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Abschiebungen nach Syrien: Unverantwortliches Wunschdenken der Innenminister
Obwohl die Innenminister der Länder inzwischen wieder zurückgerudert sind, bleibt nach der Debatte um Syrienabschiebungen ein bitterer Beigeschmack. Die erneute Verlängerung um nur sechs Monate verunsichert die syrische Community weiterhin.
Nach widersprüchlichen Aussagen diverser Innenminister bei der Innenministerkonferenz (IMK) in Lübeck zur möglichen Abschiebung von Straftätern nach Syrien und der darauffolgenden scharfen Kritik von PRO ASYL, Amnesty International und Oppositionsparteien, hat der Schleswig-Holsteiner Vorsitzende Grote den Vorstoß wieder zurückgenommen.
Stattdessen wird der generelle Abschiebestopp erneut um nur sechs Monate verlängert, das Auswärtige Amt (AA) soll bis dahin seinen Lagebericht aktualisieren. Während bislang das AA aufgefordert wurde, eine differenzierte Betrachtung von Rückführungsmöglichkeiten für Gefährder und Straftäter vorzunehmen (vergleiche Beschluss vom Juni 2019 und von November 2018) – sollen jetzt die Voraussetzungen für die Rückführungen von Gefährdern, Menschen, die sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben, und von »Heimatbesuchern« entweder nach Syrien oder in Drittstaaten geschaffen werden (sz, 06.12.).
Lagebericht ist eindeutig: Abschiebungen nicht vertretbar
Die Debatte zeugt davon, dass man den Inhalt der zu dieser IMK aktualisierten Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes, über die verschiedene Medien berichteten, offensichtlich einfach nicht wahrhaben will: Darin heißt es nämlich, dass besonders Rückkehrer, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bis hin zu unmittelbarer Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt seien (dpa, 02.12.).
»»Nach wie vor besteht in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen««
Es gebe »zahlreiche glaubhafte Berichte über eine systematische, politisch motivierte Sicherheitsüberprüfung jedes Rückkehrwilligen«. Auch eine im September verkündete Generalamnestie für Deserteure bleibe in der Umsetzung »bislang wirkungslos«, konstatiert der Bericht. Es gebe eine anhaltende Verhaftungswelle im Land, die »gefährdet potentiell auch rückkehrwillige Syrer«, so das Auswärtige Amt. Verwiesen wird auf eine Datenbank mit 1,5 Millionen Namen, die vom syrischen Regime mit Haftbefehl gesucht würden. Viele syrische Geflüchtete hätten sich darauf mit korrekten Angaben wiedergefunden (taz, 05.12.). »Nach wie vor« bestünde generell »in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen«. (welt, 06.12.) Seit 2012 seien (vor allem in Assads Gefängnissen) »mehr als 144.000 Menschen inhaftiert worden oder verschwunden«, 17.000 Menschen dabei »zu Tode gequält worden«. (tagesspiegel, 07.12.)
Abschiebungen nach Syrien würden außerdem bedeuten, dass seitens der Bundesregierung mit dem Regime von Diktator Bashar al-Assad zusammengearbeitet werden müsste. Grote sprach derweil nur von »Schwierigkeiten, dort Ansprechpartner zu finden«, nicht aber davon, dass es grundsätzlich fragwürdig ist, mit den Behörden einer Regierung zu kooperieren, die sich erwiesenermaßen schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat.
Straftäter-Debatte soll Weg für Abschiebungen nach Syrien frei machen
Mit seinen Äußerungen vor Beschlussnahme hat der Vorsitzende der IMK nicht nur verwirrt, er hat auch selbst einiges durcheinander gebracht. Das sieht man auch an seinen Äußerungen zu Straftätern: Wenn schwere Straftäter ihren Flüchtlingsstatus nicht verlieren würden, wäre das der Bevölkerung nicht vermittelbar.
Tatsächlich ist es schon jetzt rechtlich möglich, dass jemand, der eine schwere Straftat begangen hat, seinen Schutzstatus verliert. Dies ist in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen und ist in Deutschland durch eine Ausweisung möglich, wodurch der Person ihr Aufenthaltsrecht entzogen wird (§ 53 Aufenthaltsgesetz).
Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass eine Person auch abgeschoben werden darf. Denn hier gilt das völkerrechtliche Abschiebungsverbot (sogenanntes Non-Refoulement-Gebot), welches sich aus dem absoluten Folterverbot ableitet. Diesem ist Deutschland zum Beispiel gemäß Art. 3 EMRK und Art. 7 UN-Zivilpakt verpflichtet. Wenn in einem Land so schwere Menschenrechtsverletzungen drohen wie in Syrien, dann darf eben niemand in das Land abgeschoben werden – da dies sonst gegen das Folterverbot verstoßen würde.
Diese Unterscheidung sollten Innenminister kennen und menschenrechtliche Grundwerte auch in der Öffentlichkeit vertreten.
Ebenso ist der Hinweis auf »Heimatbesucher« problematisch, mit der vermutlich an die hitzige »Urlaub in Syrien«-Debatte angeknüpft wird. Die Organisation adopt a revolution hat dazu bereits im August sehr gut zusammen gefasst, dass manche Syrer*innen die große Gefahr einer kurzzeitigen Rückkehr auf sich nehmen, um zum Beispiel erkrankte Eltern noch einmal zu sehen oder weil ihnen der Familiennachzug verwehrt wird. Daraus lässt sich nicht pauschal ableiten, dass Syrien sicher sei oder dass eine Abschiebung der Personen rechtens wäre.
Beispiel Afghanistan zeigt, wie schnell Kriterien aufgeweicht werden
Auch lässt aufhorchen, dass der Vorsitzende der IMK einen Vergleich zu Abschiebungen nach Afghanistan gezogen hat. Denn nach Afghanistan werden schon lange nicht nur Straftäter*innen abgeschoben, mittlerweile gibt es keine generelle Beschränkung mehr, nur von den Bundesländern sich selbst gegebene Einschränkungen) – obwohl das Land in den letzten Jahren immer gefährlicher geworden ist. Regelmäßig ist ein großer Teil der Betroffenen in den Sammelabschiebefliegern nicht straffällig geworden, schon gar nicht schwer.
Das Land diskutiert über Abschiebungen, über die angesichts eines glasklaren Lageberichts nicht zu diskutieren ist!
Selbst wenn sich bei dieser IMK keine sofortigen Änderungen für Abschiebungen nach Syrien ergeben haben, haben die Innenminister mit ihrem Vorstoß eins geschafft: Das Land diskutiert über Abschiebungen, über die angesichts eines glasklaren Lageberichts nicht zu diskutieren ist! Damit öffnen sie die Debatte auch für Stimmen, denen die Einhaltung von Menschenrechten eh egal ist. Die »Erwartung der Bevölkerung«, dass nach Syrien abgeschoben werden sollte, wird so selbst geschaffen, indem ihre Legitimität suggeriert wird.
(tz / wj / mk)