02.04.2014
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Elisabeth Ngari ist Mitbegründerin der Gruppe Women in Exile. Sie kennt das Leben in isolierten Sammelunterkünften aus eigener Erfahrung. Foto: Hanna Schroeder

Rechte Scharfmacher machen mobil gegen Flüchtlinge und Migrant_innen, "besorgte Bürger" protestieren gegen Unterkünfte für Asylsuchende. Aber vielerorts gibt es Menschen, die rassistische und rechtsextremistische Hetze bekämpfen und Flüchtlinge unterstützen. Das Interview bildet den Auftakt zu unserer News-Serie über gelebte Willkommenskultur.

Eli­sa­beth Nga­ri flüch­te­te 1996 aus Kenia nach Deutsch­land und leb­te sie­ben Jah­re in Sam­mel­un­ter­künf­ten in Bran­den­burg. Sie grün­de­te mit ande­ren weib­li­chen Flücht­lin­gen die Grup­pe Women in Exi­le, um auf die oft beson­ders pre­kä­re Situa­ti­on von geflüch­te­ten Frau­en auf­merk­sam zu machen, und arbei­tet der­zeit in einem Qua­li­fi­zie­rungs­pro­jekt für Migrant/innen und Flücht­lin­ge im Pro­jekt­haus Pots­dam. Simo­ne Rafa­el sprach mit ihr über die Schwie­rig­kei­ten des Ankommens.* 

Sie sind selbst als Flücht­ling nach Bran­den­burg gekom­men. Wie war das Ankom­men für Sie? Hat­ten Sie das Gefühl, dass sie an einen guten, siche­ren Ort kommen?

Nein, lei­der über­haupt nicht. Ich bin in Frank­furt am Main ange­kom­men und von dort nach Eisen­hüt­ten­stadt gebracht wor­den. Über­all wur­den unglaub­lich vie­le Fra­gen gestellt, immer und immer wie­der. Ich fühl­te mich eher wie eine Ver­bre­che­rin als wie eine Asyl­su­chen­de. Dazu fehl­ten jeg­li­che Infor­ma­tio­nen: Bin ich jetzt wirk­lich ange­kom­men? Immer wie­der sag­ten mir die Beam­ten: Du kannst jeder­zeit wie­der nach Hau­se geschickt wer­den! Wie soll­te ich mich da sicher fühlen?

Was kon­kret mach­te das Ankom­men schwer? 

Es war nie­mand da, der ein­mal gesagt hät­te: Hier gibt es einen guten Anwalt. Hier gibt es Men­schen, die Dir hel­fen kön­nen, Dich bera­ten kön­nen. Ich habe das alles her­aus­ge­fun­den, aber viel spä­ter und ganz allein. Des­halb enga­gie­re ich mich heu­te, um mein Wis­sen mit ande­ren Flücht­lin­gen zu tei­len. Ich möch­te ihnen hel­fen, schnel­ler vor­an­zu­kom­men, als ich es konnte. 

Wel­che Will­kom­mens­kul­tur wür­den Sie sich wün­schen? Wie könn­te ein Ankom­men für Geflüch­te­te ein­fa­cher werden?

Zu aller­erst: Infor­ma­tio­nen in ver­schie­de­nen Spra­chen, wie es jetzt wei­ter­geht, oder auch über Sprach­kur­se oder ähn­li­ches, was der Inte­gra­ti­on dient! Ein Grund­pro­blem ist, dass die Flücht­lin­ge in Hei­men unter­ge­bracht wer­den, abge­trennt von der Wohn­be­völ­ke­rung. Das gibt den Geflüch­te­ten das Gefühl, nicht will­kom­men zu sein, und macht es ihnen sehr schwer, mit Men­schen in Kon­takt zu kommen.

Ande­rer­seits scheint es mir auch der Bevöl­ke­rung die Vor­stel­lung  zu ver­mit­teln: »Das kön­nen doch kei­ne nor­ma­len Men­schen sein. Die müs­sen doch irgend­was gemacht haben, dass sie da in so Hei­me vor der Stadt gebracht wer­den.« Ich wür­de mir also wün­schen, dass Men­schen sozu­sa­gen inner­halb der Gesell­schaft unter­ge­bracht wer­den, in Woh­nun­gen, wo sie Freun­de fin­den oder ein­mal mit Nach­barn reden können. 

Wie erle­ben Flücht­lin­ge rechts­extre­me Demons­tra­tio­nen vor den Heimen?

Das Gefühl ist nack­te Angst. Alle Flücht­lin­ge ken­nen die Geschich­ten von bren­nen­den Asyl­be­wer­ber­hei­men, vie­le machen Gewalt­er­fah­run­gen. Des­halb ver­las­sen Flücht­lin­ge oft nur in Grup­pen die Hei­me, weil sie Angst haben. Das beschränkt einen natür­lich auch wie­der furcht­bar in der per­sön­li­chen Ent­fal­tung und Lebens­füh­rung. Auch das macht Men­schen depres­siv. Aller­dings gibt es im Moment posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen. An Orten wie Ber­lin-Hel­lers­dorf oder Wand­litz waren ja in die­sem Jahr grö­ße­re Tei­le der Zivil­ge­sell­schaft bereit, sich zu orga­ni­sie­ren, um sich den rechts­extre­men Demons­tra­tio­nen ent­ge­gen zu stellen.

Gibt es im länd­li­chen Raum beson­de­re Herausforderungen? 

Ich hat­te immer den Ein­druck, dass die Men­schen in Bran­den­burg, die selbst kei­nen Job haben und wenig Per­spek­ti­ve sehen, beson­ders miss­güns­tig auf Flücht­lin­ge schau­en, die ihnen etwas weg­zu­neh­men scheinen.

Was könn­te die Situa­ti­on bes­ser machen? 

Wie schon gesagt: Die Geset­ze müs­sen geän­dert wer­den. Flücht­lin­ge soll­ten leben kön­nen, wo sie wol­len, sie soll­ten arbei­ten dür­fen und so in der Gesell­schaft ankom­men kön­nen! Kon­kret sind Infor­ma­tio­nen hilf­reich: Wo gibt es kos­ten­lo­se Sprach­kur­se? Wo kann ich etwas Sinn­vol­les tun? Das ist ja für vie­le ein Pro­blem, das untä­ti­ge Herumsitzen.

Ich enga­gie­re mich für Orga­ni­sa­tio­nen, die Kon­kre­tes zu ver­bes­sern ver­su­chen: Etwa hat die selbst­or­ga­ni­sier­te Grup­pe „Refu­gee Eman­ci­pa­ti­on“ Inter­net­ca­fés in Flücht­lings­hei­men auf­ge­macht, damit die Men­schen Zugang zu Infor­ma­tio­nen und Kon­takt zu ande­ren Men­schen haben kön­nen. Übri­gens ist auch die­se Arbeit frus­trie­rend, wenn etwa die Heim­lei­ter kom­men und sagen, sie möch­ten kein Inter­net­ca­fé, weil sie den­ken, dass dann die Flücht­lin­ge um die Com­pu­ter strei­ten! Vie­le Heim­lei­ter möch­ten auch nicht, dass wir Semi­na­re in den Hei­men orga­ni­sie­ren – weil dabei die Miss­stän­de in ihrer eige­nen Ein­rich­tung zur Spra­che kom­men könn­ten. Wir bie­ten die Semi­na­re dann an ande­rer Stel­le an – und freu­en uns, dass Flücht­lin­ge aus ganz Bran­den­burg zu uns nach Pots­dam kom­men, um sich zu vernetzen.

Und was wün­schen Sie sich von der deut­schen Wohnbevölkerung? 

Ich habe immer den Ein­druck, dass es die meis­ten Deut­schen nicht inter­es­siert, wie es Flücht­lin­gen geht. Höchs­tens, wenn etwas Schlim­mes pas­siert, sind kurz ein paar Men­schen da. Wenn Nazis vor dem Heim ste­hen, kom­men auch Deut­sche, die dage­gen pro­tes­tie­ren. Aber auch die sind hin­ter­her wie­der weg. Ich wür­de den Men­schen gern mehr Infor­ma­tio­nen über das Leben von Flücht­lin­gen geben. Wir sind hier und möch­ten uns ein­brin­gen! Wir möch­ten ins Gespräch kom­men. Wenn es Tref­fen gibt, was man gegen Nazi-Demons­tra­tio­nen vor Hei­men tun kann, wie man die Situa­ti­on von Flücht­lin­gen ver­bes­sern kann – ladet uns doch mit ein!

*Das Inter­view haben wir der von PRO ASYL und der Ama­deu-Anto­nio-Stif­tung gemein­sam her­aus­ge­ge­be­nen Bro­schü­re Refu­gees Wel­co­me – Gemein­sam Will­kom­mens­kul­tur gestal­ten ent­nom­men und hier leicht gekürzt wiedergegeben. 

Bei­spie­le von geleb­ter Willkommenskultur

Gemein­sam gegen Rassismus! 

PRO ASYL ruft dazu auf, ras­sis­ti­schen Vor­ur­tei­len ent­schie­den zu wider­spre­chen, Flücht­lin­ge will­kom­men zu hei­ßen und sich rech­ten Het­zern in den Weg zu stellen.

Bit­te infor­mie­ren Sie sich unter fol­gen­den Links:

 Gemein­sam gegen Ras­sis­mus! (20.03.14)

 „Frau­en sind nicht in Deutsch­land, um zu essen und zu schla­fen“  (16.07.14)

 Will­kom­mens­kul­tur sel­ber machen! (05.03.14)

 Neue Bro­schü­re klärt über rech­te Het­ze auf (04.03.14)

 Neue Bro­schü­re: Fak­ten und Argu­men­te gegen Vor­ur­tei­le (04.03.14)