28.07.2023
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Das Hotspot-Lager auf Lampedusa. Foto: PRO ASYL

Während die EU versucht, sich durch weitere Abkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten ihrer Verantwortung zu entziehen, steigen die Ankunftszahlen von Geflüchteten in Italien. Viele haben in Tunesien massive Gewalt erfahren. Doch die zivile Seenotrettung lässt sich von Schikanen der italienischen Regierung nicht aufhalten. Eine Bestandaufnahme.

Auf der ita­lie­ni­schen Insel Lam­pe­du­sa kom­men jeden Tag Hun­der­te Schutz­su­chen­de mit Boo­ten am Pier Fava­lo­ro an. In ganz Ita­li­en waren Ende Juli 2023 bereits über 84.000 Boots­flücht­lin­ge an Land gegan­gen, im glei­chen Zeit­raum 2022 rund 34.000. Die Men­schen kom­men aktu­ell über­wie­gend aus der Elfen­bein­küs­te, Gui­nea, Ägyp­ten, Ban­gla­desch und Paki­stan, sie­ben Pro­zent aller Ankom­men­den sind tune­si­sche Staatsbürger*innen. Im Jahr 2022 waren noch 20 Pro­zent aller Men­schen, die per Boot das zen­tra­le Mit­tel­meer über­quer­ten, tune­si­sche Staatsbürger*innen.

Lampedusa: Hotspot-System statt menschenwürdige Aufnahme

Die aktu­el­len Flucht­be­we­gun­gen las­sen die Ankunfts­zah­len im Auf­nah­me­zen­trum auf der Insel Lam­pe­du­sa in die Höhe schnel­len. Am Don­ners­tag, 20. Juli, zum Bei­spiel befan­den sich nach Anga­ben der PRO ASYL-Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Mal­du­sa etwa 4.000 Men­schen in dem soge­nann­ten »Hot­spot«, der aber nur für knapp 400 Men­schen aus­ge­legt ist. Die Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung auf Lam­pe­du­sa hat einen gefäng­nis­ar­ti­gen Cha­rak­ter.

Zeug*innen berich­ten, es gebe unter ande­rem zu wenig Was­ser, Schat­ten und Wech­sel­klei­dung. Auf­grund der (bereits seit Jah­ren bestehen­den) struk­tu­rel­len Über­be­le­gung der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung haben vie­le Men­schen kei­nen Platz zum Schla­fen. Auch sei der Zugang zu grund­le­gen­den recht­li­chen Infor­ma­tio­nen für neu ange­kom­me­ne Men­schen nicht gewähr­leis­tet, so Mal­du­sa. Es blei­be »die Quint­essenz eines Mecha­nis­mus, der dar­auf aus­ge­legt ist, zu kon­trol­lie­ren und zu ver­wal­ten«. Im Früh­jahr 2023 star­ben in dem Hot­spot drei Men­schen, womög­lich auch wegen man­geln­der Hygie­ne und Gesund­heits­ver­sor­gung vor Ort.

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Auch heu­te (28.07.) kam bereits ein Boot auf Lam­pe­du­sa an. Foto: PRO ASYL

Nach­dem Schutz­su­chen­de in der Ver­gan­gen­heit zwi­schen eini­gen Wochen und eini­gen Mona­ten in dem Hot­spot fest­ge­hal­ten wor­den waren, wer­den Geflüch­te­te nun in der Regel spä­tes­tens nach drei Tagen von ita­lie­ni­schen Behör­den mit der Fäh­re oder dem Flug­zeug von Lam­pe­du­sa nach Sizi­li­en oder auf das ita­lie­ni­sche Fest­land gebracht.

Die EU-Kom­mis­si­on hat jüngst 14 Mil­lio­nen Euro Sofort­hil­fe für die Ver­bes­se­rung der Lage von Geflüch­te­ten auf Lam­pe­du­sa und eine »rasche und siche­re Über­stel­lung« bereit­ge­stellt. Das Geld soll an die Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM) gehen, die eng mit den ita­lie­ni­schen Behör­den und der Agen­tur der Euro­päi­schen Uni­on für Asyl­fra­gen (EUAA) zusam­men­ar­bei­ten soll.

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901

tote Geflüch­te­te wur­den die­ses Jahr bis­lang allein an der tune­si­schen Küs­te geborgen

Hauptabfahrtsort Tunesien

Die Mehr­heit der Schutz­su­chen­den, die auf Lam­pe­du­sa ankom­men, etwa 51.000 Men­schen, leg­te in die­sem Jahr in Tune­si­en ab. 188 Kilo­me­ter sind es von der tune­si­schen Hafen­stadt Sfax über das Mit­tel­meer nach Lam­pe­du­sa, die Über­fahrt dau­ert in der Regel min­des­tens 24 Stun­den – wenn alles gut läuft. Damit wur­de Liby­en als Haupt­ab­fahrts­ort abge­löst (2023: mehr als 29.400 Men­schen). Das Tune­si­sche Forum für wirt­schaft­li­che und sozia­le Rech­te (FTDES) berich­tet, dass tune­si­sche Behör­den zwi­schen Janu­ar und Ende Juni zudem mehr als 30.000 Men­schen auf dem Meer abge­fan­gen haben. Bis zum 20. Juli 2023 hat die tune­si­sche Küs­ten­wa­che 901 Lei­chen vor ihrer Küs­te geborgen.

Obwohl der tune­si­schen Küs­ten­wa­che schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen vor­ge­wor­fen wer­den, unter­stützt die deut­sche Bun­des­re­gie­rung die tune­si­sche Küs­ten­wa­che, unter ande­rem mit Schu­lun­gen, Boo­ten und der Finan­zie­rung von Trainingszentren.

Tune­si­en befin­det sich in einer mas­si­ven wirt­schaft­li­chen Kri­se, zugleich schrei­tet die auto­ri­tä­re Wen­de unter Minis­ter­prä­si­dent Kaïs Saï­ed rasant vor­an. Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Amnes­ty Inter­na­tio­nal kri­ti­sie­ren eine Aus­höh­lung der Men­schen­rech­te, unter ande­rem durch will­kür­li­che Fest­nah­men von Oppo­si­tio­nel­len und Regierungskritiker*innen, Ein­schrän­kun­gen der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung und die Schwä­chung der Unab­hän­gig­keit der Justiz.

Überlebende berichten von massiver Gewalt in Tunesien

Seit Mona­ten eska­liert die Gewalt gegen Schwar­ze Men­schen in Tune­si­en. Auf Lam­pe­du­sa doku­men­tiert das Pro­jekt Mal­du­sa, eine Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on von PRO ASYL, Berich­te von Betrof­fe­nen. Die Über­le­ben­den berich­ten, aus ihren Woh­nun­gen ver­trie­ben und Opfer von Hetz­jag­den und gewalt­vol­len Über­grif­fen durch tune­si­sche Bürger*innen und Poli­zei­kräf­te gewor­den zu sein. Und sie erzäh­len von will­kür­li­chen Inhaf­tie­run­gen und Mas­sen-Abschie­bun­gen in die Wüste.

»Sie brach­ten uns bis zur Gren­ze zu Liby­en, dort waren so vie­le Men­schen: Frau­en, von denen eini­ge schwan­ger waren, Jugend­li­che und Män­ner. Es gelang mir, zu ent­kom­men und zurück auf die Stra­ße nach Sfax zu gelan­gen, zu Fuß.«

Rosette

Eine von ihnen ist Rosette: Wie Hun­der­te wei­te­re Men­schen wur­de sie von tune­si­schen Behör­den in die Wüs­te ver­schleppt und dort aus­ge­setzt – gemein­sam mit ihrem nur weni­ge Mona­te alten Baby: »Sie brach­ten uns bis zur Gren­ze zu Liby­en, dort waren so vie­le Men­schen: Frau­en, von denen eini­ge schwan­ger waren, Jugend­li­che und Män­ner. Es gelang mir, zu ent­kom­men und zurück auf die Stra­ße nach Sfax zu gelan­gen, zu Fuß. Kein Bus oder ande­res Trans­port­mit­tel woll­te uns mit­neh­men, weil wir Schwarz sind. Zum Glück konn­te ich eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit nach Gabes bekom­men und bin dann nach Sfax gelau­fen«, berich­te­te sie gegen­über Mal­du­sa.

Wäh­rend Rosette und ihr Kind es nach Ita­li­en geschafft haben, hat­ten ande­re Schutz­su­chen­de kein Glück: Am 19. Juli ver­öf­fent­lich­te ein liby­scher Armee­of­fi­zier das Bild der 30-jäh­ri­gen Dos­so Fati, die mit ihrer sechs­jäh­ri­gen Toch­ter Marie in der Wüs­te ver­durs­tet ist. Videobe­rich­te zei­gen, dass noch immer zahl­rei­che Men­schen ohne aus­rei­chend Nah­rung, Was­ser und medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung unter lebens­ge­fähr­li­chen Bedin­gun­gen in der Wüs­te an der tune­sisch-liby­schen Gren­ze aus­har­ren. Unter­des­sen wur­den wei­te­re Tote gefunden.

EU-Tunesien Deal als Blaupause für weitere Abkommen

Trotz schar­fer Kri­tik von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen hat die EU-Kom­mis­si­on am 16. Juli mit Tune­si­en eine Absichts­er­klä­rung für eine »umfas­sen­de stra­te­gi­sche Part­ner­schaft« zur Ver­hin­de­rung von Flucht über das Mit­tel­meer unter­zeich­net. Damit gibt die EU dem Auto­kra­ten Kaïs Saï­ed einen Frei­fahrt­schein für die Bru­ta­li­sie­rung sei­ner Migra­ti­ons­po­li­tik. Die Mit­glieds­staa­ten der EU müs­sen dem Deal noch zustim­men. Nach Ein­schät­zung des Euro­pean Coun­cil on Refu­gees and Exi­les (ECRE) ist das unver­bind­li­che »Memo­ran­dum of Under­stan­ding« typisch für Abkom­men im Bereich Migra­ti­on: Unde­mo­kra­tisch, geset­zes­wid­rig – und unwahr­schein­lich, dass es funk­tio­niert.

Nur eine Woche nach der Unter­zeich­nung lud Ita­li­ens Minis­ter­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni, Che­fin der post­fa­schis­ti­schen Fratel­li d’Italia, zu einer inter­na­tio­na­len Kon­fe­renz mit dem Titel »Rom-Pro­zess zur Bekämp­fung der Ursa­chen irre­gu­lä­rer Migra­ti­on« ein, an der unter ande­rem 13 Staats- und Regie­rungs­chefs aus dem Mit­tel­meer­raum teil­nah­men. Der EU-Tune­si­en Deal soll als Blau­pau­se für ähn­li­che Abkom­men mit zahl­rei­chen wei­te­ren Her­kunfts- und Tran­sit­län­dern von Flücht­lin­gen und Migrant*innen die­nen. Wie in Tunis ging es auch in Rom um Unter­stüt­zung bei der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung für eine Gegen­leis­tung: die Ver­hin­de­rung von Flucht nach Europa.

»Mittelmeer-Pakt« zur Fluchtabwehr

Gekom­men waren fast alle Mit­tel­meer-Anrai­ner­staa­ten sowie Ver­tre­ter der Golf­staa­ten. Auch EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en, EU-Rats­prä­si­dent Charles Michel, der Chef des UN-Flücht­lings­hilfs­werks (UNHCR), Filip­po Gran­di, sowie UN-Gene­ral­se­kre­tär Antó­nio Guter­res waren vor Ort. Kurz vor der Kon­fe­renz erklär­te die rechts­extre­me Melo­ni, ihr Ziel sei, »die ille­ga­le Ein­wan­de­rung ein für alle Mal zu unter­bin­den«. Ein Ver­spre­chen, das sie ihren Wähler*innen bereits im Wahl­kampf gemacht hatte.

Die Rede ist von einer Art »Mit­tel­meer-Pakt« mit Ägyp­ten, Liby­en, Alge­ri­en und Marok­ko. Vor­ge­se­hen ist unter ande­rem die Ein­rich­tung eines Fonds zur För­de­rung von Ent­wick­lungs­pro­jek­ten. Wei­te­re kon­kre­te Maß­nah­men wur­den nicht genannt. Vor­aus­sicht­lich im Okto­ber soll der »Rom-Pro­zess« fort­ge­führt wer­den – ver­mut­lich in Tunis. Laut EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en (CDU) kann der neue euro­päi­sche Asyl- und Migra­ti­ons­pakt noch in der lau­fen­den Legis­la­tur­pe­ri­ode ver­ab­schie­det werden.

Transnationaler Widerstand gegen die EU-Abschottungspolitik

Zeit­gleich zu der hoch­ran­gi­gen Kon­fe­renz tag­te ein von Refu­gees in Libya und Medi­ter­ra­nea Saving Humans orga­ni­sier­ter »Afri­ka Gegen­gip­fel« in Rom. Unter dem Mot­to »Kei­ne Deals auf unse­rer Haut« for­der­ten Geflüch­te­te und Aktivist*innen aus ver­schie­de­nen afri­ka­ni­schen Län­dern, die Finan­zie­rung von afri­ka­ni­schen Dik­ta­to­ren ein­zu­stel­len. »Wir kön­nen nicht über Ent­wick­lungs­ab­kom­men spre­chen, wenn die­se Abkom­men kei­ne Frei­zü­gig­keit vor­se­hen. Das zen­tra­le The­ma der Abkom­men zwi­schen Euro­pa und Afri­ka soll­te die Ach­tung der Men­schen­rech­te sein, aber das ist nicht der Fall«, so David Yam­bio, Spre­cher von Refu­gees in Libya.

»Das zen­tra­le The­ma der Abkom­men zwi­schen Euro­pa und Afri­ka soll­te die Ach­tung der Men­schen­rech­te sein, aber das ist nicht der Fall«

David Yam­bio, Refu­gees in Libya

Der ägyp­ti­sche Akti­vist Nou­reld­ein Kha­lil beton­te, dass die euro­päi­sche Poli­tik der Exter­na­li­sie­rung von Gren­zen in ganz Nord­afri­ka gemein­sa­me Merk­ma­le auf­wei­se: »Ägyp­ten und ande­re Län­der erhal­ten kla­re Anwei­sun­gen, ihre Gren­zen gewalt­sam zu kon­trol­lie­ren, was den Tod und das Ver­schwin­den von Tau­sen­den von Migrant*innen in der Wüs­te bedeu­tet. Die poli­ti­schen und han­dels­po­li­ti­schen Ver­trä­ge zwi­schen der EU und den von Dik­ta­to­ren regier­ten Län­dern brin­gen den Men­schen kei­nen Nutzen.«

Zivile Flotte gegen das Ertrinken-Lassen

Wäh­rend die EU-Staa­ten bemüht sind, die euro­päi­schen Gren­zen mit­hil­fe von schmut­zi­gen Deals immer wei­ter Rich­tung Glo­ba­len Süden zu ver­schie­ben und sich so ihrer Ver­ant­wor­tung zu ent­zie­hen, sind zwi­schen Janu­ar und Ende Juli 2023 mehr als 1.900 Migrant*innen im Mit­tel­meer umge­kom­men oder wer­den ver­misst – die Dun­kel­zif­fer ist sehr viel höher.

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Flücht­lings­boo­te im Hafen von Lam­pe­du­sa. Foto: PRO ASYL

Die zivi­le See­not­ret­tung ver­sucht, mit einer Flot­te von mitt­ler­wei­le 22 Schif­fen und drei Flug­zeu­gen tag­täg­lich, das Ret­tungs- und Ver­ant­wor­tungs­va­ku­um im Mit­tel­meer zu fül­len. Das Civil MRCC, eine Koor­di­nie­rungs- und Doku­men­ta­ti­ons­platt­form für Men­schen in See­not im zen­tra­len Mit­tel­meer, gibt an, dass seit Beginn des Jah­res 2023 6.134 Men­schen von der zivi­len Flot­te aus 99 Boo­ten in See­not geret­tet wor­den sind. Das trans­na­tio­na­le Netz­werk Alarm Pho­ne stand in der ers­ten Jah­res­hälf­te allein im zen­tra­len Mit­tel­meer mit 539 Boo­ten in Kontakt.

Italien beschränkt Seenotrettungskapazitäten in Einsatzgebieten

Die Arbeit von Aktivist*innen und NGOs im Mit­tel­meer-Raum ist alles ande­re als leicht, denn der zivi­len See­not­ret­tung wer­den vie­le Stei­ne in den Weg gelegt: So schreibt das ita­lie­ni­sche Pian­te­do­si Dekret von Dezem­ber 2022 Ret­tungs­schif­fen vor, dass sie nach einem Ret­tungs­ein­satz direkt einen vor­ge­ge­be­nen Hafen ansteu­ern müs­sen, statt wei­te­re Ret­tun­gen durch­zu­füh­ren. Zudem dür­fen Geret­te­te nicht auf ein ande­res Schiff wech­seln. Auf der Grund­la­ge die­ses Dekrets wur­den in Ita­li­en bereits meh­re­re Schif­fe fest­ge­setzt. Fünf NGOs haben nun Beschwer­de bei der EU-Kom­mis­si­on ein­ge­reicht, da sie das Dekret für EU-rechts­wid­rig halten.

Auch die seit Dezem­ber 2022 gän­gi­ge Pra­xis ita­lie­ni­scher Behör­den, weit ent­fern­te Häfen für die Aus­schif­fung  von Über­le­ben­den zuzu­wei­sen, etwa im Nor­den Ita­li­ens, ist eine Stra­te­gie, die See­not­ret­tung zu behin­dern, indem Ret­tungs­kräf­te gebun­den wer­den. Trotz die­ser Ver­su­che der Blo­cka­de von See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen kom­men wei­ter­hin Boo­te mit Schutz­su­chen­den in Ita­li­en an – auto­nom, mit Hil­fe von See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen oder Schif­fen der Küs­ten­wa­che, der Finanz­po­li­zei und der Carabinieri.

520

Men­schen hat Deutsch­land frei­wil­lig von Staa­ten an der EU-Außen­gren­ze über­nom­men. Zuge­sagt waren 3.500.

Kein solidarischer Verteilmechanismus

Einen fes­ten soli­da­ri­schen Ver­teil­me­cha­nis­mus inner­halb der EU für Men­schen, die aus See­not geret­tet wer­den, gibt es der­weil wei­ter­hin nicht. Im Juni 2022 hat­ten 21 Staa­ten beschlos­sen, zwi­schen Som­mer 2022 und Som­mer 2023 im Rah­men eines »frei­wil­li­gen Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus« ins­ge­samt 12.000 Men­schen von den Außen­gren­zen-Staa­ten auf­zu­neh­men (8.000 aus Ita­li­en), um die­se zu ent­las­ten. Deutsch­land hat­te zuge­sagt, 3.500 Men­schen zu über­neh­men, die anschlie­ßend das natio­na­le Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen sollen.

Doch Deutsch­land hält sei­ne Auf­nah­me­zu­sa­gen nicht ein: Bis Ende März 2023 waren nach Anga­ben des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums über den aktu­el­len Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus ledig­lich 520 Men­schen nach Deutsch­land gekom­men, davon 427 aus Italien.

Menschenwürdige Unterbringung sicherstellen

Dass die Bedin­gun­gen, unter denen Men­schen, die eine lebens­ge­fähr­li­che Flucht über das Mit­tel­meer hin­ter sich haben, auf Lam­pe­du­sa aus­har­ren müs­sen, unwür­dig sind, ist auch gericht­lich fest­ge­stellt. Im März 2023 ver­ur­teil­te der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) den Staat Ita­li­en zu Zah­lun­gen an die Klä­ger, weil er im Jahr 2017 tune­si­sche Geflüch­te­te auf der Insel Lam­pe­du­sa unwür­dig behan­delt hat­te. Die Bedin­gun­gen sei­en unzu­rei­chend gewe­sen und die Men­schen qua­si inhaf­tiert wor­den, ohne behörd­li­che Anord­nung oder zeit­li­che Begrenzung.

In einem ande­ren Fall hat­te der EGMR im Jahr 2015 mit Blick auf die Situa­ti­on auf Lam­pe­du­sa im Jahr 2011 bereits klar­ge­stellt, dass man­geln­de Vor­be­rei­tung und logis­ti­sche Pro­ble­me die Behör­den nicht von der Pflicht befrei­ten, die abso­lut gel­ten­de Men­schen­wür­de zu wah­ren. Dies soll­ten alle Mit­glieds­staa­ten der EU beher­zi­gen: Auf eine (ver­meint­li­che) Über­for­de­rung zu ver­wei­sen, ent­bin­det nicht von der Pflicht, Logis­tik und Orga­ni­sa­ti­on so zu ver­bes­sern, dass die Schutz­su­chen­den men­schen­wür­dig unter­ge­bracht und behan­delt wer­den und sie effek­ti­ven Rechts­schutz bekommen.

(hk)