Hintergrund
Das Geschäft mit der Not
Die steigende Zahl der Flüchtlinge hat auch dafür gesorgt, dass viele Kommunen es mit Mindeststandards und Kostenkontrolle nicht mehr so genau genommen haben. Nicht nur Containerbauer und Feldbettenhersteller haben das für Profit genutzt. Höchste Zeit, dass der Notstandsmodus nun verlassen und die Lebenslage von Flüchtlingen normalisiert wird.
»Seit die Städte und Länder nicht mehr wissen, wohin mit den vielen Menschen, die über die Grenze kommen, ist das ganz große private Flüchtlings-Business zur Betreuung, Bewirtung und Verarztung der Neuankömmlinge entstanden. Und die Bezahlung ist gut. Je mehr Flüchtlinge kommen, desto höher steigen die Preise. So ist das im Kapitalismus.«
Dieses Zitat stammt aus einem gut recherchierten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und wenn die FAZ schreibt, wie sich das mit dem Kapitalismus verhält, dann kann man das durchaus ernstnehmen. Sehr viele profitieren davon, dass die Politik sich spätestens seit dem Jahr 2015 permanent im Notstandsmodus wähnt, auch wenn dies in der Praxis – bezogen auf Unterbringungsprobleme – nur für einige Monate gegolten haben mag. Doch der Zeitraum genügte, damit fast alle Regeln außer Kraft gesetzt werden konnten, was den Profiteuren Tür und Tor geöffnet hat.
Dunkelgraue »Sonderangebote«
Allein die unzähligen, oftmals windigen, Angebote, die seit vergangenem Sommer von Unternehmen, bei Organisationen wie PRO ASYL oder den Flüchtlingsräten eingegangen sind, vermitteln einen Eindruck wie groß die Zahl derjeniger war und ist, die nun ihre die nun ihre Chance auf Profit witterten. Die meisten dieser »Sonderangebote« sind dabei aus dem Bereich dunkelgrau und dunkler.
Dass einem ob mancher Angebots-Chuzpe das Wort im Halse stecken bleibt, sollte aber eher Anlass sein, darüber nachzudenken, welche strukturellen Fragen zu lösen sind, will man es denn bei der reinen Diagnose, dass aus der Not der einen die Profite der anderen werden, nicht bewenden lassen.
Während zehntausende Freiwillige ohne Bezahlung überall da eingesprungen sind, wo staatliches Versagen Menschen unversorgt und unbetreut ließ, schlug gleichzeitig die große Stunde derer, die oftmals ihre profitablen Angebote noch mit humanitärem Zuckerguss überzogen.
Mindeststandards außer Kraft gesetzt
Ja, es war zeitweilig ein ehrgeiziges Ziel, vielen hunderttausend Neuankömmlingen ein Dach über dem Kopf verschaffen zu wollen – schließlich kampierten an vielen Orten in Europa Flüchtlinge unter freiem Himmel, in Schlamm und Matsch. Kommunalpolitiker, befragt nach Ausschreibungen, Kostenkontrollen, Mindeststandards usw., reagierten verärgert. Wer solche Fragen zu diesem Zeitpunkt stelle, handele gegen die Interessen der Flüchtlinge.
Wo es Mindeststandards für die Unterbringung gab, wurden sie unterlaufen oder außer Kraft gesetzt. Viele Kommunen erklärten sich außer Stande, die Unterbringungsaufgabe in eigener Regie zu schultern, mangels Verwaltungskapazität oder weil zur Unterbringung geeignete Objekte im eigenen Besitz nicht vorhanden waren.
Private Investoren, Immobilienbesitzer, Hoteliers und mehr oder weniger windige Projektentwickler sahen ihre Chance und gaben sich die Klinke in Landratsämtern und Rathäusern in die Hand. Wo sich ein Hotel zuvor nicht rentiert hatte, da wurden jetzt Asylsuchende eingewiesen, wo leerstehende Produktionshallen waren, da ließen sich Schlafplätze schaffen. Fantastische Profitchancen riefen die bereits existierenden Unterbringungsfachfirmen mit ihren großzügig kalkulierten Alles-aus-einer-Hand-Angeboten auf den Plan.
Es war und ist die Hochzeit einer Boom-Branche. »Feldbettenhersteller und Containerbauer profitieren genauso wie Caterer, Putzfirmen, Ärzte, Krankenkassen, Sprachlehrer und Baufirmen. Und überall steigen die Preise«, so nochmals die FAZ. Obwohl die Nachfrage vom Staat kommt, also von einem eigentlich fast monopolistischen Nachfrager, sei der Staat nicht in der Lage, so analysierte die FAZ, seine Macht noch auszuspielen, zumal sich die Kommunen auch untereinander in einem Wettbewerb um Container, Traglufthallen usw. befinden.
Wohnungsnot: Resultat neoliberalen Denkens
Ja, wieso eigentlich hat sich der Staat seine Gestaltungsmacht auf diesem Sektor so sehr aus der Hand nehmen lassen? Im Boom der „Flüchtlingskrise“ wiederholt sich, was im Gesamtsektor des Wohnungsbaus seit mehr als zwei Jahrzehnten die tägliche Realität ist. Ohne Not haben die Kommunen seit mehr als zwei Jahrzehnten überwiegend den Bereich des sozialen Wohnungsbaus aus der Hand gegeben, Wohnungsbestände verkauft und als Ausfluss neoliberalen Denkens verkündet, der Markt werde es schon richten.
So fehlen heute hunderttausende erschwinglicher Wohnungen, keineswegs nur für Asylsuchende, sondern ebenso für breite Schichten der Bevölkerung, die niemals von den neoliberalen Boom-Jahren profitiert haben. Bezahlbare Wohnungen fehlen aber auch vielerorts für Flüchtlinge. Einige Bundesländer waren über viele Jahre hinweg gut mit einer Politik gefahren, die überwiegend auf die Versorgung von Flüchtlingen mit normalen Privatwohnungen setzte und ohne stigmatisierende und ausgrenzende Lager auskommen wollte.
Es ist vor diesem Hintergrund ein wenig wohlfeil, sich in dieser Zeit der leichten Profite denjenigen kritisch zuzuwenden, die besonders exzessive Geschäfte machen. So ist das eben im Kapitalismus, wenn der Staat seine Einwirkungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben hat und den Rest seiner Kontrollmöglichkeiten in einer schwierigen Zeit aus der Hand gibt.
Während zehntausende Freiwillige ohne Bezahlung überall da eingesprungen sind, wo staatliches Versagen Menschen unversorgt und unbetreut ließ, schlug gleichzeitig die große Stunde derer, die oftmals ihre profitablen Angebote noch mit humanitärem Zuckerguss überzogen.
Das Lager, Gegenmodell eines menschenwürdigen Wohnens, feiert sein Revival, auch wenn heute jeder Dreckscontainer Modul genannt wird, jede Pressspanhütte ein Chalet.
Leidtragende der Schnellschüsse sind die Flüchtlinge
Von den Menschen, den Flüchtlingen, die in diesen Boom-Zeiten nicht Kunden irgendwelcher Angebote sind, sondern zu Objekten von Notunterbringung, Zwangsversorgung und Verwaltung gemacht werden, war bislang noch nicht die Rede. Sie müssen hinnehmen, was angeboten wird, kommt doch schnell die Rede auf ihre Undankbarkeit, wenn sie dies nicht tun.
Dabei hat der profitable Boom in Sachen Unterbringung und Versorgung ihnen ganz überwiegend eine provisorische Existenz von unabsehbarer Dauer beschert. Denn an vielen Orten sind mit Unterkunftsbetreibern langjährige Vertragsverhältnisse eingegangen worden, so dass sich in vielen Fällen der Zwang zur Weiternutzung auch der problematischsten Unterkünfte ergeben wird.
Zustände wie in Zeiten der Abschreckungsdoktrin
Es herrschen Zustände wie in den schlimmsten Zeiten der politischen Abschreckungsdoktrin gegen Flüchtlinge zu Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Lager, Gegenmodell eines menschenwürdigen Wohnens, feiert sein Revival, auch wenn heute jeder Dreckscontainer Modul genannt wird, jede Pressspanhütte ein Chalet. Ja, selbst im modularen Bauen geht Vieles und Besseres, wenn die Kommunen nur wollten und könnten, auch in eigener Regie. Aber die haben ja nun leider viel gutes Geld verbrannt und werden dies bei weiter geltenden Verträgen auch weiter tun müssen.
Es ist in der Regel nicht ihr eigenes, denn es ist gelungen, die über viele Jahre hinweg tatsächlich völlig unzureichenden Erstattungspauschalen der Länder nach oben zu treiben und die Spitzenverbände verhandeln weiter. Die Lebensqualität der Asylsuchenden spielt bei alledem kaum eine Rolle.
Flüchtlinge wünschen sich ein Leben ohne ein »Systemhaus aus Trapezblech mit Dämmung« oder außerhalb einer »Notunterkunft aus Karton oder Zement gebundener Spanplatte«. Die menschenwürdige Alternative, billiger zudem, ist längst erfunden: in Form der ganz normalen Wohnung.
Von der Wohnsitzauflage profitiert die Immobilienbranche
Im Gegenteil: Der neueste Coup im Sinne der Profitmacherei ist die Idee, mit dem Integrationsgesetz eine Wohnsitznahmeverpflichtung selbst für anerkannte Flüchtlinge einzuführen. Das kommt ganz pädagogisch daher: Auf dem flachen Lande, so heißt es plötzlich, ließen sich Menschen besser integrieren, weil die Verhältnisse persönlich und überschaubar sind. Hinzu kämen hunderttausende leerstehende Wohnungen gerade in ländlichen Regionen.
Brächte man auch anerkannte Flüchtlinge dort unter, gäbe es praktisch keinen großen Bedarf an zusätzlichem Wohnungsbau in den Ballungsgebieten. Und man könnte die Bildung von sozialen Brennpunkten, manche redeten mal wieder von »Ghettos« und »Parallelgesellschaften«, verhindern. Als ob solche Zustände nicht das Ergebnis von Segregation und Ausgrenzung, von harten kapitalistischen Mechanismen wären, sondern aus der Wahl der falschen Alternative durch die Betroffenen entstünden.
Was schon höchst ärgerlich ist als ein weiterer Versuch, Menschen dauerhaft zu bevormunden und zu Objekten verwaltungstechnischer Rationalität zu machen, wo man Deutschen die Bereitschaft zur Mobilität in Richtung eines Arbeitsplatzes positiv anrechnen würde, entpuppt sich auf den zweiten Blick als geschickter Versuch der Immobilienlobby, Unterbringung effizient in ihrem Sinne zu gestalten.
Im ländlichen Raum sollen die oft in erbärmlichem Zustand befindlichen und kaum vermarktbaren Wohnungsleerstände doch noch vermarktet werden. Per Zwangseinweisung und Wohnsitznahmeverpflichtung sozusagen mit erneuter staatlicher Garantie für das Geschäft. Und in Bezug auf die Ballungsräume stören die mancherorts aufkeimenden Bekenntnisse zu einer Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus die Profitinteressen der Projektentwickler und Investoren, an deren Rockschößen großstädtische Verwaltungen ganz überwiegend hängen. Gewönne der Staat wieder Handlungsmacht im Unterbringungssektor hinzu, wären die sagenhaften Steigerungen der Wohnungsmieten irgendwann nicht mehr zu realisieren.
Notstandsmodus verlassen, Lebenslage der Flüchtlinge normalisieren
Der große Reibach mit den Flüchtlingen wirkt wie ein Konjunkturprogramm, von dem einmal andere profitieren, als die üblicherweise sonst im Vordergrund stehenden High-Tech Industrien. Verdient wird in vielen Sektoren daran, dass die Lebenslage der untergebrachten Menschen eben nicht normal ist. So verdienen Catering-Firmen daran, dass Flüchtlinge in Unterkünften nicht kochen können. Die Security-Dienstleister sind eine notwendige, wiewohl in der Praxis umstrittene, Dreingabe zur Lagerunterbringung. In den Großunterkünften ist der sozialarbeiterische Aufwand weit größer, als wären Asylsuchende privat untergebracht. Auch Wohlfahrtsverbände profitieren hier.
Setzen wir uns dafür ein, dass die Politik den Notstandsmodus verlässt und ihre Aufgabe darin sieht, die Lebenslage von Flüchtlingen zu normalisieren, indem z.B. die Notunterbringung beendet wird. Dies wäre auch ein Beitrag gegen rechte und rechtspopulistische Propaganda, die kritisiert, dass Flüchtlingen teure Extrawürste gebraten würden. Flüchtlinge aber sind ganz normale Menschen, die Bedürfnisse haben wie wir alle: Rückzugsmöglichkeiten, Privatsphäre, nachbarschaftliche Kontakte. Sie wünschen sich ein Leben ohne ein »Systemhaus aus Trapezblech mit Dämmung« oder außerhalb einer »Notunterkunft aus Karton oder Zement gebundener Spanplatte«. Die menschenwürdige Alternative, billiger zudem, ist längst erfunden: in Form der ganz normalen Wohnung.
Bernd Mesovic, Text zuerst erschienen als Vorwort in der Broschüre zur Ausstellung »Helfen und Verdienen« des Flüchtlingsrat Bremen