20.06.2022

Zum Welt­flücht­lings­tag am 20. Juni mahnt PRO ASYL die Bun­des­re­gie­rung, eine akti­ve Rol­le beim Flücht­lings­schutz in Euro­pa ein­zu­neh­men. Die sys­te­ma­ti­sche Ent­rech­tung durch de fac­to Haft­la­ger an den Außen­gren­zen muss ver­hin­dert wer­den. Die Bun­des­re­gie­rung muss den Plä­nen kom­men­de Woche entgegentreten.

PRO ASYL sieht das Asyl­recht exis­ten­zi­ell in Gefahr – welt­weit und in Euro­pa. Der Vor­stoß Groß­bri­tan­ni­ens, Flücht­lin­ge ohne Prü­fung ihres Asyl­an­trags nach Ruan­da abzu­schie­ben, ist nur ein Bei­spiel dafür. Auch in den EU-Staa­ten wei­gern sich eini­ge Län­der, indi­vi­du­el­les Asyl zu gewäh­ren, ande­re wei­sen Flücht­lin­ge sys­te­ma­tisch zurück, was gegen euro­päi­sches und inter­na­tio­na­les Recht ver­stößt, ohne dass sie Kon­se­quen­zen fürch­ten müssen.

Die aktu­el­len EU-Vor­ha­ben las­sen nun befürch­ten, dass auch auf EU-Ebe­ne Rechts­ak­te so kon­stru­iert wer­den, dass sie men­schen­rechts­wid­ri­ges Vor­ge­hen schein­bar legi­ti­mie­ren. Die Bun­des­re­gie­rung hat ver­spro­chen „die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen und das Leid an den Außen­gren­zen (zu) been­den“ (S. 141 Koali­ti­ons­ver­trag). Des­halb muss sie die Ent­rech­tung in De-Fac­to-Haft­la­gern an der EU-Gren­ze verhindern.

Haft darf nicht zum Stan­dard für Flücht­lin­ge an Euro­pas Gren­zen zu werden

Die EU-Innenminister*innen haben sich am 10. Juni ohne deut­schen Wider­stand grund­sätz­lich dar­auf ver­stän­digt, ein Scree­ning an den EU-Außen­gren­zen umzu­set­zen. Der strit­ti­ge Punkt der fik­ti­ven „Nicht-Ein­rei­se“ wird aber noch diskutiert.
Wie Berich­ten zu ent­neh­men ist, soll zeit­nah im Rat eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung dar­über fal­len, ob schutz­su­chen­de Men­schen wäh­rend des Scree­ning­ver­fah­rens  als ein­ge­reist gel­ten oder nicht. Eine sol­che Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se trifft auf erheb­li­che Beden­ken. Ins­be­son­de­re ist zu erwar­ten, dass eine sol­che Fik­ti­on letzt­lich nur durch frei­heits­be­schrän­ken­de bzw. ‑ent­zie­hen­de Maß­nah­men durch­ge­setzt wer­den kann. Dies könn­te zu sys­te­ma­ti­scher De-Fac­to- Haft an den Außen­gren­zen füh­ren. In Grie­chen­land lässt sich die­ser Ansatz schon jetzt beobachten.

PRO ASYL erwar­tet von der Bun­des­re­gie­rung und ins­be­son­de­re von Innen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser in enger Abstim­mung mit der Außen­mi­nis­te­rin ein kla­res Dage­gen­hal­ten. Andern­falls dro­hen die Zustän­de, die aus den Lagern auf den grie­chi­schen Inseln bekannt sind, in wei­te­ren EU-Staa­ten Wirk­lich­keit zu werden.

„Von der Innen­mi­nis­te­rin und der Außen­mi­nis­te­rin hören wir bis­lang kein Wort der Ver­ur­tei­lung der Zonen der Recht­lo­sig­keit an Euro­pas Gren­zen. Wir erwar­ten, dass die Ankün­di­gun­gen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag auf euro­päi­scher Ebe­ne ver­tre­ten wer­den und sich die Bun­des­re­gie­rung ohne Wenn und Aber für fai­re Asyl­ver­fah­ren ein­setzt.  Noch kann ver­hin­dert wer­den, dass sys­te­ma­ti­sche Inhaf­tie­rung durch die ver­pflich­ten­de Fik­ti­on der Nicht­ein­rei­se ver­hin­dert wer­den“, sagt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

PRO ASYL appel­liert ein­dring­lich an die Bun­des­re­gie­rung, dass Deutsch­land in den Ver­hand­lun­gen in der kom­men­den Woche sei­ne bedeu­ten­de Rol­le nutzt und eine ver­pflich­ten­de Anwen­dung der Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se verhindert.

Lang­zeit­ge­dul­de­te in Deutsch­land brau­chen end­lich Perspektiven

Auch in Deutsch­land wer­den vor­ge­se­he­ne Ver­bes­se­run­gen – etwa beim Blei­be­recht – flan­kiert durch Ver­schär­fun­gen. PRO ASYL begrüßt, dass die Bun­des­re­gie­rung mit dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht Ket­ten­dul­dun­gen been­den will und seit fünf Jah­ren in Deutsch­land gedul­de­ten Men­schen end­lich Sicher­heit und Per­spek­ti­ve geben will. Dass aber gleich­zei­tig aus­rei­se­pflich­ti­ge Straftäter*innen län­ger in Abschie­bungs­haft genom­men wer­den sol­len, ist unver­hält­nis­mä­ßig. Denn es gibt kei­ner­lei belast­ba­re Unter­su­chun­gen, dass die Län­der beson­de­re Pro­ble­me hät­ten, Straftäter*innen abzu­schie­ben und dass eine ver­län­ger­te Abschie­bungs­haft irgend­et­was ver­bes­sern wür­de. Zudem ist rund die Hälf­te  aller Abschie­be­häft­lin­ge zu Unrecht in Haft.

„Der jüngst vor­ge­stell­te Gesetz­ent­wurf des Innen­mi­nis­te­ri­ums zum Chan­cen-Auf­ent­halts­recht erweckt den Ein­druck, dass die alte, schwarz-rot-restrik­ti­ve Linie fort­ge­führt wird. Unzu­rei­chen­den Ver­bes­se­run­gen ste­hen neue Restrik­tio­nen gegen­über“, kri­ti­siert Burk­hardt. Der vor­lie­gen­de Ent­wurf des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums ist deut­lich restrik­ti­ver als der Koali­ti­ons­ver­trag und sieht u.a. wei­ter­ge­hen­de Aus­schluss­grün­de vor. Ange­sichts des spä­ten Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens for­dert PRO ASYL, dass die Frist vom 1. Janu­ar 2022 – bis zu dem die Men­schen bereits fünf Jah­re in Deutsch­land sein müs­sen – min­des­tens bis zum in Kraft­tre­ten der Rege­lung ver­län­gert wird. Geeig­net wäre eine kom­plet­te Ent­fris­tung, um dau­er­haft Ket­ten­dul­dun­gen zu beenden.

Aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me von PRO ASYL zum Gesetz­ent­wurf sie­he hier.

Hin­ter­grund zur Fik­ti­on der Nicht-Einreise

Laut den Vor­schlä­gen der Kom­mis­si­on wür­de sich eine Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se auch durch das auf drei Mona­te aus­ge­wei­te­te Asyl­grenz­ver­fah­ren zie­hen. Fai­re Asyl­ver­fah­ren sind unter haft­ähn­li­chen Bedin­gun­gen an den Außen­gren­zen nicht mög­lich, da ins­be­son­de­re die not­wen­di­ge unab­hän­gi­ge recht­li­che Unter­stüt­zung nicht gewähr­leis­tet ist.
Die Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se und die durch sie zu erwar­ten­de Kon­se­quenz der Inhaf­tie­rung wäh­rend Screening‑, Asylgrenz‑, und Abschie­bungs­grenz­ver­fah­ren (ins­ge­samt rund sechs Mona­te) an den Außen­gren­zen hat PRO ASYL von Beginn an als eines der Kern­pro­ble­me des Ent­wur­fes des New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um kri­ti­siert (sie­he Stel­lung­nah­me zum Pakt).

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