Image
Grenzabwehr steht in Europa über allem. Foto: Reuters / Guglielmo Mangiapane

Aus Europa nur ein »weiter so«: Als Antwort auf Italiens Klage über mangelnde europäische Mithilfe bei der Flüchtlingsaufnahme fällt den Innenministern von Frankreich und Deutschland mal wieder nur eins ein: Abschottung.

Der größ­te Teil der Flücht­lin­ge erreicht Euro­pa aktu­ell über Ita­li­en – in der ver­gan­ge­nen Woche wur­den von dort erneut For­de­run­gen nach mehr Unter­stüt­zung der ande­ren EU-Staa­ten laut. Am Wochen­en­de kamen nun die Innen­mi­nis­ter aus Ita­li­en, Frank­reich und Deutsch­land mit dem EU-Flücht­lings­kom­mis­sar zusam­men und gaben eine gemein­sa­me Erklä­rung bekannt.

Die ent­hält nicht viel Neu­es son­dern viel­mehr die bekann­ten Mus­ter: Unter­stüt­zung der liby­schen Küs­ten­wa­che, Abrie­ge­lung von Liby­ens Süd­gren­ze, ver­mehr­te Rück­füh­run­gen – und natür­lich die Luft­schlös­ser vom Auf­bau men­schen­wür­di­ger Ein­rich­tun­gen in Libyen.

Die libysche Realität

Wie absurd die­se Vor­stel­lung ist, konn­te Außen­mi­nis­ter Gabri­el bei sei­nem Besuch in Liby­en zur selbst sehen. Er sprach danach von schlim­men Zustän­den, bru­ta­ler Gewalt und Men­schen­han­del. Das alles ist nicht neu, aber trotz­dem setzt die Euro­päi­sche Uni­on offen­bar wei­ter­hin auf ihren frag­wür­di­gen Part­ner, die soge­nann­te liby­sche Küstenwache.

Dies alles ist ein men­schen­recht­li­ches und huma­ni­tä­res Versagen.

Die wird, nach Berich­ten u.a. im Maga­zin der Süd­deut­schen Zei­tung, von einem War­lord gesteu­ert und rekru­tiert sich aus einer Miliz, die die Kon­trol­le der liby­schen Gewäs­ser zu ihrem Geschäfts­mo­dell gemacht hat. Die­se Küs­ten­wa­che wird nun im Rah­men der EU-Mis­si­on EUNAFVOR Med – und damit auch von Deutsch­land – aus­ge­bil­det und unter­stützt.

YouTube

Mit dem Laden des Vide­os akzep­tie­ren Sie die Daten­schutz­er­klä­rung von You­Tube.
Mehr erfah­ren

Video laden

Zuneh­mend wer­den Flücht­lin­ge auf offe­nem Meer abge­fan­gen und zurück nach Liby­en trans­por­tiert. Dazu wer­den auch Schif­fe der zivi­len See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen bei Ret­tungs­ope­ra­tio­nen behin­dert. Par­al­lel dazu ver­sucht die EU, den Zustrom von Flücht­lin­gen nach Liby­en zu ver­rin­gern, indem die liby­sche Süd­gren­ze auch mit euro­päi­schen Gel­dern abge­schot­tet wird.

Das ver­sperrt auch Men­schen, die aus der Mili­tär­dik­ta­tur in Eri­trea, dem zer­fal­le­nen Soma­lia oder von Boko Haram ter­ro­ri­sier­ten Gebie­ten im Nor­den Nige­ri­as flie­hen müs­sen, die Fluchtwege.

Über 2000

Men­schen sind die­ses Jahr bereits auf der Flucht ertrunken.

Die Realität im Mittelmeer

Von denen, die es trotz­dem nach Liby­en und auf die Boo­te schaf­fen, ster­ben nach wie vor etli­che. UNHCR schätzt die Zahl der toten Boots­flücht­lin­ge im Mit­tel­meer die­ses Jahr bereits auf über 2.000. Das liegt auch dar­an, dass sich die euro­päi­schen Schif­fe mehr und mehr aus der See­not­ret­tung zurück­zie­hen – nur noch 12 Pro­zent der Ret­tun­gen im Mit­tel­meer erfol­gen durch die euro­päi­sche Marine.

Die italienische Realität

Und auch wer in Ita­li­en ankommt, lebt dort oft nicht unter men­schen­wür­di­gen Bedin­gun­gen. Bereits im Juni 2016 kri­ti­sier­te das Men­schen­rechts­kom­mis­sa­ri­at der Ver­ein­ten Natio­nen die Unter­brin­gung in den Hot-Spots. PRO ASYL kon­sta­tier­te damals »Ita­li­en ist am Limit« und warn­te bereits vor einem Kol­la­bie­ren des ita­lie­ni­schen Aufnahmesystems.

Schutz­su­chen­de erhal­ten in Ita­li­en häu­fig kei­ner­lei Unter­stüt­zung. Sie leben auf der Stra­ße oder schla­gen sich als Tage­löh­ner durch. Die Tages­schau berich­te­te über skla­ven­ähn­li­che Ver­hält­nis­se für Ern­te­hel­fer in Süd­ita­li­en – alle­samt Flücht­lin­ge aus Afrika.

Die men­schen­un­wür­di­gen Zustän­de in Ita­li­en wer­den sich im Lau­fe die­ses Som­mers wei­ter verschärfen.

Europäische Umverteilung? Da war ja was.

Ganz am Ende der Erklä­rung der Innen­mi­nis­ter taucht übri­gens auch wie­der die all­fäl­li­ge EU-Relo­ca­ti­on auf. Rund 35.000 Flücht­lin­ge aus Ita­li­en soll­ten in ande­re Län­der umver­teilt wer­den, hat­ten die EU-Staa­ten im Sep­tem­ber 2015 (!) beschlos­sen. Bis­lang sind wenig mehr als 7.000 Men­schen so in ande­re EU-Län­der gekom­men. Jetzt soll das – mal wie­der – voll­um­fäng­lich und schnell gesche­hen, ver­spre­chen Deutsch­land und Frankreich.

Das Pro­blem an der Relo­ca­ti­on: Sie funk­tio­niert nicht nur über­haupt nicht, son­dern ist ohne­hin unge­eig­net, da nur Flücht­lin­ge aus weni­gen Staa­ten, wie Syri­en und Eri­trea, über­haupt unter die­se Rege­lung fallen

Image
Die im Herbst 2015 groß ange­kün­dig­te EU-Relo­ca­ti­on ist auch nach fast zwei Jah­ren noch nicht rich­tig ange­lau­fen. Den aktu­el­len Stand ver­öf­fent­licht die EU fort­lau­fend hier.

Humanitäres Versagen

Die Beschlüs­se lesen sich hilf­los. Die gan­ze Abschot­tung, die Auf­rüs­tung liby­scher Mili­zen, der Rück­zug aus der See­not­ret­tung – all das hin­dert die ver­zwei­fel­ten Men­schen nicht dar­an, nach Euro­pa zu flie­hen. Euro­pas Reak­ti­on dar­auf ist ein men­schen­recht­li­ches und huma­ni­tä­res Versagen.

(mk)