04.06.2013
Image
Flüchtlingsboot in der Ägäis. Seit die Landgrenze zur Türkei u.a. mit EU-Mitteln dicht gemacht wurde, suchen mehr Flüchtlinge die gefährliche Route über das Mittelmeer, um nach Europa zu gelangen. Foto: Karl Kopp

Für die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Sommer 2007 vor der griechischen Insel Chios stehen heute drei tatverdächtige Beamte der Küstenwache vor Gericht.

Einer der betrof­fe­nen Flücht­lin­ge berich­te­te von sei­nem am 17./18. Juni 2007 erlit­te­nem Martyrium:

„Ich muss­te nie­der­knien. Ein Poli­zist stand hin­ter mir und zwei stan­den vor mir. Der hin­ter mir schlug mir gezielt und fest mit einem Stock von oben her­un­ter auf den Kopf… […] Ein ande­rer Poli­zist – ein Dicker – kam und sag­te mir ins Ohr: ‚Sag die Wahr­heit. Die­se bei­den Poli­zis­ten sind sehr gefähr­lich. Sie wer­den dich töten. […] Dann wur­de ein mit Was­ser gefüll­ter Plas­tik­ei­mer gebracht. Ich knie­te die gan­ze Zeit. ‚Siehst du das Was­ser?’ Mei­ne Arme wur­den von einem Poli­zis­ten hin­ter mei­nem Rücken zusammengepresst.“

Fol­ter durch Waterboarding

„Der ande­re drück­te mei­nen Kopf mit einem Nacken­griff nach unten ins Was­ser. Ich konn­te nicht mehr atmen. Ich wur­de erst nach eini­ger Zeit hoch­ge­zo­gen. […] Ich hat­te Todes­angst. […] Der Poli­zist hol­te dann eine Plas­tik­tü­te und zog sie mir über den Kopf. Er  press­te die­se Tüte mit einer Hand um mei­nen Hals zusam­men. Ich konn­te nicht mehr atmen. Die­se Pro­ze­dur mit der Plas­tik­tü­te haben sie mit mir drei­mal gemacht – und immer stell­ten sie mir die glei­chen Fra­gen. Ein Poli­zist mach­te dann ein Zei­chen mit der Hand: Es ist genug.“ (Quel­le: The truth may be bit­ter, but must be told, Okto­ber 2007)

Pro­zess gegen Tatverdächtige 

Heu­te, fast sechs Jah­re nach dem men­schen­ver­ach­ten­den Vor­fall, müs­sen sich vor dem Mari­n­ege­richt in Piräus/Athen drei Ange­hö­ri­ge einer Spe­zi­al­ein­heit ver­ant­wor­ten. Ihnen  wer­den Fol­ter durch Elek­tro­schocks, Water­boar­ding und ande­re schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen gegen zwei Flücht­lin­ge vor­ge­wor­fen. Die Ange­klag­ten sol­len die bei­den Flücht­lin­ge nach dem Auf­griff,  beim Trans­port in den Hafen von Chi­os auf einem Boot der Küs­ten­wa­che miss­han­delt haben.

Doku­men­ta­ti­on sorg­te für inter­na­tio­na­les Aufsehen

Der Vor­fall wur­de in dem Bericht „The Truth may­be bit­ter“ von PRO ASYL und der Anwäl­te für die Rech­te der Flücht­lin­ge und Migran­tIn­nen (Athen) doku­men­tiert. Die Doku­men­ta­ti­on wur­de im Okto­ber 2007 ver­öf­fent­licht und sorg­te für inter­na­tio­na­les Auf­se­hen. Die Tat­sa­che, dass über­haupt Ankla­ge erho­ben wur­de, ist für grie­chi­sche Ver­hält­nis­se bemer­kens­wert. Schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen fin­den in einem poli­ti­schen Kli­ma statt, in dem die Täter in Uni­form in der Regel unbe­hel­ligt bleiben.

Pro­zess in Athen von grund­sätz­li­cher Bedeutung

Alle Aspek­te des Berichts „The truth may be bit­ter“ gel­ten mitt­ler­wei­le als all­ge­mei­nes Wis­sen über die kata­stro­pha­le Situa­ti­on für Schutz­su­chen­de in Grie­chen­land, bestä­tigt durch Grund­satz­ur­tei­le des Men­schen­rechts­ge­richts­ho­fes in Straß­burg (Janu­ar 2011) und des Euro­päi­schen Gerichts­ho­fes in Luxem­burg (Dezem­ber 2011). Der gemein­sa­me Bericht vom Okto­ber 2007 war der Ein­stieg in eine euro­päi­sche Aus­ein­an­der­set­zung, der de fac­to  zu einem euro­pa­wei­ten Abschie­bungs­stopp  nach Grie­chen­land im Janu­ar 2011 führte.

Die juris­ti­sche Auf­ar­bei­tung des soge­nann­ten Chi­os- Fal­les ist aus der Sicht von PRO ASYL von grund­sätz­li­cher Bedeu­tung. Fol­ter und  Miss­hand­lun­gen dür­fen nicht  straf­frei blei­ben. PRO ASYL hat aus sei­nem Rechts­hilfs­fonds die anwalt­li­che Ver­tre­tung der Opfer seit Som­mer 2007 finanziert.

PRO-ASYL-Berich­te zu Griechenland:

The truth may be bit­ter, but it must be told.

Walls of Shame – the detenti­on Cen­ters of Evros

I came here for peace – sys­te­ma­ti­sche Poli­zei­ge­walt gegen Flücht­lin­ge in Patras

 Euro­päi­scher Men­schen­rechts­ge­richts­hof ver­ur­teilt Ita­li­en und Grie­chen­land (22.10.14)

 Grie­chen­land sagt Unter­su­chung ille­ga­ler Push-Backs zu  (20.01.14)

 Spä­te Gerech­tig­keit – Mit­glie­der der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che wegen Fol­ter ver­ur­teilt (28.11.13)

 Stopp der Über­stel­lun­gen nach Grie­chen­land ver­län­gert – Situa­ti­on nach wie vor kata­stro­phal (17.12.12)

 „Scho­ckie­ren­de Orte“: UN-Son­der­be­richt­erstat­ter besucht grie­chi­sche Flücht­lings-Haft­la­ger (05.12.12)

 Zum frak­ti­ons­über­grei­fen­den Antrag zur Flücht­lings­si­tua­ti­on in Grie­chen­land (14.12.11)