08.09.2016
Image
Seit 30 Jahren setzt sich PRO ASYL für die Rechte von Flüchtlingen ein. Grafik: PRO ASYL

PRO ASYL wurde 1986 mit dem Ziel gegründet, Flüchtlingen in Deutschland eine Stimme zu verleihen und ihre Rechte zu verteidigen. Damals ging es um das Asylrecht und den wachsenden Rassismus in Deutschland, heute um ganz Europa.

Jür­gen Micksch, Ehren­vor­sit­zen­der und Grün­der von PRO ASYL blickt zurück. Im Inter­view for­dert er den kon­se­quen­ten Kampf gegen Ras­sis­mus und kri­ti­siert das Ver­sa­gen von Staat und Poli­tik, die enga­gier­te Zivil­ge­sell­schaft in ihrem Enga­ge­ment zu unterstützen.

Trotz der zuneh­mend flücht­lings­feind­li­chen Ton­la­ge hält die Soli­da­ri­tät mit Flücht­lin­gen unver­min­dert an. In Deutsch­land ste­hen Ehren­amt­li­che Flücht­lin­gen zur Sei­te, beglei­ten sie in immer schwie­ri­ger wer­den­den Asyl­ver­fah­ren und bei den oft erfolg­lo­sen Ver­su­chen, ihre Ange­hö­ri­gen zu retten.

PRO ASYL dankt anläss­lich des Jubi­lä­ums auch den mehr als 22.000 För­der­mit­glie­dern und Spen­de­rin­nen und Spen­dern für die groß­ar­ti­ge finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Sie ermög­li­chen die Arbeit. Ange­sichts der aktu­el­len Debat­ten um das Asyl­recht ist Stel­lung zu bezie­hen, Flücht­lin­gen zur Sei­te zu ste­hen, aktiv zu wer­den für Men­schen­rech­te wich­ti­ger denn je – in Deutsch­land und an Euro­pas Grenzen.

DIE GESCHICHTE VON PRO ASYL IM ÜBERBLICK

1985
Ange­sichts der vor­herr­schen­den ras­sis­ti­schen Stim­mung gegen­über Asyl­su­chen­den ver­ein­ba­ren Jür­gen Micksch von der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Tutz­ing und der UN-Flücht­lings­hoch­kom­mis­sar für Deutsch­land, René van Rooy­en, am 30. Novem­ber 1985 in Hof die Bil­dung einer bun­des­wei­ten Flüchtlingsorganisation.

1986
Am 8. Sep­tem­ber wird in Frank­furt am Main die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft PRO ASYL von Mit­ar­bei­ten­den aus Flücht­lings­rä­ten, Kir­chen, Gewerk­schaf­ten, Wohl­fahrts- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen zum Schutz ver­folg­ter Men­schen gegrün­det. Jür­gen Micksch über­nimmt den Vor­sitz, Gün­ter Burk­hardt die Geschäfts­füh­rung. Ers­te Spre­cher sind Wolf­gang Grenz (amnes­ty inter­na­tio­nal), Rechts­an­walt Vic­tor Pfaff und Her­bert Leu­nin­ger (Bis­tum Lim­burg), der nach weni­gen Wochen die­se Auf­ga­be allei­ne über­nimmt. Im sel­ben Jahr fin­det der ers­te bun­des­wei­te »Tag des Flücht­lings« statt.

1987
In fast allen Bun­des­län­dern gibt es Flücht­lings­rä­te, die über PRO ASYL mit­ein­an­der ver­netzt sind.

1988
Um die Hil­fe für Flücht­lin­ge zu finan­zie­ren, wird der För­der­ver­ein PRO ASYL gegrün­det. Bis 1993 über­nimmt Wolf­gang Grenz den Vor­sitz, danach folgt auf ihn Jür­gen Micksch. Die Geschäfts­füh­rung wird Gün­ter Burk­hardt übertragen.

1989–1991
Die öffent­li­che Asyl­de­bat­te heizt die Stim­mung in Deutsch­land an. PRO ASYL mahnt die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen mehr­fach, rechts­ge­rich­te­te und aus­län­der­feind­li­che Stim­mungs­ma­che zu unter­las­sen und warnt ein­dring­lich vor den mög­li­chen Folgen.

Her­bert Leu­nin­ger, Spre­cher von PRO ASYL, erhält 1991 von der Hes­si­schen Lan­des­re­gie­rung die Wil­helm-Leu­sch­ner Medaille.

1992–1993
PRO ASYL mobi­li­siert mit einer gro­ßen Kam­pa­gne für den Erhalt des Asyl­rechts nach Arti­kel 16 Grundgesetz.

1993
Nach Inkraft­tre­ten der Grund­ge­setz­än­de­rung des Arti­kels 16 am 1. Juli beginnt PRO ASYL mit der Doku­men­ta­ti­on von Ein­zel­fäl­len, der Erstel­lung von Gut­ach­ten und Musterklagen.

1994
Start der Kam­pa­gne »Nein zu Frem­den­feind­lich­keit und Ras­sis­mus« gemein­sam mit dem DGB und der Evan­ge­li­schen Kir­che in Hes­sen und Nassau.
Her­bert Leu­nin­ger wird ers­ter Europa­re­fe­rent von PRO ASYL, Hei­ko Kauff­mann über­nimmt das Amt des Sprechers.

1995
Das so genann­te Flug­ha­fen­asyl­ver­fah­ren wird zum Brenn­punkt exem­pla­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen um das neue Asylrecht.

1996–1997
Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ver­zö­gert die Umset­zung eines Ver­fas­sungs­ge­richts­ur­teils, nach dem jedem Flücht­ling im Flug­ha­fen­ver­fah­ren eine Rechts­be­ra­tung zusteht. PRO ASYL finan­ziert mona­te­lang die anwalt­li­che Ver­tre­tung der Flughafenflüchtlinge.
Mit einer Kam­pa­gne wen­det sich PRO ASYL gegen die skan­da­lö­se Ableh­nung von Asyl­an­trä­gen gefol­ter­ter Men­schen als »offen­sicht­lich unbegründet«.
Start der gro­ßen Kam­pa­gne »Ver­folg­te Frau­en schüt­zen!« gemein­sam mit dem Deut­schen Frau­en­rat für die Berück­sich­ti­gung geschlechts­spe­zi­fi­scher Ver­fol­gung im Asylverfahren.

1998
PRO ASYL erhält den »Bon­hoef­fer-Preis« sowie den »Preis der Arbeits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen zur Über­win­dung von Frem­den­feind­lich­keit, Ras­sis­mus und Gewalt«.

1999
PRO ASYL setzt sich für Flücht­lin­ge aus dem Koso­vo und für eine Blei­be­rechts­re­ge­lung bos­ni­scher Kriegs­flücht­lin­ge ein.
PRO ASYL bringt ver­stärkt das The­ma »Nicht­staat­li­che Ver­fol­gung« in die Öffent­lich­keit und for­dert ihre Aner­ken­nung als Asylgrund.

2000
Die Arbeit von PRO ASYL hat Erfolg: Die Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz beschließt eine Alt­fall­re­ge­lung für bos­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge, aller­dings nur für 15.000 Trau­ma­ti­sier­te. In Koope­ra­ti­on mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen for­dert PRO ASYL die Rück­be­sin­nung auf völ­ker­recht­li­che Min­dest­stan­dards im deut­schen Asylverfahren.

2001
Damit die UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on in Deutsch­land end­lich unein­ge­schränkt umge­setzt wird, star­tet PRO ASYL die Kam­pa­gne »Alle Kin­der haben Rech­te«. Hei­ko Kauff­mann und PRO ASYL erhal­ten dafür den »Blau­en Ele­fan­ten für Kin­der­rech­te« des Deut­schen Kin­der­schutz­bunds und den Aache­ner Friedenspreis.
Im ers­ten Ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung für ein Zuwan­de­rungs­ge­setz fin­den geschlechts­spe­zi­fi­sche und nicht­staat­li­che Ver­fol­gung kei­ne Berück­sich­ti­gung. PRO ASYL for­dert zusam­men mit ande­ren Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen Ver­bes­se­run­gen und wen­det sich unter ande­rem gegen das Abdrän­gen von Gedul­de­ten in die Illegalität.

2002
Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts stoppt die Ein­füh­rung des Zuwan­de­rungs­ge­set­zes. PRO ASYL star­tet die Kam­pa­gne »Hier geblie­ben! Recht auf Blei­be­recht« für lang­jäh­rig in Deutsch­land leben­de Flücht­lin­ge. Um dem Flücht­lings­ein­satz auf lan­ge Sicht eine sta­bi­le Basis zu geben, wird die STIFTUNG PRO ASYL gegrün­det. Dem Stif­tungs­rat gehö­ren Jür­gen Micksch (Vor­sitz), Annet­te Köp­pin­g­er (stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de) Rechts­an­walt Hubert Hein­hold und Chris­ti­an Petry (Freu­den­berg­stif­tung) an. Den Vor­stand über­nimmt Gün­ter Burkhardt.

2003
Krieg im Irak: PRO ASYL bezieht Posi­ti­on gegen den Krieg und macht auf die gleich­zei­tig dra­ma­tisch sin­ken­de Aner­ken­nungs­quo­te bei Flücht­lin­gen aus dem Irak aufmerksam.
PRO ASYL beglei­tet wei­ter­hin juris­tisch und poli­tisch die Dis­kus­sio­nen zum Zuwan­de­rungs­ge­setz. Die Blei­be­rechts­in­itia­ti­ve gewinnt eine brei­te Basis. Vie­le pro­mi­nen­te Per­sön­lich­kei­ten unter­stüt­zen uns. Über 40 Orga­ni­sa­tio­nen und Zehn­tau­sen­de Ein­zel­per­so­nen unter­stüt­zen unse­ren Appell.

2004
Die Asyl­be­wer­ber­zah­len sin­ken auf den nied­rigs­ten Stand seit 20 Jah­ren. Unter dem Mot­to »Euro­pa macht dicht« bezieht PRO ASYL Stel­lung gegen die Plä­ne, Flücht­lin­ge außer­halb der EU in Lagern unterzubringen.
Gemein­sam mit euro­päi­schen Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen star­tet PRO ASYL ein EU-geför­der­tes Recher­che- und Infor­ma­ti­ons­pro­jekt zur Flücht­lings­auf­nah­me in sie­ben euro­päi­schen Ländern.

2005
Das Zuwan­de­rungs­ge­setz tritt in Kraft. Es ent­hält die lan­ge von PRO ASYL gefor­der­te Aner­ken­nung nicht­staat­li­cher und geschlechts­spe­zi­fi­scher Ver­fol­gung, aber kei­ne Blei­be­rechts­re­ge­lung sowie zahl­rei­che Restriktionen.

2006
PRO ASYL zieht nach einem Jahr Zuwan­de­rungs­ge­setz eine kri­ti­sche Bilanz und for­dert eine grund­le­gen­de Reform. Nach wie vor setzt sich PRO ASYL für das Blei­be­recht lang­jäh­rig in Deutsch­land leben­der Flücht­lin­ge ein.
PRO ASYL macht auf die dra­ma­tisch anstei­gen­den, frag­wür­di­gen Wider­rufs­ver­fah­ren gegen aner­kann­te Flücht­lin­ge auf­merk­sam. Gemein­sam mit einem brei­ten gesell­schaft­li­chen Bünd­nis kri­ti­siert PRO ASYL in einem Memo­ran­dum den Zustand des deut­schen Asylverfahrens.
Zusam­men mit dem GRIPS Thea­ter, der GEW Ber­lin und dem Flücht­lings­rat Ber­lin star­tet PRO ASYL eine gemein­sa­me Initia­ti­ve für in Deutsch­land leben­de Flücht­lings­kin­der, für ein Blei­be­recht und die vol­le Umset­zung der UN-Kinderrechtskonvention.

2007
Eine Doku­men­ta­ti­on von PRO ASYL über schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen gegen­über Flücht­lin­gen in Grie­chen­land fin­det gro­ße inter­na­tio­na­le Reso­nanz. Das Grie­chi­sche Par­la­ment und das Euro­päi­sche Par­la­ment debat­tie­ren und for­dern Abhil­fe. PRO ASYL initi­iert ein Hilfs­pro­jekt für die Flücht­lin­ge vor Ort.
Das seit vie­len Jah­ren gefor­der­te Blei­be­recht wird im über­ar­bei­te­ten Zuwan­de­rungs­ge­setz berück­sich­tigt. Lei­der ent­hält das Gesetz gro­ße Ein­schrän­kun­gen ins­be­son­de­re für alte, kran­ke und nicht erwerbs­fä­hi­ge Flüchtlinge.

2008
PRO ASYL star­tet die gro­ße euro­pa­wei­te Kam­pa­gne »Stoppt das Ster­ben!« für den Schutz von Flücht­lin­gen an den hoch­ge­rüs­te­ten euro­päi­schen Außengrenzen.
Für den seit Jah­ren gemein­sam mit ande­ren Bür­gern- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen her­aus­ge­ge­be­nen Grund­rech­te­re­port wird PRO ASYL die Theo­dor-Heuss-Medail­le verliehen.

2009
Nach­dem bereits über 70 deut­sche Ver­wal­tungs­ge­rich­te auf­grund der ekla­tan­ten Miss­stän­de im grie­chi­schen Asyl­sys­tem Über­stel­lun­gen nach Grie­chen­land gestoppt hat­ten, setzt das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt am 8. Sep­tem­ber 2009 erst­mals eine Dub­lin-Abschie­bung nach Athen aus. PRO ASYL hat­te zuvor zahl­rei­che Kla­gen unter­stützt und kon­ti­nu­ier­lich die Situa­ti­on von Flücht­lin­gen in Grie­chen­land doku­men­tiert, die Grund­la­ge für die gericht­li­chen Ent­schei­dun­gen waren.
Im Früh­jahr 2009 schließt Ita­li­en mit Liby­ens Dik­ta­tor Gad­da­fi ein Rück­über­nah­me­ab­kom­men und beginnt mit Rück­füh­run­gen von Asyl­su­chen­den nach Liby­en, ohne dass sie Zugang zum Asyl­ver­fah­ren erhal­ten. PRO ASYL pro­tes­tiert laut­stark auf euro­päi­scher Ebe­ne gegen den offe­nen Völ­ker­rechts­bruch durch Italien.

2010
PRO ASYL hat­te jah­re­lang immer wie­der die vor­be­halts­lo­se Aner­ken­nung der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on gefor­dert – im Juli 2010 nimmt die Bun­des­re­gie­rung end­lich die Vor­be­hal­te gegen­über der Kon­ven­ti­on zurück. Seit­her kämpft PRO ASYL dafür, dass sie umge­setzt wird und Flücht­lings- und Migran­ten­kin­der die glei­chen Rech­te wie alle Kin­der bekommen.
Seit Novem­ber 2010 sind deut­sche Grenz­be­am­te im Rah­men einer Fron­tex-Mis­si­on an der Land­gren­ze Grie­chen­lands zur Tür­kei im Ein­satz. PRO ASYL führt noch im sel­ben Monat eine Recher­che im grie­chisch-tür­ki­schen Grenz­ge­biet am Evros durch und doku­men­tiert die dra­ma­ti­sche Situa­ti­on von Flücht­lin­gen in den nord­grie­chi­schen Haftlagern.

2011
Vor den euro­päi­schen Gerich­ten errin­gen die Ver­tre­ter des Flücht­lings­schut­zes zwei wich­ti­ge Erfol­ge für die Men­schen­wür­de und gegen die Abschot­tungs­po­li­tik. Gleich­wohl blei­ben die Zustän­de in Euro­pa und über die Gren­zen hin­aus erschre­ckend: In Ita­li­en, Grie­chen­land, Mal­ta und Ungarn, aber auch in der Tür­kei oder der Ukrai­ne leben Asyl­su­chen­de unter unwür­di­gen Bedin­gun­gen – immer öfter wer­den sie sogar in Haft genom­men. PRO ASYL doku­men­tiert die erschre­cken­den Zustän­de in allen die­sen Staa­ten und star­tet die Kam­pa­gne »Flucht ist kein Ver­bre­chen«. Innen­po­li­tisch kämpft PRO ASYL wei­ter­hin mit lan­gem Atem für eine Blei­be­rechts­re­ge­lung und gegen das dis­kri­mi­nie­ren­de Asylbewerberleistungsgesetz.

2012
Am 23. Febru­ar 2012 hat der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) in Straß­burg erst­mals über die Fra­ge der Zurück­wei­sung von Flücht­lin­gen auf Hoher See ent­schie­den und Ita­li­en auf gan­zer Linie ver­ur­teilt: Die Zurück­wei­sung von Flücht­lin­gen nach Liby­en durch die ita­lie­ni­sche Küs­ten­wa­che stellt einen Bruch der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on dar. Damit beka­men 24 soma­li­sche und eri­tre­ische Flücht­lin­ge Recht, die im Mai 2009 – zusam­men mit wei­te­ren Flücht­lin­gen – nicht nach Ita­li­en gebracht, son­dern umge­hend an das Gad­da­fi-Regime aus­ge­lie­fert wor­den waren. PRO ASYL hat die Kla­ge der Flücht­lin­ge mit Mit­teln aus dem Rechts­hil­fe­fonds unterstützt.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hat am 18. Juli 2012 ein fast 20 Jah­re wäh­ren­des Unrecht been­det. Die gekürz­ten Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) erklär­te das höchs­te deut­sche Gericht für ver­fas­sungs­wid­rig. Die gewähr­ten Min­der­leis­tun­gen sei­en »evi­dent unzu­rei­chend, um das men­schen­wür­di­ge Exis­tenz­mi­ni­mum zu gewähr­leis­ten« und über­dies for­mu­lier­te das Gericht: »Die Men­schen­wür­de ist migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren.« Dies heißt: Der Staat darf nicht mini­ma­le Sozi­al­leis­tun­gen kür­zen, um Men­schen aus dem Land zu treiben.

2013
Am 3. Okto­ber 2013 kamen 366 Flücht­lin­ge im Mit­tel­meer ums Leben. Kei­ne zehn Tage spä­ter star­ben erneut mehr als 250 Flücht­lin­ge bei einer Kata­stro­phe vor Lam­pe­du­sa. Wei­te Tei­le der euro­päi­schen und der deut­schen Öffent­lich­keit zeig­ten sich scho­ckiert, For­de­run­gen nach einem Kurs­wech­sel in der euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik mehr­ten sich. Es blieb bei Trau­er­be­kun­dun­gen. Bereits das Tref­fen der EU-Innen­mi­nis­ter am 7./8. Okto­ber 2013 zeig­te, dass die poli­ti­sche Ant­wort auf das Ster­ben im Mit­tel­meer in der restrik­ti­ven Abwehr-Logik des letz­ten Jahr­zehnts ver­har­ren sollte.

PRO ASYL recher­chier­te mit grie­chi­schen und tür­ki­schen Part­nern zu den bru­ta­len Prak­ti­ken beim Zurück­wei­sen Hun­der­ter Flücht­lin­ge im Grenz­ge­biet in der Ägä­is. Nach der Ver­öf­fent­li­chung des PRO ASYL-Berichts »Pushed Back« im Novem­ber 2013 über sys­te­ma­ti­sche völ­ker­rechts­wid­ri­ge Push-Back-Ope­ra­tio­nen an der grie­chi­schen EU-Außen­gren­ze ste­hen Grie­chen­land, Fron­tex und die EU inter­na­tio­nal in der Kritik.

2014
In Deutsch­land wer­den immer mehr gewalt­tä­ti­ge Angrif­fe auf Flücht­lin­ge gezählt. Auch die ras­sis­ti­sche Het­ze nimmt zu – ob auf Face­book oder auf der Stra­ße. PRO ASYL und die Ama­deu Anto­nio Stif­tung set­zen dem die gemein­sa­me Kam­pa­gne »Pro Men­schen­rech­te. Con­tra Vor­ur­tei­le und Ras­sis­mus« ent­ge­gen und doku­men­tie­ren seit 2014 Angrif­fe auf Flücht­lin­ge in der »Chro­nik der Gewalt«.

Durch die ita­lie­ni­sche Ope­ra­ti­on Mare Nos­trum konn­ten seit Okto­ber 2013 bereits über 130.000 Flücht­lin­ge im zen­tra­len Mit­tel­meer geret­tet wer­den. Damit ist ab Novem­ber 2014 Schluss: Die EU-Ope­ra­ti­on Tri­ton ersetzt die lebens­ret­ten­de Ope­ra­ti­on.  Statt mehr See­not­ret­tung liegt der Fokus auf Grenz­kon­trol­le und Abwehr. PRO ASYL inten­si­viert die Kam­pa­gne »See­not­ret­tung jetzt!« für eine Euro­päi­sie­rung der See­not­ret­tung und lega­le Flucht­we­ge nach Europa.

2015
Im Juli wird im Bun­des­tag das »Gesetz zur Neu­be­stim­mung des Blei­be­rechts und der Auf­ent­halts­be­en­di­gung« beschlos­sen. PRO ASYL, Flücht­lings­rä­te, Ver­bän­de und Initia­ti­ven for­dern seit Jah­ren eine stich­tags­un­ab­hän­gi­ge Blei­be­rechts­re­ge­lung für lang­jäh­rig Gedul­de­te. Die beschlos­se­ne Rege­lung ent­hält jedoch hohe Hür­den und vie­le wei­te­re Restrik­tio­nen wie Mög­lich­kei­ten zur exzes­si­ven Aus­wei­tung der Abschiebungshaft.

Die Situa­ti­on in Ungarn droht zu eska­lie­ren, Tau­sen­de Flücht­lin­ge sind ohne Ver­sor­gung auf dem Buda­pes­ter Bahn­hof Kele­ti gestran­det. Vie­le machen sich zu Fuß auf den Weg Rich­tung Öster­reich. In der Nacht zum 5. Sep­tem­ber ent­schei­det Kanz­le­rin Mer­kel, die in Ungarn fest­sit­zen­den Flücht­lin­ge in Deutsch­land auf­zu­neh­men.

Am Mün­che­ner Haupt­bahn­hof  ver­sor­gen Hun­der­te Ehren­amt­li­che tage­lang die Ankom­men­den mit dem Nötigs­ten. Bil­der eines men­schen­freund­li­chen Deutsch­lands gehen um die Welt. Sie geben den Ver­zwei­fel­ten Hoff­nung – und rufen zyni­sche Reak­tio­nen ande­rer EU-Staa­ten hervor.

In Deutsch­land folgt auf den Som­mer der Huma­ni­tät der Win­ter der Restrik­tio­nen. Bereits im Herbst wird mit dem Asyl­ver­fah­rens­be­schleu­ni­gungs­ge­setz (»Asyl­pa­ket  I«) die poli­ti­sche Kehrt­wen­de voll­zo­gen. Es umfasst Rechts­ein­schrän­kun­gen, die Defi­ni­ti­on eini­ger West­bal­kan­staa­ten als »siche­re Her­kunfts­län­der« und erheb­li­che sozia­le Erschwer­nis­se für Flücht­lin­ge, die noch Wochen zuvor undenk­bar gewe­sen wären.

2016
Seit dem 17. März 2016 gilt das soge­nann­te Gesetz zur »Ein­füh­rung beschleu­nig­ter Asyl­ver­fah­ren« – kurz Asyl­pa­ket II – dem brei­ten Wider­stand aus der Zivil­ge­sell­schaft und Ver­bän­den zum Trotz. Wer vor Krieg flieht und ledig­lich sub­si­diä­ren Schutz erhält, des­sen Recht auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung wird für zwei Jah­re aus­ge­setzt. Kran­ke sol­len leich­ter abge­scho­ben wer­den. Das Asyl­ver­fah­ren wird wei­ter ver­schärft. Der restrik­ti­ve Kurs gegen Flücht­lin­ge wird mit dem Inte­gra­ti­ons­ge­setz, das seit 31.Juli in Kraft ist, fortgesetzt.

Der EU-Tür­kei-Deal trat am 20. März 2016 in Kraft. Bereits in kür­zes­ter Zeit führ­te er zu mas­si­vem Unrecht gegen­über Schutz­su­chen­den und gra­vie­ren­den Ver­let­zun­gen der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on. Flücht­lin­ge wer­den sys­te­ma­tisch inhaf­tiert. Ihnen droht die Abschie­bung in die Tür­kei ohne ein recht­staat­li­ches Asyl­ver­fah­ren. Schutz haben sie auch dort kaum zu erwar­ten. PRO ASYL baut sein Unter­stüt­zungs­pro­jekt Refu­gee Sup­port Pro­ject Aege­an (RSPA) aus. Rechtsanwält*innen und Menschenrechtler*innen doku­men­tie­ren die Situa­ti­on und ver­su­chen, Schutz­su­chen­den zu ihrem Recht zu ver­hel­fen. Im Mai 2016 doku­men­tiert PRO ASYL ers­te Erfah­run­gen, wie der Deal den Flücht­lings­schutz aus­he­belt und Flücht­lin­ge schwe­ren Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen aus­setzt und ruft in einer Akti­on zum Pro­test gegen Deal auf. Tau­sen­de Men­schen betei­li­gen sich.