23.09.2022

Seit Macht­ha­ber Putin in Russ­land die Teil­mo­bi­li­sie­rung für den Krieg gegen die Ukrai­ne aus­ge­ru­fen hat, mel­den sich minüt­lich Män­ner und Frau­en bei PRO ASYL, die aus Angst vor dem Kriegs­dienst und vor staat­li­chen Repres­sio­nen aus dem Land flie­hen wol­len. Ange­sichts geschlos­se­ner Flucht­we­ge kann ihnen aktu­ell kaum gehol­fen werden.

Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL, kri­ti­siert die in Deutsch­land geführ­te Dis­kus­si­on über Schutz für rus­si­sche Deser­teu­re. „Ent­schei­dend ist jetzt, Wege zu öff­nen, wie die­se Men­schen euro­päi­sches oder deut­sches Hoheits­ge­biet errei­chen kön­nen. Asyl kann nur bekom­men, wer deut­schen oder euro­päi­schen Boden betre­ten hat. Die poli­tisch geführ­te Debat­te ist eine Schein­de­bat­te, da genau die­se Fra­ge des Zugangs zu Asyl nicht the­ma­ti­siert wird. Solan­ge die EU-Staa­ten her­me­tisch ihre Gren­zen abrie­geln und mit Push­backs den Zugang zum EU-Gebiet ver­hin­dern, haben auch die angeb­lich erwünsch­ten Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer und Deser­teu­re kei­ne Chan­ce. Vie­le Men­schen flüch­ten in Staa­ten wie die Tür­kei oder in ande­re Län­der, die sie visum­frei errei­chen kön­nen. Die Mög­lich­keit, mit Tou­ris­ten­vi­sa ins EU-Gebiet ein­zu­rei­sen, haben die EU-Staa­ten ihnen vor kur­zem versperrt.“

Die Ent­schei­dung, Tou­ris­ten­vi­sa in den Schen­gen­raum aus­zu­set­zen, war ein Feh­ler; sie muss auf EU-Ebe­ne kor­ri­giert wer­den. Die EU-Gren­zen müs­sen für schutz­su­chen­de Men­schen geöff­net wer­den. Wenn Deutsch­land selbst Oppo­si­tio­nel­le auf­neh­men will, muss ein Ver­fah­ren aus­ge­baut wer­den, das huma­ni­tä­re Visa (§22 Absatz Satz 2 Auf­ent­halts­ge­setz) ermög­licht. Die Ertei­lung von huma­ni­tä­ren Visa setzt vor­aus, dass im Aus­wär­ti­gen Amt (AA) schnell und zügig Anträ­ge bear­bei­tet und geprüft wer­den. Ent­schei­dend ist dann, dass das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) Anträ­ge auf Ertei­lung von huma­ni­tä­ren Visa eben­falls schnell zustimmt. In den letz­ten Wochen und Mona­ten wur­den jedoch Anträ­ge von Oppo­si­tio­nel­len aus Staa­ten wie Russ­land schlep­pend bear­bei­tet, so die Recher­che der Tagesschau.

Es fehlt das ent­spre­chen­de Per­so­nal im AA und im BMI und vor allem der poli­ti­sche Wil­le, durch Ertei­lung von huma­ni­tä­ren Visa Ver­folg­ten die Ein­rei­se zu ermög­li­chen. „Es ist gut, dass Frau Fae­ser klar­stellt, dass rus­si­sche Oppo­si­tio­nel­le in Deutsch­land Asyl bekom­men. Sie muss nun jedoch auch den Weg frei machen, damit die­se Men­schen durch huma­ni­tä­re Visa deut­sches Staats­ge­biet errei­chen kön­nen“, so Gün­ter Burk­hardt. PRO ASYL appel­liert wei­ter an Jus­tiz­mi­nis­ter Busch­mann: „Den Wor­ten müs­sen nun Taten fol­gen. Stim­men aus der FDP für Asyl waren in den letz­ten Wochen sehr rar.“ Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Mar­co Busch­mann erklär­te: „Wer Putins Weg hasst und die libe­ra­le Demo­kra­tie liebt, ist uns in Deutsch­land herz­lich willkommen.“

Schutz muss auch für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer gelten!

Die jetzt beschlos­se­ne Teil­mo­bil­ma­chung in Russ­land betrifft im Wort­laut alle Reser­vis­ten. Medi­en­be­rich­ten zufol­ge erhal­ten Män­ner, die bei Anti-Kriegs­pro­tes­ten inhaf­tiert wur­den, gezielt Ein­be­ru­fungs­be­feh­le. Soll­ten sie tat­säch­lich die Flucht nach Deutsch­land schaf­fen, wäre ihr Schutz aber bis­lang nicht garan­tiert. Denn die Bun­des­re­gie­rung bezieht sich in ihren Aus­sa­gen nur auf Deser­teu­re, nicht aber auf Per­so­nen, die sich dem Wehr­dienst ent­zie­hen wol­len (sie­he Aus­künf­te vom BMI vom Mai 2022). Auch der Kriegs­dienst­ent­zug muss aus Sicht von PRO ASYL aber klar als oppo­si­tio­nel­le Tätig­keit und als Grund für eine Flücht­lings­an­er­ken­nung gese­hen werden.

Bis­lang sol­len nur Deser­teu­re und Oppo­si­tio­nel­le aus Russ­land geschützt wer­den. Mili­tär­dienst­ent­zie­her sind von den Schutz­ver­spre­chen jedoch aus­drück­lich aus­ge­nom­men. Etwa 100.000 mili­tär­dienst­pflich­ti­ge rus­si­sche Män­ner, so schätzt der Ver­ein Con­nec­tion e.V., haben sich bereits in den letz­ten sechs Mona­ten einer mög­li­chen Rekru­tie­rung ent­zo­gen. „Vie­le haben schon damit gerech­net“, so Rudi Fried­rich von Con­nec­tion, „dass es nicht nur bei einem begrenz­ten Ein­satz blei­ben wür­de und haben vor­sorg­lich das Land ver­las­sen. Sie haben rich­tig gehan­delt, die Poli­tik jedoch unter­stützt die­se Abstim­mung mit den Füßen nur sehr halbherzig.“

Deut­sche Bun­des­re­gie­rung sagt nur Deser­teu­ren aus Russ­land Schutz zu

Im Mai hat­te das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um erklärt, dass „bei glaub­haft gemach­ter Deser­ti­on eines rus­si­schen Asyl­an­trag­stel­len­den der­zeit in der Regel von dro­hen­der Ver­fol­gungs­hand­lung für den Fall der Rück­kehr in die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on aus­ge­gan­gen“ wer­de. Damit könn­ten sie als Flücht­ling aner­kannt wer­den, sofern sie ihre Deser­ti­on nach­wei­sen kön­nen. In der Mit­tei­lung des Innen­mi­nis­te­ri­ums wird jedoch aus­drück­lich wei­ter aus­ge­führt, dass „Wehr­dienst­flücht­lin­ge von den Aus­füh­run­gen nicht umfasst“ sind. „Es ist ein untrag­ba­rer Zustand, dass Men­schen, die sich recht­zei­tig den Rekru­tie­run­gen zu Mili­tär und Krieg ent­zie­hen, von der Rege­lung aus­ge­schlos­sen wer­den“, erklärt Rudi Fried­rich dazu. „Wir brau­chen eine kla­re Zusa­ge der deut­schen Bun­des­re­gie­rung und auch der euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen, dass bei Deser­ti­on und aus­drück­lich auch bei Mili­tär­dienst­ent­zie­hung in Russ­land in Zei­ten des Krie­ges in der Ukrai­ne als oppo­si­tio­nel­le poli­ti­sche Hal­tung gewer­tet wird und die­se Men­schen damit auch den not­wen­di­gen Schutz erhal­ten. Es braucht dar­über hin­aus offe­ne Flucht­we­ge, damit die­se Men­schen über­haupt die Euro­päi­sche Uni­on errei­chen kön­nen. Eine Ver­schär­fung der Visa­pflicht war das völ­lig fal­sche Signal.“

In Russ­land besteht eine Wehr­pflicht für Män­ner, die 12 Mona­te Dienst abzu­leis­ten haben. Das Recht auf Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung kann nur vor­her bean­tragt wer­den. Das bedeu­tet, dass allen Sol­da­ten und Reser­vis­ten die Antrag­stel­lung zur Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung ver­wehrt ist.

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