12.10.2022

Mehr als 50 Orga­ni­sa­tio­nen for­dern den Bun­des­tag sowie die Bundesminister*innen Nan­cy Fae­ser, Dr. Mar­co Busch­mann und Lisa Paus auf, Men­schen, die sich in Abschie­be­haft befin­den, Anwält*innen zur Sei­te zu stel­len und das gesetz­lich vor­zu­schrei­ben. Dass dies bis­lang nicht ver­pflich­tend ist, sei „eines Rechts­staa­tes unwür­dig“, so die Unter­zeich­ner eines Positionspapiers.

Immer wie­der lan­den in Deutsch­land Men­schen in Abschie­be­haft und wer­den somit ihrer Frei­heit beraubt, ohne dass sie sich dage­gen weh­ren kön­nen. Mehr als fünf­zig Orga­ni­sa­tio­nen aus dem gesam­ten Bun­des­ge­biet kri­ti­sie­ren die­se Pra­xis in einem Posi­ti­ons­pa­pier scharf. Sie for­dern das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um, das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um, das Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­um sowie Mit­glie­der aus­ge­wähl­ter Bun­des­tags­aus­schüs­se auf, ana­log zur Pflicht­ver­tei­di­gung im Straf­pro­zess auch eine Pflicht­bei­ord­nung von Anwält*innen in Ver­fah­ren zur Anord­nung von Abschie­bungs­haft gesetz­lich ein­zu­füh­ren. Eine ent­spre­chen­de Mög­lich­keit bie­tet das ange­kün­dig­te neue Geset­zes­pa­ket zum Migrationsrecht.

Die Orga­ni­sa­tio­nen begrün­den ihre For­de­rung damit, dass es in der Abschie­bungs­haft immer wie­der zu schwer­wie­gen­den Ver­fah­rens­feh­lern kommt, die meist erst durch anwalt­li­che Unter­stüt­zung kor­ri­giert wer­den kön­nen. Die Betrof­fe­nen ken­nen sich mit dem in Deutsch­land gel­ten­den Rechts­sys­tem nicht hin­rei­chend aus, um sich wirk­sam gegen die Anord­nung oder Ver­län­ge­rung der Haft weh­ren zu kön­nen. „Gegen­über der die Haft bean­tra­gen­den Behör­de sind die Betrof­fe­nen somit offen­sicht­lich in einer unter­le­ge­nen Posi­ti­on“, heißt es in dem Papier. „Ohne eine anwalt­li­che Ver­tre­tung sehen sie sich hilf­los einem Ver­fah­ren aus­ge­setzt, das sie nicht ver­ste­hen und des­halb auch nicht beein­flus­sen kön­nen, als des­sen Ergeb­nis die Men­schen aber ihre Frei­heit ver­lie­ren. (…) Gefan­ge­ne, die eine*n Anwält*in nicht bezah­len kön­nen, sind somit nicht in der Lage, ihre Rech­te effek­tiv wahr­zu­neh­men.* Das ist eines Rechts­staats nicht wür­dig und soll­te unbe­dingt geän­dert werden.“

Zu den Unter­zeich­nern gehö­ren unter ande­rem PRO ASYL, Amnes­ty Inter­na­tio­nal, Dia­ko­nie, Cari­tas, Jesui­ten-Flücht­lings­dienst, terre des hom­mes, der Deut­sche Anwalt­ver­ein, der Repu­bli­ka­ni­sche Anwalt­ver­ein und die Neue Richtervereinigung.

Men­schen wer­den inhaf­tiert, ohne dass sie eine Straf­tat began­gen haben 

In der Abschie­bungs­haft wird einer Per­son die Frei­heit ent­zo­gen, ohne dass sie eine Straf­tat began­gen hat. Die Haft sichert ledig­lich die Abschie­bung, also den Voll­zug eines Ver­wal­tungs­ak­tes. Abschie­bungs­haft löst gro­ßes Leid aus: Je län­ger die Men­schen sich in einem sol­chen Gewahr­sam befin­den, umso grö­ßer wird der see­li­sche und kör­per­li­che Scha­den. Sind Kin­der invol­viert, weil etwa der Vater oder die Mut­ter in Abschie­bungs­haft genom­men wur­de, kann dies zudem lang­fris­ti­ge Fol­gen für das kör­per­li­che und see­li­sche Wohl der Kin­der bedeu­ten. Auch wer­den immer wie­der Min­der­jäh­ri­ge rechts­wid­rig inhaf­tiert, weil Alters­ein­schät­zun­gen nicht gewis­sen­haft vor­ge­nom­men wer­den und in Fol­ge feh­ler­haft sind.

Mit die­sem Frei­heits­ent­zug wird also mas­siv in die Grund­rech­te der betrof­fe­nen Per­son ein­ge­grif­fen. In unse­rem Rechts­staat wer­den des­halb an einen Haft­be­schluss hohe for­ma­le und inhalt­li­che Anfor­de­run­gen gestellt. Die­sen Anfor­de­run­gen wird die Pra­xis in der Abschie­bungs­haft häu­fig nicht gerecht; vali­de Schät­zun­gen gehen von rund fünf­zig Pro­zent feh­ler­haf­ten Inhaf­tie­run­gen aus. Bei einer der­art hohen Feh­ler­quo­te dro­hen rechts­staat­li­che Grund­sät­ze ihre gene­rel­le Gül­tig­keit zu ver­lie­ren. Eine Ursa­che für die Feh­ler­quo­te ist, dass Betrof­fe­ne, die oft­mals mit­tel­los sind und denen es an Sys­tem- und Sprach­kennt­nis­sen fehlt, ohne pro­fes­sio­nel­len Bei­stand vor Gericht kei­ne Chan­ce haben, ihre Grund­rech­te zu ver­tei­di­gen. „Die Frei­heits­ent­zie­hung stellt das schärfs­te Schwert unse­res Rechts­sys­tems dar“, fas­sen die Unter­zeich­ner zusam­men. Um den Rechts­staat durch­zu­set­zen und das Leid der Betrof­fe­nen zu min­dern, braucht es des­halb eine Pflicht­bei­ord­nung von Anwält*innen.

Hin­ter­grund:

*Mit­tel­lo­se Gefan­ge­ne kön­nen zwar bean­tra­gen, dass der Staat ihre Anwalts­kos­ten über­nimmt (soge­nann­te Ver­fah­rens­kos­ten­hil­fe). Eine sol­che Ver­fah­rens­kos­ten­hil­fe wird aber nur dann gewährt, wenn der Antrag oder die Beschwer­de nach Ansicht des Gerichts Aus­sicht auf Erfolg hat. Das heißt, ein*e Anwält*in muss erst ein­mal detail­lier­te Begrün­dun­gen schrei­ben, ohne sicher sein zu kön­nen, jemals hier­für bezahlt zu wer­den. Das Nach­se­hen haben dem­nach Abschie­be­häft­lin­ge mit beschei­de­nen finan­zi­el­len Mitteln.

Rechts­an­walt Peter Fahl­busch aus Han­no­ver erklärt: „Seit 2001 habe ich bun­des­weit 2.282 Men­schen in Abschie­bungs­haft­ver­fah­ren ver­tre­ten. 1.197 die­ser Men­schen (d.h. 52,5 Pro­zent) wur­den nach den hier vor­lie­gen­den rechts­kräf­ti­gen Ent­schei­dun­gen rechts­wid­rig inhaf­tiert (…). Zusam­men­ge­zählt kom­men auf die 1.197 Gefan­ge­nen 31.235 rechts­wid­ri­ge Haft­ta­ge, das sind gut 85 Jah­re rechts­wid­ri­ge Haft.“ Über die fata­len Feh­ler, die in der Abschie­be­haft gesche­hen, spricht RA Fahl­busch im Inter­view mit PRO ASYL sowie im Pod­cast (Fol­ge 3).

Zum Posi­ti­ons­pa­pier geht es hier.

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