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Verzweiflung in Moria auf Lesbos. Seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals ist die Lage auf den griechischen Inseln desaströs. Foto: Salinia Stroux

Wie dramatisch die Auswirkungen des EU-Flüchtlingsdeals sind, zeigen die Zeugnisse von Geflüchteten, die lange Zeit unter unmenschlichen Umständen in den sog. Hotspots – Moria auf Lesbos, Vathy auf Samos oder VIAL auf Chios – gelebt haben. Fälle aus der Arbeit von PRO ASYL/Refugee Support Aegean.

Trotz umfas­sen­der Doku­men­ta­tio­nen von Insti­tu­tio­nen und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen haben die Euro­päi­schen Regie­run­gen mit dem »Flücht­lings­deal« zwi­schen EU und Tür­kei elen­de Orte geschaf­fen, an denen Men­schen- und Grund­rech­te nicht zu exis­tie­ren schei­nen und die recht­li­chen Garan­tien und Ver­fah­ren zum Schutz von Flücht­lin­gen Maku­la­tur sind. In der Ägä­is herrscht ein per­ma­nen­ter Aus­nah­me­zu­stand. Die Inseln Les­bos, Samos und Chi­os sind Frei­luft­ge­fäng­nis­se für Tau­sen­de Schutzsuchende.

Anna* ist Mit­te 30 und floh aus ihrem Hei­mat­land in Zen­tral­afri­ka, um dem häus­li­chen Miss­brauch ihres Part­ners zu ent­kom­men. Auf  ihrer Flucht wur­de sie Opfer von Men­schen­han­del und erleb­te in der Tür­kei meh­re­re For­men geschlechts­spe­zi­fi­scher Gewalt und Aus­beu­tung. Anna berich­tet: »Die Tür­kei ist kein Land der Rech­te. Es ist mög­lich, dass man sein gan­zes Leben lang aus­ge­beu­tet wird und ohne Papie­re hat man nicht das Recht, sich zu beschweren…«

Sie ver­such­te drei­mal aus der Tür­kei zu flie­hen. Nach jedem geschei­ter­ten Ver­such wur­de sie von den tür­ki­schen Behör­den fest­ge­nom­men. Sie wur­de nie medi­zi­nisch ver­sorgt, auch nicht, als sie sich das Bein gebro­chen hat­te. Beim drit­ten Ver­such – im Win­ter 2017 – erreich­te sie nach einer gefähr­li­chen Rei­se über das Mit­tel­meer die Insel Les­bos. Nach ihrer Ankunft und der Regis­trie­rung bei den Behör­den wur­de sie im Lager Moria sich selbst über­las­sen. Ihr Zufluchts­ort war ein klei­nes Zelt. Zu die­sem Zeit­punkt war Anna seit ein paar Wochen schwan­ger und im Win­ter 2017 herrsch­ten extre­me Wet­ter­be­din­gun­gen auf den Inseln der Nordost­ägä­is. Drei Flücht­lin­ge star­ben im Lager Moria – mut­maß­lich auf­grund der man­gel­haf­ten Unterbringungsbedingungen.

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Foto: pri­vat

Die anschlie­ßen­de Fehl­ge­burt, die sie mit den ent­setz­li­chen Lebens­be­din­gun­gen im Lager in Ver­bin­dung bringt, war eine wei­te­re trau­ma­ti­sche Erfah­rung für die jun­ge Frau. Erst einen Monat nach ihrer Fehl­ge­burt erhielt sie schließ­lich Zugang zur Not­fall­ver­sor­gung  im Krankenhaus.

»Ich blieb andert­halb Mona­te in Moria, ohne Zugang zu einem Gynä­ko­lo­gen. Sie gaben mir ein Doku­ment, um ins gro­ße Kran­ken­haus zu gehen. Ich hat­te eine Kri­se, ich blu­te­te und sie beschlos­sen, einen chir­ur­gi­schen Ein­griff durch­zu­füh­ren, um den Fötus zu ent­fer­nen. Es war kalt, es reg­ne­te, es lag Schnee, ich hat­te Blu­tun­gen. Dann sag­ten sie mir, ich kön­ne zurück nach Moria gehen und ich ging am sel­ben Tag zurück.«

Die Behör­den haben Anna über Mona­te nicht als vul­nerabel iden­ti­fi­ziert. Nach recht­li­chen Inter­ven­tio­nen von PRO ASYL/RSA wur­de Anna zehn Mona­te nach ihrer Ankunft als vul­nerabel ein­ge­stuft, wäh­rend ihr Asyl­an­trag sowohl in ers­ter Instanz als auch auf Beschwer­de­ebe­ne bereits abge­lehnt wor­den war.

Annas psy­chi­sche Gesund­heit wur­de durch die erleb­te Gewalt schwer beein­träch­tigt. Ihr Zustand wur­de durch die kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen und den Man­gel an Schutz, als sie infol­ge des Abkom­mens zwi­schen der EU und der Tür­kei auf der Insel fest­ge­hal­ten wur­de, noch ver­schlim­mert. Weder die Gewalt, die Anna erlit­ten hat­te, noch der Ein­fluss der kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen auf Annas psy­chi­sche Gesund­heit wur­den im Inter­view mit der euro­päi­schen Asyl­agen­tur EASO berück­sich­tigt. Dar­über hin­aus wur­de ihr Antrag  im Rah­men des beschleu­nig­ten Ver­fah­rens an der Gren­ze geprüft und nicht im Rah­men des für vul­nerable Flücht­lin­ge vor­ge­se­he­nen nor­ma­len Asylverfahrens.

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Foto: pri­vat

Der­zeit war­tet Anna auf ein wei­te­res Inter­view nach einem zwei­ten Asyl­an­trag, der Anfang des Jah­res für zuläs­sig befun­den wur­de. Trotz der gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen hat es die­se muti­ge Frau geschafft, Grie­chisch und Eng­lisch zu ler­nen und an Work­shops für Frau­en teil­zu­neh­men. Alles was sie möch­te ist, an einem Ort zu leben, an dem sie ein Zuhau­se hat und arbei­ten kann.

»Öff­nen Sie die Gren­zen. Die Men­schen müs­sen frei sein, frei, einen Job zu fin­den, frei, sich in Sicher­heit zu füh­len, frei, sich zu ent­fal­ten. Setzt kei­ne Barrieren.«

Annas Bot­schaft an die Staats- und Regie­rungs­chefs der EU und Griechenland
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Nade­em* und sei­ne Mut­ter Alya* sind syri­sche Flücht­lin­ge und wer­den seit fast drei Jah­ren auf Les­bos fest­ge­hal­ten. Das ist die Fol­ge des toxi­schen EU-Tür­kei-Deals. Nade­em floh 2016 mit sei­ner Mut­ter, sei­ner Schwes­ter und ihrer Fami­lie aus Syri­en. Nade­ems Frau und Kind wur­den bei einer Raz­zia in ihrem Haus durch die Regie­rungs­trup­pen getö­tet, Nade­em wur­de bei der Raz­zia ver­haf­tet und spä­ter gefol­tert. Sein Vater wur­de durch eine Bom­be getö­tet. Bei ihrem Ver­such, die Tür­kei zu errei­chen, wur­de die Fami­lie gewalt­sam zurück­ge­wie­sen. Nur Nade­em, sei­ne Schwes­ter und ihre Fami­lie schaff­ten im August 2016 die Über­fahrt auf die Insel Les­bos und bean­trag­ten Asyl.

»Als wir in Moria waren, schlie­fen wir drau­ßen, als es eine Schlä­ge­rei gab – ein­mal im Park, ein­mal auf der Stra­ße. In Syri­en habe ich noch nie drau­ßen geschlafen.«

Nade­em erzählt von den Bedin­gun­gen im Lager Moria, in dem Mut­ter und Sohn meh­re­re Mona­te lang lebten

Wäh­rend Nade­ems Schwes­ter und ihre Fami­lie als Flücht­lin­ge aner­kannt wur­den, wur­den die Asyl­an­trä­ge von Nade­em und Alya in ers­ter und zwei­ter Instanz mit der Begrün­dung abge­lehnt, die Tür­kei sei für bei­de ein siche­res Land.  Mut­ter und Sohn leben seit­dem in der Schwe­be und haben Angst vor ihrer Zukunft. Sie bei­de ver­mis­sen ihre Fami­lie und die Tren­nung ver­stärkt ihre Angst.

Kürz­lich hob ein Gericht die nega­ti­ve Ent­schei­dung über Nade­ems Antrag mit der Begrün­dung auf, dass sein Vor­brin­gen, ein Opfer von Fol­ter und ent­spre­chend vul­nerabel zu sein, nicht berück­sich­tigt wur­de.  Sein Fall wur­de zur Über­prü­fung an die Beschwer­de-Kom­mis­si­on zurück­ver­wie­sen. In der Zwi­schen­zeit wur­de Aly­as Fol­ge­an­trag für zuläs­sig befun­den, und sie war­tet auf das Inter­view zu den Asyl­grün­den. Nade­em darf die Insel immer noch nicht ver­las­sen und Alya kann nir­gend­wo hin­ge­hen, obwohl ihre geo­gra­fi­sche Beschrän­kung auf­ge­ho­ben wur­de, da sie ohne ihren Sohn nicht rei­sen kann.

»Ich dach­te, wenn ich in Euro­pa ankom­me, bin ich in Frei­heit, aber als ich nach Euro­pa kam, fühl­te ich, dass ich in Syri­en Frei­heit im Krieg hat­te. Was ich hier möch­te, ist nur ein biss­chen mehr Freiheit.«

Nade­ems Bot­schaft ist ein Plä­doy­er für die Freiheit

Mah­moud*, Ende 40, war Mit­ar­bei­ter in einem mul­ti­na­tio­na­len Unter­neh­men. Er war auf­grund des Syri­en-Kon­flik­tes gezwun­gen, zu flie­hen und ließ sich in der Tür­kei nie­der. In der Tür­kei war sein Leben jedoch erneut in Gefahr.  Er wur­de von ISIS bedroht, war auf­grund sei­ner sexu­el­len Ori­en­tie­rung gefähr­det und floh des­halb erneut, um in Grie­chen­land Schutz vor Ver­fol­gung zu suchen.

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Mah­moud erreich­te Les­bos kurz nach Inkraft­tre­ten des Abkom­mens zwi­schen der EU und der Tür­kei. Er wur­de zusam­men mit vie­len ande­ren Flücht­lin­gen, die in den Tagen nach Inkraft­tre­ten des Deals in Grie­chen­land anka­men, inhaf­tiert. Er beschrieb die Bedin­gun­gen, die den Flücht­lin­gen ihre Wür­de raub­ten: »Wir wur­den in Moria fest­ge­hal­ten.  45 Tage lang durf­ten wir das Lager nicht ver­las­sen. Es war eine sehr schwie­ri­ge Situa­ti­on mit dem Essen, mit den Zel­ten, mit den Men­schen. Wir wur­den in Moria nicht wie Men­schen behan­delt. Das war eine Katastrophe.«

EASO führ­te Mah­mouds ein­zi­ges Gespräch im Rah­men sei­nes Asyl­an­trags. Sie glaub­ten ihm nicht,  dass er in der Tür­kei gefähr­det sei. Statt­des­sen stell­ten sie sei­ne sexu­el­le Ori­en­tie­rung sowie sei­ne  Ver­fol­gung in Fra­ge und kamen zu dem Schluss, dass sein Antrag unzu­läs­sig sei. Mah­moud beschreibt die Irri­ta­ti­on, die er emp­fand, als er hör­te, war­um sei­ne sexu­el­le Ori­en­tie­rung in Fra­ge gestellt wur­de: »Als ich ihr mei­ne Geschich­te erzähl­te, sag­te sie: ‚Du bist nicht schwul.‘ Ich frag­te, war­um sie mir nicht glau­be. Sie sag­te:  ‚Weil du die Schwu­len­flag­ge nicht erkennst. Du hast die Schwu­len­bars nicht erkannt.‘ Ich sag­te ihr: ‚Ich kom­me aus Syri­en. Ich kom­me nicht aus Les­bos, ich kom­me nicht aus Kana­da. In Syri­en ist es nicht akzep­ta­bel, schwul zu sein. Ich habe in mei­nem Land vie­le Pro­ble­me, weil ich schwul bin. Ich muss mich immer verstecken.‘«

Nach zwei Ableh­nun­gen wur­de Mah­moud einen Monat lang auf der Poli­zei­sta­ti­on Myti­li­ni fest­ge­hal­ten, wo das Risi­ko bestand, gewalt­sam in die Tür­kei über­stellt zu wer­den. Als er nach ver­schie­de­nen recht­li­chen Inter­ven­tio­nen frei­ge­las­sen wur­de, floh er zum drit­ten Mal. Heu­te lebt er mit inter­na­tio­na­lem Schutz in einem ande­ren euro­päi­schen Land.

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»Ich bete für die Men­schen in Moria. Dass sie in ande­re euro­päi­sche Län­der wei­ter­rei­sen kön­nen. Dass sie zumin­dest in Grie­chen­land blei­ben kön­nen. In Grie­chen­land Papie­re zu haben, ein Dach über dem Kopf, Essen, einen Job. Ich den­ke, dass die Men­schen in Moria kei­ne Asyl­be­wer­ber sind, sie sind Gefan­ge­ne. Ich hof­fe, dass die EU die­ses Abkom­men annul­lie­ren wird und die­se Men­schen ein neu­es, siche­res Leben erhalten«

Mah­mouds Gedan­ken sind wie­der bei den Flücht­lin­gen, die der­zeit in Moria festsitzen.

Patrick*, 27 Jah­re alt, kommt aus einem zen­tral­afri­ka­ni­schen Land und ist heu­te als Flücht­ling aner­kannt. Er war fast zwei Jah­re lang wegen des toxi­schen Deals zwi­schen der EU und der Tür­kei auf der Insel Les­bos gestran­det und hat es erst vor kur­zem die Insel verlassen.

Die Zeit, die er in der Tür­kei ver­brin­gen muss­te, bezeich­net er als eine der schlimms­ten sei­nes Lebens. Patrick erzählt: »Die Tür­kei war ein Alp­traum. Als ich ankam, wur­de ich am Flug­ha­fen ver­haf­tet, weil das Doku­ment, mit dem ich ankam, gefälscht war. Ich wur­de ins Gefäng­nis geschickt, wo ich eine der schlimms­ten Zei­ten mei­nes Lebens ver­bracht habe. Ich wur­de im Gefäng­nis gefol­tert, von der Poli­zei geschla­gen und sie ver­such­ten sogar, mich zurück in mein Land zu deportieren.«

Spä­ter schaff­te er es nach Grie­chen­land zu ent­kom­men. Sie­ben Mona­te lang leb­te er im Lager Moria, wo er sich mit vie­len ande­ren Flücht­lin­gen an Pro­tes­ten gegen die unmensch­li­chen Auf­nah­me­be­din­gun­gen und für die Frei­heit, die Insel ver­las­sen zu dür­fen, beteiligte.

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Er beschrieb das Trau­ma, im Lager und auf der Insel gefan­gen zu sein, ohne zu wis­sen, ob und wie er sein Leben wei­ter­füh­ren kön­ne, so: »Du lebst irgend­wo und bleibst irgend­wo und hast nicht das Recht, weg­zu­zie­hen. Sie sagen dir nicht, wann du wie­der weg kannst. Jeman­dem, der im Gefäng­nis sitzt, sagt man wenigs­tens, dass er nach fünf Jah­ren ent­las­sen wird. Aber in einer end­lo­sen, unbe­grenz­ten Zeit im Hot­spot von Moria zu leben, ist wirk­lich traumatisierend.«

Heu­te macht er sich Sor­gen über die feh­len­den Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men für aner­kann­te Flücht­lin­ge wie ihn, aber sei­ne Gedan­ken gel­ten auch denen, die noch auf den Inseln gefan­gen sind und denen, die auf­grund des Abkom­mens Gefahr lau­fen, in die Tür­kei zurück­ge­schickt zur werden.

»Ihre Poli­tik ist, dass wir Zah­len sind, des­halb berührt unser Schick­sal sie nicht. Wenn jemand stirbt, sagen sie, ein Flücht­ling ist gestor­ben. Es ist nicht einer der EU-Stell­ver­tre­ter, der gestor­ben ist. Die Fra­ge dreh­te sich nicht mehr dar­um, aus dem Lager Moria zu kom­men. Die Fra­ge ist: Wer­de ich überleben?«

Patrick kri­ti­siert die EU- Flüchtlingspolitik

Hadir* ist Anfang 40, Mut­ter von drei Kin­dern und flüch­te­te aus dem Irak. Hadirs Mann wur­de bei einem ISIS-Angriff in Mos­ul getö­tet. Die trau­ma­ti­sier­te Mut­ter such­te im Spät­som­mer 2016 mit ihren drei min­der­jäh­ri­gen Söh­nen Schutz auf Les­bos, da das Leben in der Tür­kei für die Fami­lie furcht­bar gewe­sen ist. Zwei der Kin­der sind schwer behin­dert. Hadir erzählt: »Ich war ein Jahr in der Tür­kei. Wir blie­ben in Parks wie Obdach­lo­se. Wir hat­ten kein Geld, um eine Woh­nung zu mie­ten, um ein Dach über dem Kopf zu haben.«

Hadir und die Kin­der fan­den auf­grund ihrer Ver­letz­lich­keit zunächst Zuflucht in Kara Tepe und dann im PIK­PA-Camp auf Les­bos. Trotz des drin­gen­den Bedarfs der Jun­gen, einen Spe­zia­lis­ten in Athen auf­zu­su­chen, um eine ange­mes­se­ne Dia­gno­se und Behand­lung zu erhal­ten, dau­er­te es lan­ge, bis die Behör­den die ihnen auf­er­leg­te geo­gra­fi­sche Ein­schrän­kung auf­ho­ben. Die allein­er­zie­hen­de Mut­ter, die Dia­be­ti­ke­rin ist, muss­te meh­re­re Mona­te war­ten, bis ihre Fami­lie einen Ter­min zur sog. Vul­nerabi­li­täts­ana­ly­se bei EASO erhielt. Als es end­lich so weit war, muss­ten ihre zwei behin­der­ten Kin­der in Moria zwei Stun­den in der Käl­te auf ihr Inter­view warten.

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Anfang 2018 wur­de der Fami­lie in Grie­chen­land Asyl gewährt.  Einen Monat spä­ter starb Hadirs ältes­ter Sohn. Wäh­rend des Gesprächs erin­nert sich Hadir an die Bemü­hun­gen, die sie unter­nom­men hat, um Grie­chen­land zu errei­chen, und dar­an, wie ihre Hoff­nun­gen zer­stört wur­den, als der Jun­ge starb.

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Heu­te müs­sen Hadir und ihr jün­ge­res Kind sich um ihren zwei­ten behin­der­ten Sohn küm­mern. Die Fami­lie lebt in einer Woh­nung, die von einer NGO geführt wird und erhält finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Hadir schätzt ihre Aus­sich­ten in Grie­chen­land düs­ter ein, da es wahn­sin­nig schwie­rig ist, die kom­ple­xen Bedürf­nis­se ihrer Kin­der abzudecken.

»Ich kann ihnen nicht ein­mal Klei­dung kau­fen. Denn wenn ich Klei­der kau­fe, wird das Geld nicht für das Essen reichen.«

Hadir beschreibt ihre Trau­rig­keit, nicht in der Lage zu sein, aus­rei­chend für ihre Kin­der zu sorgen

Jafar und Sora­ya erreich­ten die Ufer von Les­bos im Spät­som­mer 2018 zusam­men mit ihrem fünf­jäh­ri­gen Sohn und einem Neu­ge­bo­re­nen. Die Über­que­rung des Mee­res von der Tür­kei nach Grie­chen­land war für die jun­ge afgha­ni­sche Fami­lie gefähr­lich, Jafar erin­nert sich: »Wir haben es zwei­mal mit dem Boot ver­sucht und sind fast ertrunken.«

Die Fami­lie muss­te unter uner­träg­li­che Lebens­be­din­gun­gen aus­har­ren. Die meis­te Zeit ver­brach­ten sie in einem klei­nen Som­mer­zelt im inof­fi­zi­el­len Lager außer­halb von Moria. Eine Zeit lang teil­ten sie sich auch einen klei­nen Con­tai­ner mit sechs ande­ren Fami­li­en, in dem die Zustän­de desas­trös waren. Die­se unmensch­li­chen Bedin­gun­gen hat­ten Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit des klei­nen Babys. Es lei­det an Asth­ma und muss­te wegen Magen­in­fek­tio­nen und Erkäl­tung immer wie­der behan­delt wer­den. Auch nach­dem das Neu­ge­bo­re­ne im Kran­ken­haus eine Not­fall­ver­sor­gung erhal­ten hat­te, wur­den Sora­ya und ihr Baby mit­ten in der Nacht in ihr Zelt zurückgeschickt.

Einen Monat nach ihrer Ankunft konn­te die Fami­lie mit Hil­fe ihres Anwalts und der Inter­ven­ti­on von UNHCR ihren Asyl­an­trag stel­len. Obwohl sie als ver­letz­lich iden­ti­fi­ziert wur­den, muss­ten sie bis Anfang Okto­ber 2018 in einem Som­mer­zelt leben.

Jafar erzählt: »In Moria leb­ten wir im Wald. Im Inne­ren des Lagers gab es kei­nen Platz. Sie war­fen sechs Fami­li­en in einen Con­tai­ner. Auf 12m² kön­nen kei­ne sechs Fami­li­en leben. Also gin­gen wir in den Wald. Es gab Schlan­gen, Skor­pio­ne. Wir lit­ten sehr. Mein Sohn hat Asthma.«

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Foto: Sali­nia Stroux

»Wenn Sie Afgha­ne sind oder Ara­ber, was auch immer, wenn Sie nicht ver­letz­lich sind, wer­den Sie nicht aus dem Dschun­gel, aus Moria oder von der Insel weg­kom­men. Man muss als ver­letz­lich aner­kannt wer­den. Mona­te­lang blie­ben wir im Wald, es gab kei­ne Ärz­te, wir leb­ten unter sehr schlech­ten Bedin­gun­gen im Dschun­gel – nicht nur wir, son­dern alle Men­schen, die im Wald waren.«

Sora­ya beschreibt die Her­aus­for­de­run­gen der Flücht­lin­ge, die im inof­fi­zi­el­len Lager vor Moria stranden

Im Novem­ber 2018 wur­de die Resi­denz­pflicht der Fami­lie auf­ge­ho­ben. Sie wur­den Ende Janu­ar die­ses Jah­res in ein Lager in der Regi­on Atti­ka ver­legt. Die vier­köp­fi­ge Fami­lie teilt sich nun einen Con­tai­ner mit einer ande­ren Fami­lie. Sowohl Jafar als auch Sora­ya lei­den unter den Bedin­gun­gen und beschrei­ben einen schwer­wie­gen­den Man­gel an Pri­vat­sphä­re und Sicher­heit. Sie war­ten auf ihr Asyl­ge­spräch im Mai 2019.

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Foto: Chri­sa Wilkens

Sora­ya macht sich Sor­gen über die Aus­wir­kun­gen des EU-Tür­kei-Deals auf so vie­le Leben: »Errich­tet kei­ne Hin­der­nis­se für die Men­schen. Sie sehen den Tod. Sie kom­men über das Meer, um Frie­den zu fin­den. Für ihre Kin­der. Sie selbst haben ihr Leben ver­lo­ren. Aber ihre Kin­der soll­ten irgend­wo ankommen.«

Dann spricht sie über ihre Träu­me: » Ich wün­sche, mei­ne Kin­der müs­sen nicht das durch­ma­chen, was ich durch­ge­macht habe. Dass sie ohne Krieg und Gewalt leben können“.

Die Ein­rich­tung und der Betrieb der Hot­spots als Blau­pau­se für die Flücht­lings­po­li­tik  an Euro­pas Gren­zen ist nicht nur men­schen­un­wür­dig, son­dern desta­bi­li­siert die Gesell­schaf­ten auf den grie­chi­schen Inseln und stärkt ras­sis­ti­sche Stim­mun­gen. Drei Jah­re »Deal« sind drei Jah­re uner­mess­li­ches Lei­den und ein Kli­ma der Angst. Men­schen, die in Euro­pa Schutz suchen, sol­len abge­schreckt wer­den – Wür­de und Rech­te spie­len dabei kei­ne Rol­le mehr.

(RSA/kk)