PRO ASYL: „Etikettenschwindel“
Trotz der breiten Kritik der Zivilgesellschaft soll der Deutsche Bundestag heute das sogenannte Integrationsgesetz beschließen. PRO ASYL lehnt das geplante Integrationsgesetz ab: „Das Gesetz ist ein Etikettenschwindel. Es verspricht Integration und wird das Gegenteil bewirken“, fasst Geschäftsführer Günter Burkhardt die Kritik von PRO ASYL zusammen. Anstatt konsequent Integration zu fördern, setzt die Große Koalition auf weitere Gesetzesverschärfungen. Die desintegrative Grundrichtung des Gesetzes bleibt trotz der nun vorgenommenen Änderungen von CDU/CSU und SPD erhalten.
In einem beispiellosen Schweinsgalopp werden Gesetze verschärft: Seit Sommer letzten Jahres wurden acht Gesetze verschärft, mit dem Ziel, Deutschland als Zufluchtsland unattraktiv zu machen.
Die im Integrationsgesetz vorgesehenen Maßnahmen erschweren Integration und verschärfen das Asyl- und Aufenthaltsrecht.
PRO ASYL kritisiert insbesondere:
- Zwangsweise Wohnortzuweisungen beschneiden die Freizügigkeit von anerkannten Flüchtlingen und sind mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kaum zu vereinbaren. Vielerorts werden damit die tatsächlichen Möglichkeiten zur Integration verschlechtert.
- Leistungseinschränkungen enthalten Flüchtlingen ihr Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vor, entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
- Die Verschärfung des Aufenthaltsrechts wird zu einer großen Unsicherheit unter Flüchtlingen führen.
- Die Verpflichtung zur Ausübung von Ein-Euro-Jobs wird Flüchtlinge prekarisieren ohne ihnen echte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen.
- Schutzsuchende werden vom Zugang zum Asylverfahren ausgeschlossen, auch über die bisher geltende 3‑Monatsfrist hinaus, wenn ein Nicht-EU-Staat unter bestimmten Voraussetzungen bereit ist, den Schutzsuchenden wieder aufzunehmen (§29 Asylgesetzentwurf).
Die Isolierung von Flüchtlingen in Lagern, die Verpflichtung, auch nach Anerkennung an bestimmten Orten zu bleiben, die mangelnde Sprachförderung wirken sich in Verbindung mit der nach wie vor langen Asylverfahrensdauer desintegrativ aus. Unverändert werden große Flüchtlingsgruppen wie beispielsweise AfghanInnen von den Integrationskursen ausgeschlossen.
Neben PRO ASYL haben Kirchen, DGB, Wohlfahrtsverbände und viele andere Organisationen das Gesetzesvorhaben kritisiert. Sehenden Auges richtet die Bundesregierung ein integrationspolitisches Fiasko an.
Zu den einzelnen Maßnahmen des Gesetzesentwurfs im Einzelnen:
Wohnsitzauflagen sind desintegrativ und rechtswidrig
Laut dem Gesetzentwurf sollen anerkannte Flüchtlinge zwangsweise dazu verpflichtet werden, sich an Wohnorten niederzulassen, zu denen Behörden sie zugewiesen haben (§ 12a Aufenthaltsgesetz). Wohnsitzauflagen stehen im Widerspruch zum Recht auf Freizügigkeit, das Flüchtlingen nach Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention zusteht. Auch der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 01.03.2016 über Wohnsitzauflagen für subsidiär Schutzberechtigte entschieden. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, Wohnsitzauflagen seien zulässig, hat der EuGH hohe Hürden gesetzt, die die Bundesregierung mit diesem Gesetz nicht erfüllt.
PRO ASYL lehnt die Wohnsitzauflage ab. Flüchtlinge dürfen von der Politik nicht als zu verwaltende Masse gesehen werden. Das Ziel, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen, zieht sie dorthin, wo sie Perspektiven sehen. Kommunen und Städte, gerade aus strukturschwachen Gebieten, sollten das als Chance begreifen und mit Integrations- und Jobangeboten um den Zuzug von anerkannten Flüchtlingen werben. Mancherorts funktioniert es bereits, dass Anerkannte das Bleiben in einer vertraut gewordenen Umgebung plus Jobperspektive einer Abwanderung vorziehen.
Soziale Brennpunkte hingegen entstehen nicht nur in Großstädten, sondern vor allem dort, wo Menschen ausgegrenzt werden und ohne Perspektiven bleiben. Vor diesem Hintergrund ist die Idee der Wohnsitznahmeverpflichtung für Anerkannte ganz sicher eines: integrationspolitisch kontraproduktiv.
Leistungseinschränkungen unvereinbar mit menschenwürdigem Existenzminimum
Nach den Asylpaketen I und II wird der § 1a Asylbewerberleistungsgesetz erneut verschärft. Asylsuchenden soll ihr Anspruch auf ein soziokulturelles Existenzminimum beschnitten werden, wenn sie sich weigern an einem Integrationskurs teilzunehmen. Zugleich sollen Asylsuchende zu Integrationskursen verpflichtet werden. Die Regelung ist vor dem Hintergrund absurd, dass bislang zu wenige Integrationskurse in Deutschland angeboten werden und beispielsweise AfghanInnen und Somalis explizit von der Teilnahme an Kursen ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber schürt Ressentiments, dass Asylsuchende „integrationsunwillig“ seien – obwohl Asylsuchende gerade Integrationskurse besuchen wollen und es rechtlich wie faktisch nicht können.
Verschärfung des Aufenthaltsrechts schafft Unsicherheit
Das Aufenthaltsrecht soll verschärft werden. Der Gesetzgeber plant, dass anerkannte Flüchtlinge nicht wie bisher nach drei Jahren, sondern erst nach fünf Jahren eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis erhalten sollen. Der Vorschlag wird vor allem für eine große Unsicherheit unter Flüchtlingen sorgen: Denn nach Jahren der Flucht und langwierigen Asylverfahren wollen sie vor allem eine dauerhafte Perspektive haben. Unsicherheit ist aber gerade Gift für gelingende Integration.
Prekarisierung durch Ein-Euro Jobs
Der Gesetzentwurf sieht in § 5a AsylbLG vor, dass Personen, die in den Anwendungsbereich des AsylbLG fallen – wenn sie arbeitsfähig und nicht erwerbstätig sind – , zu Arbeitsgelegenheiten im Rahmen des Arbeitsmarktprogramms „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ verpflichtet werden können. „Arbeitsgelegenheiten“ bedeutet: Ein-Euro Jobs. Die Bundesregierung versucht offensichtlich das viel kritisierte Konzept der Agenda 2010 nun auch bei Flüchtlingen anzuwenden. Doch Ein-Euro Jobs haben auch für deutsche Arbeitslose oft keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt geschaffen. Viele arbeiten über lange Zeit unter prekären Umständen.
Ausschluss vom Asylrecht
Verschärft wird die Möglichkeit, Schutzsuchende vom Asylrecht auszuschließen, wenn unter bestimmten Voraussetzungen ein Nicht-EU-Staat bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen. Nachdem dann diese gesetzliche Grundlage geschaffen wird, folgen politische Verhandlungen zur Auslagerung des Flüchtlingsschutzes. Das Asylrecht bleibt als Hülle stehen, immer weniger Schutzsuchende sollen es in Anspruch nehmen können. Bislang sieht das Asylgesetz vor, dass das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen ist, wenn die „Rückführung“ nicht innerhalb von drei Monaten möglich ist.
Was nötig ist: Dezentrale Unterbringung, Altfallregelungen, Integrationskurse für alle
Das Integrationsgesetz ist kein Schritt in die Richtung einer modernen Einwanderungsgesellschaft, sondern fällt meilenweit hinter wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse zurück. Viele der Regelungen sind zudem offensichtlich verfassungs- und europarechtswidrig. Erneut lässt der Gesetzgeber die Gelegenheit aus echte Fortschritte in Richtung einer Gesellschaft für Alle zu beschreiten. PRO ASYL hat schon im September 2015 gefordert, Flüchtlinge dezentral unterzubringen, mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, Asylsuchenden im Rahmen einer Altfallregelung eine Aufenthaltserlaubnis zu geben, sofern ihr Asylantrag seit einem Jahr nicht bearbeitet wurde und endlich die Integrations- und Sprachkurse für alle Asylsuchenden zu öffnen.