03.07.2023
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Bild: Fotomontage

Schon seit der Entscheidung über die EU-Asylreform im Europäischen Rat versuchen Mitglieder der Bundesregierung, die Zustimmung zu rechtfertigen – und greifen dabei immer wieder auf Falschdarstellungen zurück. Unser Faktencheck.

Innen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser hat es getan, Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz, Jus­tiz­mi­nis­ter Mar­co Busch­mann und auch Außen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock – und kürz­lich kur­sier­te ein Papier, mut­maß­lich aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um, das sich erneut unrich­ti­ger und unkor­rek­ter Behaup­tun­gen bedient, um die GEAS-Reform schön­zu­re­den. Wir gehen auf eini­ge Fel­der ein:

Unsere Faktenchecks

Aus­sa­ge:

Politiker*innen aus Grü­nen und SPD recht­fer­ti­gen die Eini­gung auf Grenz­ver­fah­ren damit, »sie sei­en nur für Geflüch­te­te aus Her­kunfts­län­dern mit einer Schutz­quo­te von unter 20 %« gedacht. Für Men­schen bei­spiels­wei­se aus Syri­en und Afgha­ni­stan wür­den sie daher nicht gelten.

Rich­tig­stel­lung:

Das ver­kennt die Rea­li­tät! Auch bei Men­schen aus Syri­en, Afgha­ni­stan oder dem Iran wird es in der Pra­xis anders aus­se­hen. Denn Mit­glieds­staa­ten kön­nen ent­schei­den, das Instru­ment der Grenz­ver­fah­ren aus­zu­wei­ten – z.B. auf alle Per­so­nen, die über einen angeb­lich »siche­ren Dritt­staat« gekom­men sind. Das wird im Erwä­gungs­grund 40b der vor­ge­schla­ge­nen Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung genau so formuliert.

Grund­sätz­lich allen Geflüch­te­ten kann in Zukunft also an der Gren­ze ein Grenz­ver­fah­ren dro­hen, in dem es haupt­säch­lich über die Zuläs­sig­keit des Asyl­an­trags ent­schie­den wird – ohne inhalt­li­che Prü­fung ihrer Schutz­grün­de. Bei Syrer*innen und Afghan*innen kann das die Abschie­bung in die Tür­kei und von dort zurück in Krieg und Ver­fol­gung bedeu­ten – denn auch die Kri­te­ri­en, wann ein Land als »sicher« gilt, will die EU aufweichen.

In Grie­chen­land wird schon jetzt die Tür­kei als »sicher« dekla­riert, obwohl dort für nicht-euro­päi­sche Men­schen die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on nicht gilt. Ent­spre­chend wür­den de fac­to alle syri­schen und afgha­ni­schen Flücht­lin­ge in Grie­chen­land in die Grenz­ver­fah­ren kommen.

Und abge­se­hen davon stam­men auch aus Län­dern mit einer Schutz­quo­te unter 20 % vie­le Men­schen, deren Flucht­grün­de in einem ordent­li­chen Ver­fah­ren aner­kannt wer­den – bei 20 % ist das z.B. eine*r von fünf. Aber wie sol­len in Grenz­ver­fah­ren rechts­staat­li­che Ver­fah­ren durch­ge­führt wer­den, wenn Geflüch­te­te kei­nen Zugang zu Rechts­be­ra­tung und –ver­tre­tung bekom­men, wenn bei­spiels­wei­se in Grie­chen­land zum Teil auf 1000 asyl­su­chen­de Per­so­nen eine Anwäl­tin kommt?

Aus­sa­ge:

Die­se Reform ist not­wen­dig, weil sie »deut­sche Kom­mu­nen ent­las­ten« wird, sagt z.B. Jus­tiz­mi­nis­ter Mar­co Busch­mann (FDP)

Rich­tig­stel­lung:

Das stimmt nicht! Zuerst muss die Reform noch im Tri­log zwi­schen EU-Kom­mis­si­on, EU-Rat und EU-Par­la­ment final ver­han­delt und beschlos­sen wer­den. Dann gibt es eine Umset­zungs­frist, bevor die neu­en Rechts­ein­schrän­kun­gen über­haupt grei­fen. Es wer­den also bis zu drei Jah­re ver­ge­hen, bis die Reform wirk­sam in Kraft ist. Für die Kom­mu­nen macht das also aktu­ell kei­nen Unter­schied. Und ob das in Zukunft über­haupt der Fall sein wird, wis­sen wir gar nicht.

Die Beschlüs­se bedeu­ten auch nicht, dass alle Mit­glieds­staa­ten Flücht­lin­ge auf­neh­men und Geflüch­te­te daher in mehr Län­der ver­teilt wer­den, als jetzt. Gene­rell liegt die von der EU vor­ge­se­he­ne Min­dest­zahl bei der Ver­tei­lung von Geflüch­te­ten nur bei 30.000, für je 20.000 € Aus­gleichs­zah­lung kann ein Staat sich davon aber »frei­kau­fen«

Und dazu kommt: Wenn die Poli­tik die Asyl­ge­set­ze ver­schärft, wenn rech­te Rhe­to­rik auch ins Voka­bu­lar der Bun­des­re­gie­rung auf­ge­nom­men wird – dann zeigt die Geschich­te, dass das immer auch für mehr Ras­sis­mus in der Bevöl­ke­rung, mehr Anschlä­ge auf Flücht­lings­un­ter­künf­te, mehr rech­te Gewalt sorgt. Das gesell­schaft­li­che Kli­ma auch in den ein­zel­nen Kom­mu­nen wird ver­gif­tet und nicht ver­bes­sert, wenn Politiker*innen Geflüch­te­te durch ihre Wor­te und Taten gera­de­zu ent­mensch­li­chen. Wie es anders geht, hat die soli­da­ri­sche und gesell­schaft­lich breit getra­ge­ne Auf­nah­me von rund einer Mil­li­on Men­schen aus der Ukrai­ne gezeigt.

Aus­sa­ge:

»Wir wol­len durch gere­gel­te Migra­ti­on vor allem dafür sor­gen, dass das furcht­ba­re Ster­ben auf dem Mit­tel­meer end­lich auf­hört«, sagt Nan­cy Fae­ser nach der Eini­gung im EU-Rat.

Rich­tig­stel­lung:

Wir haben es gera­de mit der Kata­stro­phe vor Pylos auf tra­gischs­te Art und Wei­se vor Augen geführt bekom­men: Mehr Abschot­tung sorgt nicht dafür, dass Men­schen nicht mehr flie­hen – son­dern schlicht dafür, dass ihre Flucht­we­ge noch gefähr­li­cher wer­den. Auch die Rou­te z.B. von der Tür­kei über die Ägä­is auf die grie­chi­schen Inseln war schon lebens­ge­fähr­lich. Aber seit es dort gna­den­los zu Push­backs kommt und nach der Ankunft die Elend­sla­ger unter Haft­be­din­gun­gen war­ten, tre­ten Geflüch­te­te den viel wei­te­ren Weg nach Ita­li­en oder Mal­ta an. Mit töd­li­chen Folgen.

Auch die Kon­se­quenz der GEAS-Reform wer­den noch mehr Tote an unse­ren Gren­zen sein – auch auf dem Mit­tel­meer. Gegen das Ster­ben dort wür­de nur hel­fen, wenn es end­lich eine staat­lich orga­ni­sier­te See­not­ret­tung gäbe, die die Men­schen auch tat­säch­lich ret­tet und nicht ver­sucht, abzu­drän­gen oder zurückzuschieben.

Aus­sa­ge:

Anna­le­na Baer­bock sagt: »Mit der heu­ti­gen Eini­gung soll es nun erst­ma­lig eine (…) ver­bind­li­che Lösung für einen Soli­da­ri­täts- und Ver­teil­me­cha­nis­mus geben. Damit wer­den die Außen­grenz­staa­ten spür­bar ent­las­tet und Geflüch­te­te aus Syri­en, Irak, Afgha­ni­stan end­lich stär­ker in ande­re Mit­glieds­staa­ten ver­teilt, wozu bis­her nur ganz weni­ge bereit waren.«

Rich­tig­stel­lung:

Die viel zitier­te Soli­da­ri­tät unter den Mit­glieds­staa­ten sieht so aus: Wer kei­ne Flücht­lin­ge auf­neh­men möch­te, muss das auch wei­ter­hin nicht tun. Wie oben bereits genannt, ist die für die Ver­tei­lung vor­ge­se­he­ne Zahl mit 30.000 ohne­hin nied­rig – und die­se Län­der kön­nen statt­des­sen finan­zi­el­le Zah­lun­gen leis­ten. 20.000 € pro nicht auf­ge­nom­me­nem Flücht­ling. Die­se Gel­der kön­nen dann auch in die Flücht­lings­ab­wehr oder die Grenz­ab­schot­tung flie­ßen. Zum Bei­spiel im Rah­men des neu­en Deals nach Tune­si­en oder an die soge­nann­te liby­sche Küs­ten­wa­che, die Men­schen im euro­päi­schen Auf­trag in die Fol­ter­la­ger nach Liby­en zurückschleppt.

Zu behaup­ten, dass sich nun auch Län­der mit rech­ten Regie­run­gen wie Polen oder Ungarn an der soli­da­ri­schen Auf­nah­me von Geflüch­te­ten betei­li­gen wür­den, ist schlicht falsch.

Das Grund­pro­blem, dass Auf­wand und Ver­ant­wor­tung vor allem bei den Staa­ten an der EU-Außen­gren­ze lie­gen, bleibt auch mit den neu­en Rege­lun­gen bestehen. Mit den ver­pflich­ten­den Grenz­ver­fah­ren wird es sogar noch grö­ßer – und es wird abseh­bar dazu füh­ren, dass die­se Staa­ten wei­ter­hin auf ille­ga­le Push­backs set­zen, anstatt die Men­schen zu registrieren.

Die nicht funk­tio­nie­ren­de Dub­lin-Rege­lung soll sogar ver­schärft wer­den, zum Bei­spiel in dem der Rechts­schutz ein­ge­schränkt und auch unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge in das Erst­ein­rei­se­land zurück­ge­schickt wer­den sollen.

Aus­sa­ge:

Im mut­maß­li­chen BMI-Papier ist zu lesen »Das Außen­grenz­ver­fah­ren und das damit ein­her­ge­hen­de Prin­zip der Nicht­ein­rei­se kann nicht mit Haft gleich­ge­setzt wer­den. Haft bedeu­tet Frei­heits­ent­zie­hung […]. Im Rah­men des Außen­grenz­ver­fah­rens wird allein die Ein­rei­se in die Euro­päi­sche Uni­on ver­hin­dert. Die Aus­rei­se in Dritt­staa­ten bleibt wei­ter­hin möglich.«

Rich­tig­stel­lung:

Dass eine Per­son in einen Dritt­statt aus­rei­sen KÖNNTE (was nicht in jedem Fall zwin­gend auch mög­lich ist), bedeu­tet nicht, dass es kei­ne Haft dar­stellt – gera­de, wenn damit der Asyl­an­trag erlischt. Das hat auch der EuGH in einem Ver­fah­ren gegen die unga­ri­schen Tran­sit­zo­nen geur­teilt. Auch sieht die neue Auf­nah­me­richt­li­nie Haft expli­zit für Grenz­ver­fah­ren vor (Arti­kel 8 Abs. 3) und schließt lei­der auch Min­der­jäh­ri­ge – anders als vom BMI behaup­tet – nicht grund­sätz­lich aus (Art. 11).

Aus­sa­ge:

Das BMI schreibt in sei­nem Papier: »Auch bei Anwen­dung des Kon­zepts siche­rer Dritt­staa­ten erfolgt eine inhalt­li­che Prü­fung im Rah­men der Zuläs­sig­keit des Asylantrags.«

Rich­tig­stel­lung:

Die­se Behaup­tung ist fast schon per­fi­de, denn sie ent­hält bei genaue­rem Hin­se­hen exakt die Kri­tik an dem Ver­fah­ren: Die inhalt­li­che Prü­fung erfolgt aus­schließ­lich in Bezug auf die Zuläs­sig­keit. Und dort wird eben nicht unter­sucht, wel­cher Ver­fol­gung die Antrag­stel­len­den im Her­kunfts­land aus­ge­setzt sind, son­dern nur, ob sie nicht auf ihrer Flucht bereits anders­wo »sicher« waren. Schon jetzt erle­ben Syrer*innen in Grie­chen­land, die z.B. vor Ver­fol­gung durch Assad geflo­hen sind: Die Fra­gen in ihrem Ver­fah­ren dre­hen sich nur um ihre Situa­ti­on in der Türkei.

Aus­sa­ge:

Das BMI behaup­tet: »Um als siche­rer Dritt­staat ein­ge­stuft zu wer­den, muss ein Staat die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on rati­fi­ziert haben oder grund­le­gen­de Stan­dards des Flücht­lings­rechts garan­tie­ren, wie das Recht auf Ver­bleib in dem Dritt­staat, die Gewähr­leis­tung eines ange­mes­se­nen Lebens­stan­dards und der Zugang zu medi­zi­ni­scher Not­fall­ver­sor­gung und Grundschulbildung.«

Rich­tig­stel­lung:

Auch hier steckt der Teu­fel im Detail. Nor­ma­ler­wei­se müss­te nach „die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on rati­fi­ziert haben“ ein Punkt ste­hen. Das ist aber in Zukunft nicht mehr der Fall, die Kri­te­ri­en wer­den also sehr wohl auf­ge­weicht. Das „Recht auf Ver­bleib“ bedeu­tet dann weder einen Auf­ent­halts­sta­tus, Papie­re oder Fami­li­en­nach­zug (Art. 43a Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung), die Sicher­heit muss nur in Teil­ge­bie­ten des frag­li­chen Staa­tes und nicht für alle Per­so­nen­grup­pen gewähr­leis­tet sein (Art. 45 Abs. 1a Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung) und selbst vor­han­de­ne Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen im Dritt­staat gegen­über den Staats­an­ge­hö­ri­gen des Lan­des flie­ßen nicht in die Beur­tei­lung ein. Grund­la­ge soll viel­mehr sein: Die EU und der betref­fen­de Staat haben eine Ver­ein­ba­rung geschlos­sen – dann wird eine »Sicher­heit« ange­nom­men (Art. 45 Abs. 3 Asylverfahrensverordnung).

Schönrednerei nicht durchgehen lassen!

Nach der gan­zen zivil­ge­sell­schaft­li­chen und auch inner­par­tei­li­chen Kri­tik wol­len die Ampel-Par­tei­en die deut­sche Zustim­mung zu den Plä­nen offen­sicht­lich mit allen Mit­teln ver­tei­di­gen und schre­cken auch nicht vor Unrich­tig­kei­ten und Tat­sa­chen­ver­dre­hun­gen zurück, um den Pro­test ver­stum­men zu las­sen. Das dür­fen wir ihnen nicht durch­ge­hen las­sen – denn wenn die Plä­ne erst ein­mal beschlos­sen und umge­setzt sind, hilft auch kein »Oh, das hat­ten wir uns aber anders vor­ge­stellt« mehr. Dann sind Men­schen auf der Flucht ein­mal mehr grund­le­gen­der Rech­te beraubt wor­den, wahr­schein­lich unwiederbringlich.