el­len Anga­ben 154 unbe­glei­te­te Minderjährige.

Wir gehen zum Hafen. Hier sind sowohl die Boo­te des ita­lie­ni­schen Zolls, als auch der Küs­ten­wa­che, in gro­ßer Prä­senz auf­ge­reiht. Die Schif­fe der »Guar­dia Cos­tie­ra« wer­den von den Helfer*innen hier nur »Char­lie Papa« genannt, nach der beim Schiffs­funk übli­chen Buch­sta­bier­wei­se aus dem NATO-Alphabet.

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Boo­te der Ita­lie­ni­schen Küs­ten­wa­che. Wegen der Abkür­zung CP auch „Char­lie Papa“ genannt. Foto: PRO ASYL / Loui­sa Serwuschok

Am Mit­tag wer­den dann auch wir Zeu­gen, wie ein Boot der »Guar­dia di Finan­za« eine Grup­pe von mehr als 30 Per­so­nen am Pier absetzt und kön­nen das Pro­ze­de­re beob­ach­ten: Sie wer­den in Emp­fang genom­men, es erfolgt eine schnel­le, rou­ti­nier­te Auf­nah­me, eine kur­ze Abklä­rung des Gesund­heits­zu­stands, teil­wei­se eine ers­te medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Anschlie­ßend wer­den die Men­schen in den Hot­spot gebracht.

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Ein Boot der ita­lie­ni­schen Guar­dia di Finan­za bringt eine Grup­pe von mehr als 30 Per­so­nen an den Pier. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Para­dox erscheint: Wäh­rend auf der einen Sei­te des Hafens die Ankunft erfolgt und Men­schen im Anschluss in Bus­sen des Roten Kreu­zes zum Hot­spot gebracht wer­den, steht auf der ande­ren Sei­te des Hafens die Fäh­re bereit, die Men­schen wei­ter trans­fe­riert. Am Mor­gen wur­den etwa hun­dert Geflüch­te­te aus dem Hot­spot hier­hin gebracht. Seit­her har­ren die Men­schen bei Tem­pe­ra­tu­ren von über 35 Grad aus, war­ten mehr als drei Stun­den, bis sie auf die Fäh­re stei­gen können.

Wäh­rend wir die Ankunft der Men­schen am Pier beob­ach­ten, erreicht die Fäh­re den Hafen von Lam­pe­du­sa. Über 100 Geflüch­te­te wer­den die­ses Mal trans­fe­riert. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann
Wäh­rend wir die Ankunft der Men­schen am Pier beob­ach­ten, erreicht die Fäh­re den Hafen von Lam­pe­du­sa. Über 100 Geflüch­te­te wer­den die­ses Mal trans­fe­riert. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

Auch hier möch­ten wir mit den Men­schen spre­chen und Auf­nah­men der Situa­ti­on machen, doch wir wer­den von einem Poli­zis­ten auf­ge­for­dert, kei­ne Bil­der zu machen.

Am Nach­mit­tag fah­ren wir dann zum Hot­spot der Insel. Soldat*innen ste­hen über­all auf dem Hügel um das abge­sperr­te Lager. Wir sehen zwei Rei­hen von Zäu­nen, einen Gra­ben und Über­wa­chungs­ka­me­ras. Und das, obwohl die Hot­spots offi­zi­ell nicht geschlos­sen sind. Denn eine Inhaf­tie­rung wäre nach ita­lie­ni­schem Recht ille­gal – trotz­dem dür­fen weder die Geflüch­te­ten nach drau­ßen noch Unterstützer*innen oder wir hin­ein. Beim Blick von oben stellt sich ein beklem­men­des Gefühl ein.

Zäu­ne, Grä­ben, Über­wa­chungs­ka­me­ras und Sol­da­ten – Der Hot­spot auf Lam­pe­du­sa Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann
Zäu­ne, Grä­ben, Über­wa­chungs­ka­me­ras und Sol­da­ten – Der Hot­spot auf Lam­pe­du­sa Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

»Es ist ein rein poli­ti­sches Pro­blem. Es ist glas­klar, nie­mand müss­te über­haupt in die­sen Hot­spot rein, son­dern die Men­schen könn­ten hier ganz anders will­kom­men gehei­ßen werden.«

Hagen Kopp, Pro­jekt­ko­or­di­na­tor Maldusa

Anders als zuvor dür­fen wir hier jedoch Auf­nah­men machen, nach­dem ein Sol­dat unse­re Aus­wei­se foto­gra­fiert hat.

Am frü­hen Abend erhal­ten wir eine Nach­richt, dass in der nächs­ten Stun­de 70 Flücht­lin­ge ankom­men sol­len. Wir machen uns wie­der auf den Weg gen Hafen, jetzt zum Pier. Direkt unter uns lie­gen zig Boot, auf denen in den ver­gan­ge­nen Wochen Men­schen Lam­pe­du­sa erreicht haben und die von den Behör­den hier gesam­melt wer­den. Bei vie­len die­ser Boo­te fra­gen wir uns, wie man damit 200 Kilo­me­ter über das offe­ne Meer fah­ren konnte.

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Im Hafen von Lam­pe­du­as sta­peln sich die Boo­te der ankom­men­den Men­schen. Vie­le wir­ken wenig hoch­see­taug­lich. Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

»Es ist ein rein poli­ti­sches Pro­blem. Es ist glas­klar, nie­mand müss­te über­haupt in die­sen Hot­spot rein, son­dern die Men­schen könn­ten hier ganz anders will­kom­men gehei­ßen wer­den. Wir haben ja das Bei­spiel Ukrai­ne, wo es ein »Free­dom of Move­ment« gab. Es wäre ein Ein­fa­ches, hier genau­so zu ver­fah­ren und ein wirk­lich men­schen­wür­di­ges Ankom­men zu orga­ni­sie­ren.« (Hagen Kopp, Pro­jekt­ko­or­di­na­tor Maldusa)

Dies­mal kom­men die Men­schen auf einem Schiff der ita­lie­ni­schen Küs­ten­wa­che, in den Hafen. Von unse­rem Stand­ort aus kön­nen wir die Ankunft aus der Nähe beob­ach­ten. Wir sehen in erschöpf­te Gesich­ter, eini­ge Per­so­nen sind stark dehy­driert und müs­sen zunächst medi­zi­nisch ver­sorgt wer­den. Vie­le der Men­schen sind bar­fuß. Ein paar der gera­de geret­te­ten Kin­der lau­fen umher.

Wir sehen auch uns bekann­te Gesich­ter. Mitarbeiter*innen unse­rer Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on und loka­ler Initia­ti­ven, die wir zuvor getrof­fen haben. Sie arbei­ten ehren­amt­lich am Pier, neh­men die Geflüch­te­ten in Emp­fang und geben ihnen ers­te Infor­ma­tio­nen. Der ein­zi­ge Kon­takt­punkt, denn anschlie­ßend wer­den die Geflüch­te­ten im Hot­spot isoliert.

Wir beob­ach­ten, ohne aktiv Hil­fe leis­ten zu kön­nen. Aber es ist sind die Bil­der, die wir in die­sem Bericht wei­ter­ge­ben möch­ten, dar­über berich­ten und auf­merk­sam machen. Denn Euro­pa ist ver­ant­wort­lich und ris­kiert mit den Plä­nen um Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen und Abschot­tung, dass Men­schen immer gefähr­li­che­re Rou­ten auf sich neh­men und auf dem Weg ihr Leben verlieren.

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Tag 6: Die Schiffsunglücke sind stets präsent

Wäh­rend die Ankünf­te als auch die Trans­fers von Lam­pe­du­sa wei­ter­ge­hen, sind wir in der Mal­du­sa Sta­ti­on mit Ala­gie ver­ab­re­det. Sei­ne eige­ne Flucht­er­fah­rung ist Moti­va­tor für sei­nen Akti­vis­mus – und auch für sei­ne beruf­li­che Tätig­keit. Mitt­ler­wei­le lehrt er an der Uni­ver­si­tät Paler­mo, sei­ne Dis­ser­ta­ti­on befass­te sich mit der Aus­beu­tung von Migran­ten in der ita­lie­ni­schen Land­wirt­schaft. Die­se Form der »zeit­ge­nös­si­schen Skla­ve­rei« muss­te er selbst erfah­ren, wes­halb der Kampf dage­gen ihm beson­ders wich­tig ist.

»Wenn du in einem Super­markt in Deutsch­land eine Toma­te oder Oli­ven­öl aus Ita­li­en kaufst, ist es wahr­schein­lich, dass es von aus­ge­beu­te­ten Men­schen, in der Regel Migran­ten, stammt. Es ist wahr­schein­lich, dass es von Men­schen stammt, die sich die von ihnen pro­du­zier­ten Pro­duk­te selbst gar nicht leis­ten kön­nen.« (Ala­gie, Wis­sen­schaft­ler und Aktivist)

Im Anschluss an das Inter­view haben wir Zeit, die Insel etwas bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. Auch wenn auf den ers­ten Blick nur die Shops, Restau­rants und Bars für den Tou­ris­mus auf­fal­len, so erkennt man auf den zwei­ten Blick an jeder Ecke, wie eng die Insel mit dem Schick­sal der vie­len Men­schen ver­wo­ben ist, die über das Mit­tel­meer geflo­hen sind. Man sieht Denk­mä­ler, Gedenk­ta­feln und Wand­ge­mäl­de, die an die trau­ri­gen Schick­sa­le der­je­ni­gen erin­nern, die auf dem Weg nach Lam­pe­du­sa gestor­ben sind.

Um die Mit­tags­zeit kom­men wei­te­re Men­schen an. Es ist zu die­sem Zeit­punkt schon die ach­te Ankunft des Tages. Dies­mal wer­den die Flücht­lin­ge auf einem Fron­tex-Boot in den Hafen gebracht. Wie­der sind dar­un­ter Kin­der. Wie­der sind vie­le bar­fuß. Sie waren wohl meh­re­re Tage über das Mit­tel­meer unter­wegs. Eini­ge win­ken uns, erleich­tert, aber auch unsi­cher, was nun kom­men wird. Was erwar­tet sie, nach­dem sie zum Hot­spot gebracht wer­den? Wir kön­nen die­se Fra­ge nicht beant­wor­ten, zumin­dest ist die Auf­ent­halts­dau­er dort mitt­ler­wei­le für vie­le nur kurz, dann folgt der Trans­fer zum Festland.

Am Nach­mit­tag erzählt uns Jas­mi­ne Ioz­zel­li von ihren Erfah­run­gen auf Lam­pe­du­sa. Jas­mi­ne war von Sep­tem­ber 2022 bis Febru­ar 2023 für das Mal­du­sa-Pro­jekt hier und maß­geb­lich für die Eta­blie­rung ver­ant­wort­lich. Die Situa­ti­on auf der Insel beschreibt sie als kom­plex und schwie­rig. Es sei schwer, mit den Men­schen in Kon­takt zu tre­ten, um ihnen hel­fen zu kön­nen. Momen­tan geschieht das des­halb vor allem direkt bei der Ankunft am Pier.

Durch die Abschot­tung in den Hot­spots haben vie­le Ein­hei­mi­sche das Gefühl, dass die Regie­rung die Inter­ak­ti­on mit den Geflüch­te­ten ver­hin­dern möch­te, sind frus­triert und teil­wei­se resi­gniert. Den­noch gibt es auf Lam­pe­du­sa ein gutes Netz­werk der vie­len unter­stüt­zen­den Organisationen.

Tag 7: Was bleibt von der Reise?

Am letz­ten Tag der Pro­jekt­rei­se sind wir mit Hagen Kopp am Hafen ver­ab­re­det. Vor dem gro­ßen Flücht­lings­boot, wel­ches im Juni 2023 ankam und immer noch an der Mole liegt. Er erzählt, war­um es so wich­tig ist, hier auf Lam­pe­du­sa aktiv zu sein.

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PRO ASYL Men­schen­rechts­preis­trä­ger Hagen Kopp im Inter­view. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

»Solan­ge Men­schen gezwun­gen sind, auf Boo­ten […] die­se Rei­se zu machen, solan­ge das töd­li­che Grenz­re­gime besteht, so lan­ge muss und wird Lam­pe­du­sa eine »Insel der Ret­tung« sein.«

Hagen Kopp, Pro­jekt­ko­or­di­na­tor Maldusa

Wäh­rend­des­sen kom­men wei­te­re Men­schen an. Sie alle haben es erst ein­mal geschafft – aber wir wis­sen nicht, was sie alles in ihrer Hei­mat oder auf der Flucht­rou­te und in Tune­si­en oder Liby­en durch­le­ben muss­ten. Eben­so unge­wiss ist, wie es für sie nun bei der zuneh­mend restrik­ti­ven euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik wei­ter­geht. Und weni­ge Tage nach unse­rer Rück­kehr, als wir von einem erneu­ten Schiffs­un­glück vor Lam­pe­du­sa hören und die schreck­li­chen Bil­der sehen, wird uns noch ein­mal deut­lich, wie gefähr­lich die Fahrt für die Men­schen ist. Die schnel­le Ver­tei­lung der Men­schen von Lam­pe­du­sa nach Sizi­li­en und an wei­te­re Orte ist sinn­voll, um eine Über­fül­lung der Hot­spots zu ver­mei­den. Die Arbeit und der Ein­satz vor Ort blei­ben umso mehr von gro­ßer Bedeu­tung: Die Betreu­ung von Ankom­men­den, die recht­li­che Bera­tung, ein umfas­sen­des Moni­to­ring und die Doku­men­ta­ti­on der Situa­ti­on an den Außengrenzen.

»Solan­ge Men­schen gezwun­gen sind, auf Boo­ten […] die­se Rei­se zu machen, solan­ge das töd­li­che Grenz­re­gime besteht, so lan­ge muss und wird Lam­pe­du­sa eine »Insel der Ret­tung« sein.« (Hagen Kopp, Pro­jekt­ko­or­di­na­tor Maldusa)

Wäh­rend Men­schen­rech­te an den EU-Außen­gren­zen immer wei­ter ver­schwin­den, ver­su­chen die Men­schen, die wir getrof­fen haben, sie zu bewah­ren. Sie ver­tei­di­gen die Wer­te, die die EU sich ein­mal gege­ben hat. Die­ses Enga­ge­ment hat uns sehr beein­druckt – und es bleibt nur zu hof­fen, dass es nicht immer wei­ter durch die ita­lie­ni­sche Regie­rung oder euro­päi­sche Ent­schei­dun­gen erschwert wird. PRO ASYL wird des­we­gen wei­ter­hin loka­le Pro­jek­te wie auf Sizi­li­en und Lam­pe­du­sa unter­stüt­zen und poli­tisch für eine bes­se­re Flücht­lings­po­li­tik in Euro­pa kämpfen.

(jo,lse)