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Völkerrechtsbruch als trauriger Alltag: Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze
Rechtswidrige Zurückweisungen, sogenannte »Pushbacks«, von Schutzsuchenden an der griechisch-türkischen Grenze sind Normalität. Die Praxis der griechischen Grenzbehörden wird immer skrupelloser. Bei der Abwehr von Schutzsuchenden spielt die Einhaltung von Menschenrechten für die verantwortlichen Regierungen offenbar keine Rolle.
Im März 2020 riegelte die griechische Regierung die Landgrenze zur Türkei militärisch ab und setzte das Asylrecht für einen Monat außer Kraft. Von einer Rückkehr zum Rechtsstaat kann allerdings auch im September noch keine Rede sein. Pushbacks an der Landgrenze und in der Ägäis sind an der Tagesordnung.
Solche völkerrechtswidrige Zurückweisungen von Schutzsuchenden sind in Griechenland keine Neuigkeit, doch mittlerweile sind sie zur allseits bekannten Normalität geworden. Mit immer neuen Praktiken wird Menschen die Möglichkeit verwehrt, Asyl in Griechenland zu ersuchen.
Unterlassene Hilfeleistung: Rückendeckung auch aus Deutschland
In den meisten Seenotfällen reagiert die griechische Küstenwache nicht auf die Notrufe oder beobachtet – ähnlich wie die türkische Küstenwache – die Boote lediglich, ohne einen Rettungseinsatz einzuleiten.
Dies geschieht auch vor den Augen deutscher Schiffe, die im Rahmen einer NATO-Mission »Standing NATO Maritime Group 2« in der Ägäis patrouillieren. Die Besatzung der deutschen Fregatte »Berlin« wurde mehrfach Zeugin von Pushbacks, griff jedoch nicht ein. Welche Rolle deutsche Einsatzkräfte in der völkerrechtswidrigen Praxis spielen, möchte die Bundesregierung jedoch nicht aufklären.
Welche Rolle deutsche Einsatzkräfte in der völkerrechtswidrigen Praxis spielen, möchte die Bundesregierung nicht aufklären. Eine entsprechende Anfrage blieb aus diplomatischen Gründen unbeantwortet.
In einer Kleinen Anfrage wird die Bundesregierung gefragt, ob ihr Fälle bekannt sind, in denen die griechische Küstenwache Gefahrensituationen erzeugte, indem sie in hohem Tempo an Flüchtlingsbooten vorbeifuhr. Das Schweigen der Bundesregierung ist ihre Zustimmung zu dem Vorgehen: »Die Beantwortung der Frage kann nicht offen erfolgen. Eine öffentliche Bekanntgabe von Informationen im Sinne der Fragestellung könnte nachteilige Auswirkungen für die bilateralen Beziehungen von Deutschland und Griechenland haben und somit für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig sein.«
Andere deutsche Schiffe werden derweil am Auslaufen gehindert. Das zivile Beobachtungsschiff »Mare Liberum« fährt unter deutscher Flagge. Nach einer Änderung der Schiffsicherheitsverordnung durch das Verkehrsministerium erfüllt das Schiff nicht mehr die erforderlichen Sicherheitsanforderungen.
Seit März 2020 häufen sich Berichte zu Pushbacks durch die griechische Küstenwache in der Ägäis. Sie wendet dabei verschiedene Praktiken an, um Boote mit Schutzsuchenden zurück in türkische Gewässer zu bringen.
Ausgesetzt auf aufblasbaren, manövrierunfähigen Rettungsinseln
Erste Taktik: Erreichen Schutzsuchende griechische Gewässer und werden durch die Küstenwache aufgegriffen, zerstört diese den Motor des Boots und schleppt die Schutzsuchenden auf den kaputten Booten zurück in Richtung türkischer Hoheitsgewässer. Dort werden die Schutzsuchenden ihrem Schicksal überlassen.
Unglaubliche Praxis: Schutzsuchende werden auf einer Rettungsinsel sitzend mit einem Seil von einem Schiff in Grenzgewässer gezogen und das Seil dann gekappt.
Zweite Taktik: Schutzsuchende werden auf aufblasbaren, manövrierunfähigen Rettungsinseln ausgesetzt. Recherchen der New York Times zufolge wurden alleine bis Mitte August 2020 über 1.000 Menschen Opfer dieser Praxis. In einem Video ist sie dokumentiert: die Schutzsuchenden werden auf einer Rettungsinsel sitzend mit einem Seil von einem Schiff der griechischen Küstenwache gezogen und das Seil dann – in griechisch-türkischen Grenzgewässern – gekappt.
Doch nicht nur Schutzsuchende, die auf See aufgegriffen werden, sind von dieser menschenverachtenden Praxis betroffen. Es gibt diverse Berichte von Schutzsuchenden, die sogar nach ihrer Ankunft auf einer griechischen Insel von Beamt*innen auf solche Rettungsinseln gebracht und in der Nähe türkischer Hoheitsgewässer ausgesetzt wurden.
Lebensgefährdende Manöver der Küstenwache
Dritte Taktik: Lebensgefährdende Manöver der griechischen Küstenwache. Wieder zeigt ein Video, was das heißt: ein Schiff der griechischen Küstenwache fährt schnell und sehr nah an dem Boot von Schutzsuchenden vorbei. Dadurch sollen Wellen erzeugt werden, die das Boot zurück in türkische Gewässer treiben. Immer wieder wird bei solchen Einsätzen von Warnschüssen der Küstenwache berichtet, die sie in die Nähe der Boote abfeuert, um die Menschen zu verängstigen.
Lebensgefährlich: Schiffe der Küstenwache rasen hautnah an den Flüchtlingsbooten vorbei – um Wellen zu erzeugen.
Der UNHCR fordert von der griechischen Regierung eine Untersuchung der Vorwürfe. Der griechische Premierminister, Kyriakos Mitsotakis, streitet alle Vorwürfe ab und will von Pushbacks nichts wissen. Er behauptet stattdessen, Griechenland sei das Opfer einer Desinformationskampagne und die Schuld für die Situation in der Ägäis trage die Türkei. Der griechische Minister für Schifffahrt, Giannis Plakiotakis, rühmt sich damit, alleine im August die Ankunft von 3.000 Schutzsuchenden verhindert zu haben. Wie dies erreicht wurde, verrät er allerdings nicht.
Aufgrund günstigerer Wetterbedingungen ist der Sommer die Hauptzeit, in der Menschen auf der Flucht die gefährliche Überfahrt wagen. Dennoch liegen die Ankünfte derzeit deutlich unter dem Vorjahresniveau. In der Woche vom 17. August etwa, wurde laut UNHCR kein Schutzsuchender auf einer Ägäis-Insel registriert.
Gewalt und Pushbacks an der Landgrenze
Seit Jahren kommt es auch an der griechisch-türkischen Landgrenze, in der Region um den Grenzfluss Evros, zu massenhaften Pushbacks. Auch nach der Eskalation im März 2020 gehen griechische Grenzbeamt*innen völkerrechtswidrig gegen Schutzsuchende vor. Um Pushbacks durchzuführen, setzen die sie auf Gewalt. Betroffene berichten vom Einsatz von Schlagstöcken und Tasern.
Ähnlich wie in der Ägäis ist auch hier neu in dem Vorgehen, dass nicht nur in der Evros-Region aufgegriffene Personen zurück über den Grenzfluss gezwungen werden. Immer wieder sind auch Menschen betroffen, die sich bereits weit im Landesinnern befanden. Sie werden von Polizist*innen aufgegriffen und über die Grenze in die Türkei gebracht.
Offensichtlicher Völkerrechtsbruch – keine Reaktionen seitens der EU
Griechenland bedient sich an Land und zu See einer Strategie zur Abwehr von Schutzsuchenden, die internationales Recht bricht und Menschenleben leichtfertig aufs Spiel setzt. Aus Sicht der griechischen Regierung ist diese Strategie erfolgreich. Schutzsuchende werden von ihr nur noch als Spielbälle Erdogans gesehen und die Zahlen derjenigen, die es nach Griechenland schaffen und dort einen Asylantrag stellen können, waren seit Jahren nicht so niedrig.
Von EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, hat die griechische Regierung keine Konsequenzen zu befürchten. Das wurde spätestens im März 2020 klar, als von der Leyen das menschrechtswidrige Vorgehen Griechenlands lobte und es als »europäisches Schild« bezeichnete.
In einer Anhörung zu der Situation an der griechisch-türkischen Grenze hat die zuständige EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, lediglich die Einrichtung eines »Beobachtungsmechanismus« in Aussicht gestellt. Eine Rückkehr zu rechtsstaatlichen Verhältnissen ist jedoch angesichts der Situation an den Grenzen und des Vorgehens auf Lesbos nicht in Sicht. Wie zuvor die Türkei, schottet nun Griechenland die EU ab.
Am 16.09.2020 präsentieren Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt einem Millionenpublikum die Situation auf Lesbos und die Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis. Milad aus Afghanistan berichtet dort, wie auch er selbst Opfer von Pushbacks wurde.
Der systematische Bruch internationalen Rechts an den EU-Außengrenzen ist hinlänglich bekannt. PRO ASYL fordert die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft für die Einhaltung der Menschenrechte an den Außengrenzen einzusetzen.
(dm)