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Völkerrechtswidrige Pushbacks in Melilla: Strafanzeige gegen Spanien
In ihrer Anzeige beklagt die Menschenrechtsorganisation Prodein insbesondere die wiederholte völkerrechtswidrige Zurückweisung von Flüchtlingen nach Marokko, ohne dass ihnen in der spanischen Enklave Zugang zu einem Asylverfahren gewährt wurde. Hierfür agieren inzwischen auch marokkanische Sicherheitskräfte auf spanischem Gebiet.
Gestützt wird die Anzeige gegen den spanischen Regierungsabgeordneten in Melilla und den Chef der Guardia Civil unter anderem durch mehrere Videoaufnahmen von Prodein. Diese zeigen unter anderem wie Menschen durch Tore im Zaun der Grenzanlagen den marokkanischen Sicherheitskräften übergeben oder auch wie sie beim Versuch, die Enklaven schwimmend zu erreichen, von Booten der spanischen Guardia Civil noch im Wasser zurück nach Marokko gezogen werden. Diese sogenannten „heißen“ – also umgehenden – Abschiebungen sind nach internationalem Recht nicht erlaubt.
Marokkanische Sicherheitskräfte auf spanischem Gebiet
Für besonderes Aufsehen sorgten die Geschehnisse am 28. März. Nach Informationen des spanischen Innenministeriums versuchten an diesem Tag, aufgeteilt in drei Gruppen, ca. 800 Menschen die Grenzzäune zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla zu überwinden. Nur sechs von ihnen sollen offiziellen Angaben zufolge nach Melilla gelangt sein. Ein wenige Tage später von Prodein veröffentlichtes Video zeigt jedoch, dass es deutlich mehr Menschen auf spanisches Gebiet schafften.
Doch eine Möglichkeit, Asyl zu beantragen, bekamen sie nicht. Stattdessen wurden sie umgehend abgeschoben: In der Aufnahme von Prodein ist zum ersten Mal zu sehen, wie marokkanische paramilitärische Einheiten die spanischen Grenzanlagen betreten, Flüchtlinge, die sich zwischen und auf den Grenzzäunen befinden, festnehmen und durch ein Tor zurück auf marokkanisches Gebiet bringen – nach Informationen von Prodein kein Einzelfall.
Spanische Behörden definieren Territorium neu
An der Aufklärung solcher Vorfälle scheint es auf staatlicher Seite kein Interesse zu geben. Die Videoaufnahmen der Überwachungskameras im Grenzgebiet hält die spanische Regierung offenbar weiterhin unter Verschluss. Angesprochen auf die Massenrückführungen definieren spanische Behörden das spanische Territorium teilweise neu: „Erst wer beide Grenzzäune überwunden hat, ist in Spanien“ so die Aussage des regierenden Bürgermeisters von Melilla, Juan José Imbroda.
Ähnlich äußerte sich auch der Vertreter des Innenministeriums in Melilla, Abdelmalik el Barkani. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy stellte fest, dass illegale Einwanderung „inakzeptabel“ sei und kündigte an, diese weiterhin „sehr entschlossen“ zu bekämpfen. Die Regierung plant, die Grenzanlagen weiter aus zu bauen.
Organisationen fordern Untersuchung der Vorfälle
Unterdessen veröffentlichte auch eine Gruppe weiterer spanischer Organisationen einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen der beiden spanischen Enklaven. In diesem werfen die Organisationen den Behörden eine Verletzung der Europäischen Standards, der Genfer Flüchtlingskonventionen und der Menschenrechte vor. Die Organisationen fordern die Europäische Kommission auf, die beschriebenen Vorwürfe zu untersuchen und ggf. ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien einzuleiten.
Die Praxis spanischer Behörden, Menschen, die sich auf der Flucht befinden, völkerrechtswidrig zurück zu schieben ist nicht neu. Erst gestern wurde wieder ein Video veröffentlicht, welches spanische Sicherheitskräfte letzten Donnerstag bei einer Zurückweisung von (zum Teil verletzten) Flüchtlingen vom spanischen Territorium nach Marokko zeigt.
Neue Qualität der illegalen Zurückführung
Doch mit der Festnahme von geflüchteten Menschen durch marokkanische Sicherheitskräfte auf spanischem Hoheitsgebiet erreicht die nach internationalem Recht illegale Zurückführung von Flüchtlingen an der spanischen Außengrenze eine neue Qualität.
Eine Entschärfung der Situation in den spanischen Enklaven zeichnet sich nicht ab. Das Auffanglager in Melilla platzt aus allen Nähten. Obwohl es nur für 480 Personen ausgelegt ist, werden dort zurzeit mehr als 1800 Menschen untergebracht. Die Regierung bringt nur die wenigsten Flüchtlinge auf die iberische Halbinsel.
Seit Anfang des Jahres schafften es offiziellen Angaben zufolge über 1000 Menschen, die Grenzanlagen zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Dass in letzter Zeit mehr Menschen versuchen über die Grenzanlagen der spanischen Enklaven zu gelangen, könnte sich schon daraus erklären, dass mit zunehmender Abriegelung der europäischen Außengrenzen nur wenige Engstellen bleiben, an denen Flüchtlinge versuchen, nach Europa zu gelangen.
Medienberichte: Taz (1.4.); Taz (6.2.); The Wall Street Journal (12.4.); The Wall Street Journal (4.4.); El País; El Faro; Deutschlandfunk; Mugak; ABC; Wochenblatt; Süddeutsche; Tagesanzeiger
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